Veröffentlicht 23. März 2017 von Susanne Dambeck
„Das könnte unser Wissen über molekulare Abläufe revolutionieren“
Forscher um Nobelpreisträger Stefan Hell am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie können einen weiteren Durchbruch in der Lichtmikroskopie vermelden: Ihr neu entwickeltes MINFLUX-Mikroskop kann Moleküle optisch trennen, die nur wenige Nanometer voneinander entfernt sind. Damit erreicht das neue Fluoreszenzmikroskop eine 100-fach höhere Auflösung als konventionelle Lichtmikroskope und eine zwanzigfach höhere Auflösung als bisherige hochauflösende Mikroskope.
Der Chemienobelpreis 2014 war der Überwindung der sogenannten optischen Auflösungsgrenze gewidmet. Mehr als ein Jahrhundert lang galt die halbe Wellenlänge des Lichts, ungefähr 200 Nanometer, als absolute Auflösungs-Untergrenze für Lichtmikroskope. Als Stefan Hell in Heidelberg Physik studierte, wurde diese Lehrmeinung immer noch gepredigt – doch der junge Physiker wollte diese Grenze nie akzeptieren. In den folgenden Jahren entwickelte er nach und nach die STED-Mikroskopie (stimulated emission depletion microscopy). Während der 1990er Jahren gelang es ihm als Erster diese Grenze zu knacken, sowohl theoretisch als auch experimentell. Hierfür erhielt er den 2014er Nobelpreis, zusammen mit den amerikanischen Physikern Eric Betzig und William E. Moerner, „für die Entwicklung der superauflösenden Fluoreszenz-Mikroskopie“.
Doch wie funktioniert die STED-Mikroskopie überhaupt, und warum kann sie als Grundlage für das neue Mikroskop dienen? So erklärt Hell selbst seine Erfindung: „Wenn ich zwei Punkte nicht trennen kann, weil beide leuchten, dann mache ich eben einen dunkel. Und dann siehst du den anderen Punkt. Wenn ich das einfallende Licht bündele, dann treffe ich viele Moleküle. Aber wenn ich dafür sorge, dass alle Moleküle dunkel sind, außer einem, oder wenigen, dann kann ich das eine, oder die wenigen, die leuchten, von den anderen trennen.“ Die Abdunklung erfolgt mithilfe von optischer Interferenz: Da das fluoreszierende Leuchten der Moleküle von einem Laserstrahl angeregt wird, ist es auch möglich, mit einem zweiten Laserstrahl viele dieser Moleküle zu verdunkeln, wenn man die Wellenlänge dieses zweiten Strahls so reguliert, dass beide Wellen sich gegenseitig aufheben. Dieser zweite Strahl ist ringförmig, die Amerikaner sagen Donut-förmig, sodass nur in seiner Mitte ein winziger heller Fleck bleibt. Der Ring außen herum ist abgedunkelt (siehe Bilder unten). Den übrig gebliebenen sehr kleinen, leuchtenden Punkt können die Forscher nun analysieren.
Beim MINFLUX-Mikroskop kombinierten die Mitarbeiter von Hells Forschungsgruppe nun die Vorteile des STED-Mikroskops mit denjenigen der PALM-Methode (photo-activated localization microscopy), die von Nobelpreisträger Eric Betzig entwickelt wurde. In diesem Ansatz, der auch PALM/STORM genannt wird, werden ebenfalls einzelne Moleküle quasi an- und ausgeknipst. Dieses An- und Ausschalten erfolgt jedoch zufällig, nicht zielgerichtet wie bei STED. Betzig und Kollegen verwendeten hierfür einen kurzen Laserimpuls, der nur wenige Moleküle zum Leuchten anregt, die daraufhin lokalisiert werden können. Wenn diese Moleküle verglüht sind, wird der nächste Laserimpuls verwendet, und so weiter. Am Ende haben alle Moleküle der Probe einmal geleuchtet, und sie konnten auf diese Weise lokalisiert und beschrieben werden. Das Ergebnis ist eine wesentlich höhere optische Auflösung als die klassische Lichtmikroskopie.
PALM hat also den Vorteil, bereits auf der Ebene einzelner Moleküle zu arbeiten, jedoch den Nachteil, dass man deren genaue Positionen nicht kennt und erst ermitteln muss. Bei STED wiederum ist die genaue Lage der Moleküle bekannt, jedoch können keine einzelnen Moleküle angesteuert werden, nur mehrere Moleküle gemeinsam. MINFLUX kombiniert beide Methoden: Zufällige Moleküle werden durch kurze Impulse eines Donut-förmigen Laserstrahls angeregt, gleichzeitig bestimmt man ihre Position durch die Mitte des Donuts. Sie haben sicher schon bemerkt: Irgendwas läuft hier anders als bei STED. Und richtig: Bei MINFLUX wird der ringförmige Strahl zum Leuchten benutzt, nicht zum Abdunkeln. Liegt das Molekül auf dem Donut-Ring, so leuchtet es; liegt es genau in seinem dunklen Zentrum, so leuchtet es nicht, doch man kennt seine genaue Position.
Dr. Francisco Balzarotti, Nachwuchsforscher im Hell-Team, hat einen Algorithmus entwickelt, mit dessen Hilfe die Position der Moleküle schnell und präzise bestimmt werden kann. „Mit diesem Algorithmus konnten wir das volle Potenzial des Donut-Laserstrahls ausschöpfen“, erläutert der erste Hauptautor des Science-Artikels, der MINFLUX erstmals vorstellt. Klaus Gwosch, ein Doktorand bei Hell, gelang die Aufnahme der molekular aufgelösten Bilder. „Es war ein unglaubliches Gefühl, als wir zum ersten Mal mit MINFLUX Moleküle auf der Skala von wenigen Nanometern unterscheiden konnten“, beschreibt der junge Physiker die Reaktion des Teams auf die reale Möglichkeit, lebendige Zellen auf molekularer Ebene beobachten zu können.
Neben der optischen Auflösung bietet die Kombination von STED und PALM einen weiteren Vorteil: eine deutlich höhere zeitliche Auflösung. Stefan Hell: „MINFLUX ist im Vergleich sehr viel schneller: Da die Technik mit dem Donut-Laserstrahl arbeitet, kommt sie mit wesentlich weniger Lichtsignal, das heißt Fluoreszenz-Photonen, pro Molekül aus als PALM/STORM.“ MINFLUX steh übrigens für „MINimal emission FLUXes”. Dieser Name spielt auf die geringen Lichtmengen an, die hier benötigt werden. Bereits mit STED konnten die Forscher Echtzeit-Videos aus dem Inneren lebender Zellen machen. Doch nun wird es möglich, die Bewegung von Molekülen in einer Zelle mit einer hundertmal besseren zeitlichen Auflösung zu verfolgen.
Yvan Eilers, ebenfalls Doktorand bei Hell, hatte die Aufgabe, mithilfe von MINFLUX Videos aus dem Innern lebender Zellen zu filmen. Er hat es geschafft, die Bewegungen von Ribosomen-Untereinheiten in lebenden E. Coli-Bakterienzellen in bisher unerreichter Zeitauflösung zu filmen. „Die Vergangenheit hat gezeigt, dass bedeutende Verbesserungen im Auflösungsvermögen der Lichtmikroskopie zu neuen biologischen Erkenntnissen geführt haben, wie die Beispiele von STED und PALM belegen“, erläutert Eilers. „Wir sind äußerst zuversichtlich, dass dies auch für MINFLUX der Fall sein wird.“ Die Forscher sind überzeugt, dass sich zukünftig selbst extrem schnelle Abläufe in lebenden Zellen untersuchen lassen, beispielsweise die Faltung von Proteinen.
Ich habe Klaus Gwosch gefragt, ob sich schon viele Forschungsgruppen aus aller Welt in Göttingen gemeldet hätten, um ein MINFLUX-Mikroskop zu erwerben. „Die Veröffentlichung des MINFLUX-Konzepts im Fachjournal Science hat ein sehr breites Publikum erreicht und weltweit großes Interesse geweckt“, lautete seine Antwort. „Momentan sind wir in der Abteilung NanoBiophotonik am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie die einzige Forschungsgruppe mit einem MINFLUX-Mikroskop. Wir sind aber überzeugt davon, dass auch andere Forschungsgruppen das MINFLUX-Konzept aufgreifen und implementieren werden.“ Sein Chef Stefan Herr ergänzt: „Ich bin überzeugt, dass MINFLUX-Mikroskope das Zeug dazu haben, eines der grundlegendsten Werkzeuge der Zellbiologie zu werden. Mit diesem Verfahren wird es in Zukunft möglich sein, Zellen molekular zu kartografieren und schnelle Vorgänge in ihrem Inneren in Echtzeit sichtbar zu machen. Das könnte unser Wissen über die molekularen Abläufe in lebenden Zellen revolutionieren.“
Yvan Eilers und Klaus Gwosch werden beide an der diesjährigen Lindauer Nobelpreisträgertagung als Nachwuchsforscher teilnehmen, Stefan Hell wird ebenfalls nach Lindau reisen. William Moerner, der dritte Chemienobelpreisträger von 2014, wird ebenfalls dort sein und über hochauflösende Mikroskopie sprechen. Wir freuen uns auf eine interessante und inspirierende Woche im Juni 2017!