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Veröffentlicht 18. Mai 2017 von Susanne Dambeck

Mexiko: ein wichtiger Technologie-Standort

Zwei Stelen von der mexikanischen Ausgrabungsstätte Monte Alban. Auf ihnen ist einer der ältesten Kalender Amerikas dargestellt. Bild: Siyajkak, CC BY-SA 3.0
Zwei Stelen von der Ausgrabungsstätte Monte Alban im Bundesstaat Oaxaca in Südmexiko. Auf ihnen ist einer der ältesten Kalender Amerikas dargestellt. Bild: Siyajkak, CC BY-SA 3.0

Nicht viele Menschen wissen, dass Mexiko der weltweit größte Hersteller von Flachbildfernsehern ist, oder dass die erste Universität dort schon 1551 eingerichtet wurde. Mexiko kann auf eine lange und vielfältige Wissenschaftsgeschichte zurückblicken. Die Olmeken waren eines der wenigen Völker, die die Zahl ‚Null‘ verwendeten. Die Astronomen und Mathematiker der Maya perfektionierten ihre Anwendung, zum Beispiel in dem berühmten Maya-Kalender. Mit dessen Hilfe wurde der Zeitpunkt für die meisten wichtigen Ereignisse bestimmt: von der Aussaat über Zeremonien und Feste bis hin zu politische Entscheidungen.

Daher gibt es also auf der einen Seite typisch mexikanische Forschungsthemen, wie die Erforschung der Kulturen der Maya, der Azteken und der Olmeken oder die Erforschung des Chicxulub-Kraters. Schon 1980 formulierte der amerikanische Physiknobelpreisträger Luis Alvarez die Theorie, dass ein gewaltiger Einschlag eines Asteroiden oder Kometen für das Aussterben der Dinosaurier vor ungefähr 66 Millionen Jahren mitverantwortlich sein könnte. Ein solcher Einschlag würde eine Art ‚Nuklearen Winter‘ auslösen, der wiederum die Photosynthese von Pflanzen und Plankton weitgehend unterbindet, sodass die meisten Nahrungsketten zusammenbrechen würden. Er erarbeitete diese sogenannte Alvarez-Hypothese gemeinsam mit seinem Sohn Walter Alvarez, einem Professor für Geologie in Berkeley. Als in den 1990er Jahren der Chicxulub-Krater entdeckt wurde, bekam diese Theorie einen enormen Auftrieb.

Auf der anderen Seite hat Mexiko auch zahlreiche Beiträge zur internationalen Forschung geleistet. Ein frühes Beispiel aus der Chemie ist die Entdeckung des Elements Vanadium im Jahr 1801 durch Andrés Manuel del Río, Professor für Chemie und Mineralogie am 1792 eingerichteten Seminario de Minería, einer Bergakademie. Hundert Jahre später wurde Vanadium zur Verstärkung von Stahl eingesetzt, als Henry Ford das Fahrgestell seines Model-T aus Vanadium-Stahl fertigen ließ. Dieses Material war leichter als gewöhnlicher Stahl, hatte aber eine bessere Festigkeit und Zähigkeit und war deshalb auch besser gegen Verschleiß geschützt. Noch heute wird Vanadium zur Verstärkung von Stahl verwendet, außerdem ist Vanadiumpentoxid ein häufiger Katalysator in der Produktion von Schwefelsäure.

Henry Fords Auto ist ein frühes Beispiel der engen wirtschaftlichen und technischen Verflechtung mit den Vereinigten Staaten. Mexiko ist mittlerweile zum größten Hersteller von Flachbildfernsehern aufgestiegen, meist erfolgt die Endfertigung in Mexiko. Für die USA ist der Nachbar im Süden der zweitgrößte Lieferant technischer Geräte nach China, allen voran Smartphones und Tablets. Das amerikanische Freihandelsabkommen NAFTA, 1994 in Kraft getreten, hat diese engen Beziehungen in den letzten 20 Jahren noch intensiviert. Und obwohl der amtierende US-Präsident im Wahlkampf mit der Abschaffung dieses Abkommens drohte, bleibt es nun erst einmal bestehen.

 

Das Rektoratsgebäude des Monterrey Institute of Technology (links) und die modernen Gebäude von CETEC, einer weiterführenden Hochschule in Monterrey,. Foto: Creative Commons Monterrey, CC BY-SA 3.0
Das Rektoratsgebäude des Monterrey Institute of Technology (links) und die modernen Gebäude von CETEC, einer weiterführenden Hochschule in Monterrey. Foto: Creative Commons Monterrey, CC BY-SA 3.0

 

Der Aufschwung des Technologie-Sektors war nur möglich, weil Mexiko eine große Zahl gut ausgebildeter Arbeitskräfte hat, die in den vergangenen Jahrzehnten bei ausländischen Automobil- oder Pharmafirmen Erfahrungen sammeln konnten. Und die Nähe zu den USA ist natürlich unschlagbar. Aristóteles Sandoval, Regierungschef des Bundeslandes Jalisco, fasst zusammen: “Alle Produkte, die in Jalisco hergestellt werden, können in weniger als 24 Stunden an einem beliebigen Ort in den Vereinigten Staaten sein; und die Zeitzonen sind dazu noch fast identisch.” Neben der geografischen gibt es auch eine gewisse kulturelle Nähe: Mexikaner sprechen alle amerikanisches Englisch, wenn sie Englisch können, und nicht britisches Englisch wie viele Asiaten. Darüber hinaus sind viele Mexikaner mit der nordamerikanische Kultur vertraut.

Natürlich trägt auch das Bildungswesen entscheidend zu diesem Aufschwung bei. Allein das prestigeträchtige Monterrey Institute of Technology unterrichtet über 90.000 Studenten an 31 Standorte im ganzen Land. Und sogar in den entlegenen Ecken des Landes herrscht Aufbruchsstimmung: Der Gründer des ‚Oaxaca State Universities Systems‘ beispielsweise, Modesto Seara-Vázquez, betont gerne, dass die Kenntnis einer der dort verbreiteten Indianersprachen seine Studenten für das Erlernen von höherer Mathematik und Computersprachen prädestiniere, da es sich um tonale Sprachen handelt, ähnlich wie das Mandarin. Alle Studenten in dem südlichen Bundesland sprechen in der Regel mindestens drei Sprachen: Mixteco oder Zapotekisch sowie Spanisch und Englisch.

Doch wie schon der Literaturnobelpreisträger Octavio Paz schrieb: Es existieren immer zwei Mexikos parallel, ein entwickeltes und ein unterentwickeltes. Und obwohl sich die Akteure und Themen seit 1950 geändert haben, ist seine Aussage leider immer noch aktuell. Die Nachrichten, die uns aus Mexiko erreichen, handeln viel zu oft von Drogenkriegen, Drogenbossen und politischen Morden.

 

Ingenieursstudenten von UNAM bauen einen mobilen Roboter. UNAM, die Nationale Autonome Universität Mexikos, ist eine der größten und prestigeträchtigsten Hochschulen des Landes. Foto: PumitasUNAM, CC BY-SA 4.0
Ingenieursstudentinnen von UNAM bauen einen mobilen Roboter. UNAM, die Nationale Autonome Universität Mexikos, ist eine der größten und prestigeträchtigsten Hochschulen des Landes. Foto: PumitasUNAM, CC BY-SA 4.0

Es gibt Orte, da treffen die beiden Mexikos direkt aufeinander. Ein solcher Ort ist die Schranke an der Straße, die zu dem einzigen Intel-Forschungsstandort in Lateinamerika führt. Sie sieht aus wie ein militärischer Checkpoint. Innerhalb dieser Schranke geht es nicht mehr um das Zusammenschrauben von Geräten, hier werden die Apps und Chips der Zukunft erfunden. Guadalajara, die Hauptstadt von Jalisco, wird auch das ‚Silicon Valley Mexikos‘ genannt, ein Titel, den sie gelegentlich mit Monterrey im Nordosten teilen muss. Hier arbeiten über 25,000 Ingenieure an der Technik von morgen, und seit 2014 flossen mehr als 120 Million US-Dollar Investitionen in Start-Up Unternehmen.

Selbst wenn einem der Abstand zwischen dem Intel-Labor auf einem Hügel oberhalb von Guadalajara und dem Elendsviertel am Fuß des Hügels gewaltig erscheint, und nicht nur in Kilometern, so kann Bildung doch einen Ausweg aus der Teilung des Landes aufzeigen. Wie der neue Bürgermeister von Guadalajara Enrique Alfaro der Washington Post anvertraute: „Absolventen, um die sich sogar Google bemüht, greifen nicht zur Waffe.“ Er deutet damit an, dass es die weit verbreitete Jugendarbeitslosigkeit den Drogenkartellen allzu leicht macht, neue Mitglieder zu rekrutieren. Letztendlich kann nur Bildung den Teufelskreis aus Armut, Drogen und Gewalt durchbrechen. Deshalb setzt der neue Bürgermeister auf MINT-Fächer an den Schulen seiner Stadt, hat ein Hightech-Gewerbegebiet eingerichtet und möchte die lokale Infrastruktur für Unternehmer verbessern. Auf nationaler Ebene hatte Präsident Enrique Peña Nieto bereits 2013 angekündigt, die Ausgaben für Forschung und Bildung deutlich erhöhen zu wollen.

Mario Molina ist der erste Mexikaner, der einen wissenschaftlichen Nobelpreis erhielt. In den frühen 1970er Jahren formulierte er, zusammen mit seinem Chef F. Sherwood Rowland, eine Theorie, wie die Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) aus Kühlschränken, Schaumstoffen und Spraydosen in der Stratosphäre die Ozonschicht zerstören. Die beiden Forscher beschrieben, wie FCKW so lange in der Atmosphäre aufsteigen, bis sie schließlich in großer Höhe durch die Sonnenstrahlung aufgespalten werden: Das so freigesetzte Chlor zerstört daraufhin das Ozon. Die Folge war das Ozonloch, eine Ausdünnung der Ozonschicht insbesondere über der Antarktis, die eine stark erhöhte Strahlenbelastung beispielsweise in Australien zur Folge hatte. Doch Molina und Rowland veröffentlichten nicht nur ihre Ergebnisse, sie setzten sich auch öffentlich für ein Verbot der Verwendung von FCKW ein.

Nachdem die Theorie der beiden Chemiker zunächst nicht ernst genommen wurde, unterstützten die Messungen des Ozonlochs in den frühen 1980er Jahren ihre Annahmen. Schließlich wurde im Montreal-Protokoll festgeschrieben, dass alle unterzeichnenden Staaten dafür sorgen, dass in ihren Ländern keine FCKW mehr verwendet werden dürfen. Dieses Protokoll wird von vielen Experten als „wohl der erfolgreichste internationale Vertrag der Welt“ bezeichnet. Molina, Rowland und Paul Josef Crutzen erhielten für ihre Forschung zum Schutz der Atmosphäre 1995 den Chemienobelpreis. In den letzten Jahrzehnten informiert Molina Politiker und die Öffentlichkeit über die Ursachen und Wirkungen des Klimawandels – ebenso leidenschaftlich, wie er seinen Kampf gegen die FCKW geführt hat. Er ist einer der 76 unterzeichnenden Nobelpreisträger, die in der Mainau Erklärung 2015 zum Klimawandel die Regierungen der Welt auffordern, endlich wirksame Klimaschutzpolitik zu betreiben. Diese Erklärung erhält aktuell eine neue Dringlichkeit, weil der amtierende US-Präsident Trump gerade den Klimaschutz seines Vorgängers rückgängig macht.

Molina hat bereits an sechs Lindauer Nobelpreisträgertagungen teilgenommen und vier Vorträge über Klimaschutz gehalten. Wir freuen uns schon auf seinen diesjährigen Vortrag ‘Climate Change: Science, Policy and Risks‘, den er am 27. Juni 2017 halten wird.

Einen Tag zuvor ist Mexiko der Gastgeber des International Day. In aller Früh wird Mario Molina am Science Breakfast teilnehmen, das von Christian González Laporte, dem Brüsseler Vertreter der mexikanischen Wissenschaftsorganisation CONACYT, moderiert wird. Am Abend hält CONACYT-Generaldirektor Enrique Cabrero Mendoza einen Vortrag über Forschung in Mexiko. Die Musikgruppe Mariachi El Dorado wird für die passende mexikanische Stimmung sorgen.

 

Mario Molina während seines Lindau-Vortrags über Klimawandel 2012. Molina studierte zuerst an der Universität UNAM, nach Auslandsstudien wurde er dort Hochschulassistent. Seit 2004 unterrichtet er an der University of California in San Diego, zuvor forschte er an der UC in Irvine, am Jet Propulsion Laboratory der NASA, sowie am MIT. In Mexico City hat er ein Institut zur Erforschung der Umwelt und der Energieversorgung gegründet. Foto:
Mario Molina während seines Lindau-Vortrags über Klimawandel 2012. Molina studierte zuerst an der Universität UNAM, nach Auslandsstudien wurde er dort Hochschulassistent. Seit 2004 unterrichtet er an der University of California in San Diego, zuvor forschte er an der UC in Irvine, am Jet Propulsion Laboratory der NASA, sowie am MIT. In Mexico City hat er ein Institut zur Erforschung der Umwelt und der Energieversorgung gegründet. Foto: Christian Flemming/LNLM

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.