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Veröffentlicht 1. Juni 2017 von Susanne Dambeck

OPCW: Kampf dem Giftgas

Die chemische Kriegsführung hat heute, rund hundert Jahre nach dem ersten massiven Einsatz von Giftgas, nichts von ihrem Schrecken eingebüßt. Erst kürzlich, am 4. April 2017, gab es einen verheerenden Giftgasangriff auf die westsyrische Stadt Chan Schaichun mit mehr als 70 Toten und hunderten Verletzten. Die Fotos der toten Kinder von Chan Schaichun gingen um die Welt und veranlassten US-Präsident Trump, einen Luftschlag gegen die syrische Regierung anzuordnen. Dieser Giftgasangriff war der schlimmste seit dem Angriff auf Ghouta, einem Vorort von Damaskus, im August 2013. Die Zahl der Toten dort wird, je nach Quelle, zwischen Hunderten und Tausenden angegeben. Zum Zeitpunkt des Angriffs befanden sich beide Städte in der Hand von Rebellen.

Der Giftgasangriff im August 2013 auf Ghouta setze eine Kette von Ereignissen in Gang: Die USA und Frankreich planten schon damals Luftangriffe auf die syrischen Regierungstruppen. Schließlich kam eine UN-Resolution unter der Vermittlung Russlands zustande, die verlangte, dass die syrische Regierung ihr gesamtes Arsenal an Chemiewaffen offenlegen und an dessen Vernichtung mitwirken solle. Schon im Oktober reisten Inspektoren der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW, Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons) nach Syrien und beaufsichtigten die Zerstörung der deklarierten Kampfstoffe, die mit Hilfe westlicher Verbündeter plus Russland und China bis Mitte 2014 abgeschlossen war.

 

Die OPCW führt Inspektionen durch, nimmt Proben und macht Analysen vor Ort und im Labor. Bei der Vernichtung von Kampfstoffen helfen die Mitgliedstaaten und Spezialfirmen. Hier eine OPCW-Übung im März 2017. Foto: OPCW , CC BY-NC 2.0
Die OPCW führt Inspektionen durch, nimmt Proben und macht Analysen, sowohl vor Ort und als auch im Labor. Bei der Vernichtung von Kampfstoffen helfen die Mitgliedstaaten und Spezialfirmen. Hier eine OPCW-Übung im März 2017. Foto: OPCW , CC BY-NC 2.0

 

Genau genommen begann die OPCW am 1. Oktober 2013 die Kontrollen des syrischen Chemiewaffen-Arsenals, dessen Vernichtung am 6. Oktober begann. Am 11. Oktober erhielt die OPCW den Friedensnobelpreis 2013 „für ihre unermüdlichen Anstrengungen zur Beseitigung chemischer Waffen“ – die vorangegangenen Ereignisse in Syrien werden in der Begründung des Nobelpreiskomitees ausdrücklich erwähnt. Die OPCW entstand als das ausführende Organ der Chemiewaffenkonvention, die im April 1997 in Kraft trat. Dieses internationale Übereinkommen verbietet die Entwicklung, die Herstellung, die Lagerung und den Einsatz chemischer Waffen und regelt ihre Vernichtung. Sie ist keine Organisation unter dem Dach der UN, arbeitet in den Missionen jedoch eng mit den Vereinten Nationen zusammen.

 

OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcü. Er war bereits Direktor, als die OPCW im Jahr 2013 den Friedensnobelpreis erhielt - und er wird an #LiNo17 teilnehmen. Foto: J. Patrick Fischer, CC BY-SA 4.0
OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcü. Er war bereits Direktor, als die OPCW im Jahr 2013 den Friedensnobelpreis erhielt – und er wird an #LiNo17 teilnehmen. Foto: J. Patrick Fischer, CC BY-SA 4.0

Spätere Giftgasangriffe im syrischen Bürgerkrieg haben leider überdeutlich gemacht, dass die syrische Regierung ihr Waffenarsenal entweder nur lückenhaft deklariert hatte oder in der Zwischenzeit neue Kampfstoffe ins Land gelangt waren. Bereits im Juli 2016 hatte Ahmet Üzümcü, OPCW-Generaldirektor, in einer schriftlichen Erklärung verbreiten lassen, dass die OPCW an den syrischen Regierungsangaben zweifele, die übrigens von Seiten des Assad-Regimes gerade mal wieder ergänzt worden waren. „Insbesondere der Mangel an Originaldokumenten und der fehlende Zugang zum Führungspersonal des Chemiewaffenprogramms haben verhindert, dass wir einen vollständigen Überblick über das Programm bekommen konnten. Darüber hinaus sind manche Erklärungen weder technisch noch wissenschaftlich glaubhaft“, so Üzümcü.

Nach den jüngsten Angriffen im April 2017 erklärte die OPCW, dass laut eigener Analysen „Sarin eingesetzt wurde, oder sehr ähnliche Substanzen“ und dass „diese Ergebnisse eindeutig und unwiderlegbar“ seien. Die OPCW-Inspektoren stünden bereit, jederzeit wieder nach Syrien aufzubrechen, nur leider ließe die Sicherheitslage dies nicht zu: Im Mai 2014 wurde ein OPCW-Fahrzeug mit einem Sprengsatz angegriffen, die Mission daraufhin beendet. Regierungstruppen und Rebellen schoben sich gegenseitig die Schuld zu.

Wissenschaftler unterstützen nicht nur Organisationen wie die OPCW bei der Zerstörung chemischer Kampfstoffe, sie arbeiten auch an der Entwicklung neuer Wirkstoffe, um die tödlichen Folgen einer Nervengas-Vergiftung einzudämmen. Zwar gibt es bereits eine Standardbehandlung bei solchen Vergiftungen, aber die Wirkstoffe haben teilweise schwerwiegende Nebenwirkungen: Wenn man beispielsweise den Wirkstoff Pralidoxime zu schnell intravenös verabreicht, kann dies zu Herz- oder Atemstillstand führen. Jedoch ist die Geschwindigkeit bei der Behandlung der Dreh- und Angelpunkt, denn bereits nach wenigen Minuten können die Patienten ersticken. Da Enzyme für ihre extreme Reaktionsgeschwindigkeit bekannt sind (die schnellsten unter ihnen schaffen eine Million Reaktionen pro Sekunde) suchten die Forscher nun nach Enzymen, die Nervengas schnell abbauen können.

Im Labor, oder bei der Vernichtung chemischer Kampfstoffe im Feld, können diese mit recht einfachen Verfahren unschädlich gemacht werden, indem man bei hohen Temperaturen die chemischen Verbindungen in einer Wasserlösung ‚knackt‘. Doch solche Temperaturen kann der menschliche Körper lebend nicht überstehen. Schließlich fanden die Forscher die gewünschten Enzyme an einem unerwarteten Ort: in Feldern der konventionellen Landwirtschaft, die mit einem Pestizid behandelt worden waren, das dem Nervengas in Chemiewaffen stark ähnelt. Ursprünglich war Sarin ebenfalls als Pestizid entwickelt worden und nicht als Kampfstoff. Nun ist der Boden voller Bakterien und durch die ständige Behandlung mit diesen Chemikalien haben einige von ihnen Strategien entwickelt, diese Stoffe abzubauen. Eine Machbarkeitsstudie zeigte, dass alle betäubten Meerschweinchen, die vorher mit einem Nervengas vergiftet worden waren, nach der Gabe eines Medikaments aus diesen Bodenbakterien-Enzymen überlebten.

 

Gemälde mit dem Titel ‘Gassed’ von John Singer Sargent, das die Leiden der Opfer eines Giftgasangriffs im Ersten Weltkrieg darstellt. Das Bild befindet sich im Imperial War Museum in London, Quelle: Google Cultural Institute, Lizens: public domain
Gemälde mit dem Titel ‘Gassed’ von John Singer Sargent, das die Leiden der Opfer eines Giftgasangriffs im Ersten Weltkrieg darstellt. Das Bild befindet sich im Imperial War Museum in London, Quelle: Google Cultural Institute, Lizens: public domain

 

Im Ersten Weltkrieg wurden zum ersten Mal chemische Kampfstoffe in großem Stil eingesetzt. Noch heute, hundert Jahre später, sind die Berichte über das qualvolle Sterben nach den Chlor- oder Senfgasangriffen kaum auszuhalten. Und nicht nur Soldaten starben – oft wehte der Wind die tödlichen Wolken in nahe gelegene Dörfer. Zunächst begann die chemische Kriegsführung 1914 mit kleinen Mengen Tränengas von französischer und deutscher Seite, die vergleichsweise wenig Schaden anrichteten. Doch ab 1915 begann die deutsche Heeresleitung, große Mengen Chlorgas einzusetzen. Eigentlich verbot die Haager Landkriegsordnung den Einsatz chemischer Waffen, die Juristen des Kaiserreichs bestritten dies jedoch.

Der erste große Giftgasangriff erfolgte im April 1915 nahe Ypres in Belgien, betroffen waren kanadische Verbände und französische Kolonialtruppen. Die Wirkung des Giftgases war verheerend: Wer nicht sofort erstickte, den erwartete ein Todeskampf, der bis zu 48 Stunden dauern konnte. Und wer all dies überlebte, war oft erblindet und behielt eine vernarbte Lunge zurück, die nie richtig verheilte. Der deutsche Chemiker und spätere Nobelpreisträger Fritz Haber hatte damals die Chlorgasangriffe geplant – während seine Ehefrau Clara Immerwahr, die erste Frau, die in Deutschland einen Doktortitel in Chemie verliehen bekam, sich zunehmend als Pazifistin engagierte. Nach dem Gasangriff in Ypres erschoss sie sich mit seiner Dienstwaffe. Er reiste daraufhin sofort an die Ostfront, um weitere Giftgasangriffe vorzubereiten.

Wie dieser kurze Abriss zeigt, ist die Geschichte der Chemiewaffen eine Geschichte der Tragödien. Doch dank der Arbeit der OPCW sind mittlerweile 90 Prozent der – offiziell deklarierten – Chemiewaffen vernichtet.

Der OPCW-Generaldirektor Ahmet Üzümcü wird diesen Sommer der 67. Lindauer Nobelpreisträgertagung teilnehmen und die Podiumsdiskussion ‚Ethik in der Forschung‘ am 30. Juni 2017 auf der Insel Mainau mit den Erfahrungen aus seiner Arbeit bereichern.

 

Denkmal für die Opfer des verheerenden Giftgasangriffs auf die kurdische Stadt Halabdscha. Im Zuge des Irak-Iran-Kriegs töteten die Truppen von Saddam Hussein tausende Zivilisten mit Giftgas. Im Vordergrund ist eine Statue der toten Frau mit ihrem toten Baby zu sehen, deren Foto zum Symbol dieses schrecklichen Angriffs wurde. Foto: Kurdish Daily News, 2017
Denkmal für die Opfer des Giftgasangriffs auf die kurdische Stadt Halabdscha im Jahr 1988. Gegen Ende des Iran-Irak-Kriegs töteten irakische Truppen tausende kurdische Zivilisten mit Giftgas. Im Vordergrund ist eine Statue der toten Frau mit ihrem toten Baby zu sehen, deren Foto zum Symbol dieses verheerenden Angriffes wurde. Foto: Kurdish Daily News, 2017

 

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.