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Veröffentlicht 8. Dezember 2014 von Susanne Dambeck

Stefan Hell: Der Querdenker

Seine Entdeckungen revolutionierten die Optik: Vom Querdenker zu höchsten akademischen Ehren.

Generationen von Physikstudenten paukten das Gesetz von Abbes Auflösungsgrenze, das besagt, dass Lichtmikroskope bei einer halben Wellenlänge des verwendeten Lichts, also bei ungefähr 200 Nanometern, an ihre natürliche Grenze stoßen. Der Physiker und Optiker Ernst Abbe hatte dieses Gesetz um 1870 entdeckt.

Stefan Hell mochte dieses Dogma aber nicht akzeptieren. 1990, als frisch promovierter Physiker, wollte er diese Grenze knacken. Weil er dafür zunächst keine Unterstützung fand, machte er sich als freier Erfinder selbstständig und entwickelte in dieser Zeit die Grundlagen der 4Pi-Mikroskopie – eine Weiterentwicklung der Fluoreszenz-Mikroskopie. Der Laserstrahl zum Abtasten der Probe wird dabei geteilt und auf zwei verschiedene Objektive gelenkt, die das Objekt von beiden Seiten untersuchten. Unter anderem durch Interferenz-Effekte beider Laserstrahlen lässt sich so die Auflösung verbessern.

Das Prinzip des 4Pi-Mikroskops: Der Laserstrahl wird geteilt (BS) und über Spiegel zu zwei gegenüber liebenden Objekticven gelenkt. Diese fokussieren auf den selben Fleck, wo es zu Interferenzen kommt. Angeregte Moleküle strahle ihr Leuchten zurück, das von einem weiteren Spiegel (DM) aufgefangen und zu einem Detektor geleitet wird, wo es wiederum zu Interferenzen kommt. Foto: Hartmut Sebesse
Das Prinzip des 4Pi-Mikroskops: Der „rote“ Laserstrahl wird geteilt (BS) und über Spiegel zu zwei gegenüber liegenden Objektiven gelenkt. Diese fokussieren auf den selben Fleck, wo es zu Interferenzen kommt. Angeregte Moleküle strahlen zurück, ihr Leuchten wird von einem weiteren Spiegel (DM) aufgefangen und zu einem Detektor geleitet, wo es wiederum Interferenzen gibt. Abbildung: Hartmut Sebesse

Am European Molecular Biology Laboratory in Heidelberg konnte Hell dieses neue Verfahren in den Jahren bis 1993 praktisch demonstrieren. Eine eigene Forschungsgruppe bekam der findige Forscher aber erst in Finnland, an der Universität Turku, wo er das Prinzip der „Stimulated Emission Depletion“, kurz STED, entwickelte. Auch in diesem Verfahren geht es um das Ausnutzen von Interferenz-Effekten. In der STED-Mikroskopie gibt es einen Laserstrahl, der den Farbstoff in einer Probe zum Leuchten anregt – so weit, so konventionell. Darüber wird aber ein Strahl gelegt, der den Laserstrahl weitgehend aufhebt, nur im Innern wird ein kleiner Fleck belassen, der das ursprüngliche Laserlicht hindurch lässt – dadurch werden plötzlich viel kleinere Ausschnitte möglich. Hell erklärt dieses Verfahren anschaulich in einem Video der Max-Planck-Gesellschaft.

So funktioniert die STED-Mikroskopie: Mit einem Anregungsfokus wird eine Probe angeregt (links), ein ringförmiger Ausschaltefokus wird darüber gelegt (mitte), der verbleibende fluoreszierende Bereich ist jetzt deutlich kleiner als vorher (rechts). Fotos: Marcel Lauterbach
So funktioniert die STED-Mikroskopie: Mit einem Anregungsfokus wird eine Probe angeregt (links), ein ringförmiger Ausschaltefokus wird darüber gelegt (Mitte), der verbleibende fluoreszierende Bereich ist jetzt deutlich kleiner als vorher (rechts). Fotos: Marcel Lauterbach

Kurz nach der Bekanntgabe seines Chemienobelpreises erklärte Hell in einem Zeitungsinterview: „Wenn ich zwei Punkte nicht trennen kann, weil beide leuchten, dann mache ich eben einen dunkel. Und dann siehst du den anderen Punkt. (…) Wenn ich das einfallende Licht bündele, dann treffe ich viele Moleküle. Aber wenn ich dafür sorge, dass alle Moleküle dunkel sind, außer einem, oder wenigen, dann kann ich das eine, oder die wenigen, die leuchten, von den anderen trennen.“ Mit dieser Methode können sogar lebende Zellen betrachtet werden, so lange man sie farblich markieren kann; es sind auch keine extrem dünnen Schnitte nötig. Und diese neue Methode ist so schnell, dass sogar dynamische Prozesse beobachtet werden können.

Nun ging es mit Hells Karriere schnell voran: 1997 bekam Hell seine eigene Forschungsgruppe am Göttinger Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie, ein Jahr zuvor hatte er sich in Heidelberg habilitiert. Im Jahr 2000 gelang die experimentelle Bestätigung seiner Theorie, zwei Jahre später wurde er zum Direktor des Max-Planck-Instituts in Göttingen berufen. Im Jahr darauf bekam er eine außerordentliche Professur an seiner Heimatuniversität Heidelberg.

Am liebsten spielt Stefan Hell Jazz und Improvisation auf seinem Saxofon. Leider hat er nicht mehr viel Zeit für dieses Hobby, bedauert er selbst. Irene Böttcher-Gajewski MPIBPC
Am liebsten spielt Stefan Hell Jazz und Improvisation auf seinem Saxofon. Er bedauert, dass er nicht mehr viel Zeit für dieses Hobby hat.  Irene Böttcher-Gajewski MPIBPC

Stefan Hell kam in der rumänischen Kreisstadt Arad als Kind Banater Schwaben zur Welt, er besuchte deutsche Schulen in der Region. Als er 15 war, zog seine Familie nach Ludwigshafen, wo er sein Abitur ablegte und im nahen Heidelberg Physik studierte. Obwohl er ein aufgeweckter Schüler war, hätte damals wohl niemand vorher gesagt, dass er im Dezember 2014 nach Stockholm reisen würde, um die höchste wissenschaftliche Ehrung der Welt entgegen zu nehmen: den diesjährigen Nobelpreis für Chemie „für die Entwicklung der superauflösenden Fluoreszenz-Mikroskopie“, zusammen mit den amerikanischen Physikern Eric Betzig und William E. Moerner. Der zurückhaltende Forscher, Vater dreier Kinder, hat seine Teilnahme an der 65. Lindauer Nobelpreisträgertagung im Sommer 2015 bereits fest zugesagt – zusammen mit Betzig und Moerner!

Eric Betzig also won the 2014 Nobel Prize in Chemistry. Photo: Matt Staley HHMI
Eric Betzig bekam den Chemienobelpreis 2014 zusammen mit Stefan Hell. Foto: Matt Staley HHMI

Eric Betzig leitet eine Forschungsgruppe am Janelia Research Campus des Howard Hughes Medical Institutes in Ashburn, Virginia. Zusammen mit Harald Hess entwickelte er das sogenannte PALM-Verfahren der Fluoreszenzspektroskopie: Genau wie Hell arbeitet dieses Verfahren mit dem An- und Ausschalten von Molekülen, die zum Leuchten angeregt werden. Doch anders als bei Hell „knipst“ ein Forscher bei PALM (photoactivated localization microscopy) immer nur wenige Moleküle an und beobachtet diese, während sie „verglühen“. Erst im Anschluss werden die nächsten Moleküle derselben Probe zum Leuchten gebracht – die Moleküle „blinken“ also nach einander auf. Bemerkenswert ist, dass Betzig und Hess diese Methode außerhalb des Wissenschaftsbetriebs entwickelt haben, buchstäblich im Wohnzimmer von Hess.

William E. Moerner is the third recipient of the 2014 Nobel Prize in Chemistry. Photo: Kevin Lowder
William E. Moerner ist der dritte Chemienobelpreisträger 2014. Foto: Kevin Lowder

William E. Moerner ist Professor für Chemie an der Standford University. Seine Arbeitsgruppe verwendet ebenfalls photoaktivierbare Fluoreszenzproteine (PA-FPs), genau wie die PALM-Methode. Ergänzt wird dieses Vorgehen aber durch zwei rotierende Laserdioden, die ein dreidimensionales Bild der Moleküle ermöglichen, genannt „Double-Helix Point Spread Function”, kurz DH-PSF, denn während des Versuchs fühlt man sich an das Bild einer DNA-Doppelhelix erinnert. Moerner gelang damit erstmals die genaue Lokalisierung und die spektroskopische Beschreibung einzelner Moleküle in Festkörpern.

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.