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Published 28 August 2015 by Susanne Dambeck

War da was mit kosmischen Gravitationswellen?

Solch eine Aufregung im Vorfeld einer Pressekonferenz ist selten: jede Menge Getrommel und gleichzeitig Geheimniskrämerei – etwas ganz Großes sollte am 17. März 2014 im Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics verkündet werden. Als es um zwölf Uhr mittags endlich losgeht, berichten die aufgeregten Forscher um John Kovac, dass sie Spuren von Gravitationswellen in der kosmischen Hintergrundstrahlung entdeckt hätten, also dem „Cosmic Microwave Background“, kurz CMB. Diese sollen aus der Zeit der kosmischen Inflation stammen, also aus dem allerersten Moment nach dem Urknall. Gleichzeitig erschien eine wissenschaftliche Publikation, die allerdings nicht das sonst übliche Peer-Review-Verfahren durchlaufen hatte; diese Prüfung auf Herz und Nieren wurde erst in den folgenden Monaten nachgeholt.

Zwei Teleskope der Amundsen-Scott Südpolstation: rechts das BICEP2-Teleskop, daneben das
Zwei Teleskope der Amundsen-Scott-Südpolstation: rechts das BICEP2-Teleskop, daneben das “South Pole Telescope”. BICEP ist die Abkürzung von “Background Imaging of Cosmic Extragalactic Polarization”. Foto: Amble, CCL 3.0

Weshalb die ganze Aufregung? Hinweise auf die kosmische Inflation mithilfe von Gravitationswellen zu finden, bedeutet „zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen“. Das Konstrukt der Inflation ist bislang eine reine Theorie. Es stammt aus den 1980er Jahren und sollte Unstimmigkeiten in der Urknalltheorie ausbügeln. Es postuliert ein unvorstellbar schnelles Ausdehnen des Kosmos im winzigsten Bruchteil einer Sekunde nach dem Urknall. Viele Forscher glauben nun, dass eine solche gewaltige Ausdehnung Gravitationswellen ausgelöst haben müsste. Diese Wellen wiederum sind ein zentraler Bestandteil von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie aus dem Jahr 1915 – diese bildet nach wie vor die Grundlage des heutigen Standardmodells der Kosmologie.

Einsteins berühmte Theorie besagt, dass Raum und Zeit nicht absolut sind, sondern relativ: Zeit vergeht messbar schneller in der Bergen oder langsamer bei sehr hohen Geschwindigkeiten, und der Weltraum wird durch die Gravitationskraft großer Massen gekrümmt. Bewiesen wurde das in der Sonnenfinsternis 1919, als die Sterne in Sonnennähe scheinbar ihre Position verändert hatten – in Wirklichkeit war nur ihr Licht von der Sonnenmasse gekrümmt worden. Kurz: Mit der herkömmlichen Newtonschen Physik kann man Brücken bauen, aber keine Satelliten. Einstein sagte voraus, dass energiereiche Ereignisse wie kollidierende Schwarze Löcher Wellen in der Raumzeit auslösen würden, welche diese enormen Energiemengen wegtransportieren.

Physiknobelpreisträger Brian Schmidt mit einem Bild seines berühmtesten Vorgängers während seines Vortrags 2014 zum Thema Kosmologie. Seinen aktuellsten Vortrag aus dem Jahr 2015 finden Sie hier. Foto: Rolf Schultes/LNLM
Physiknobelpreisträger Brian Schmidt mit einem Bild seines berühmtesten Vorgängers während seines Kosmologie-Vortrags 2014 in Lindau. Seinen aktuellsten Vortrag von 2015 finden Sie hier. Foto: Rolf Schultes/LNLM

Diese flüchtigen Wellen sind zwar noch nie direkt beobachtet worden, aber es gibt indirekte Hinweise auf sie: Russel Hulse und Joseph Taylor erhielten 1993 den Physik-Nobelpreis für die Entdeckung eines Systems aus zwei Pulsaren, das Energie in genau jener Menge zu verlieren scheint, die Einsteins Theorie vorhersagt. Seit dieser Entdeckung 1974 hat sich ein neues wissenschaftliches Feld etabliert, das diese Wellen jagt. Die Forscher sind hochgradig vernetzt, denn ein Ereignis an einem Instrument müsste sich durch die anderen Instrumente bestätigen lassen. Die wichtigsten Instrumente auf der Jagd nach Gravitationswellen sind Laser-Interferometer. Manche dieser Laserstrahlen sind mehrere Kilometer lang: Man hofft, dass das Laserlicht von den lichtschnellen Gravitationswellen minimal, aber messbar verändert wird. Solche Anlagen stehen in den USA, aber auch bei Hannover, in Italien und in Japan.

In Zukunft werden sogar spezielle Weltraumteleskope nach Gravitationswellen suchen: Diesen November soll die „LISA pathfinder mission“ der ESA starten, um die Technologie für die spätere eLISA Mission („Evolved Laser Interferometer Space Antenna“) zu testen, auch hier geht es um Laser-Interferometrie. Der Start von eLISA ist für die 2030er Jahre angedacht. Doch es gibt auch weitere erdgebundene Beobachtungen: Die Südpol-Teleskope BICEP1 und BICEP2 starrten drei Jahre lang auf dasselbe Stückchen des Südhimmels, um typische Polarisierungen in der Hintergrundstrahlung zu entdecken. Das Resultat ist die spektakuläre Pressekonferenz im März 2014.

Nördlicher Arm des LIGO-Interferometers in Hanford, Washington. LIGO steht für “Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory”. Das dortige Instrument hat zwei
Nördlicher Arm des LIGO-Interferometers in Hanford, Washington. LIGO steht für “Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory”. Das dortige Instrument hat zwei “Arme”, die beide mehrere Kilmeter lang und in einem 90-Grad-Winkel angeordnet sind. Fotograf unbekannt, public domain

Milliarden Euro und Dollar wurden schon in die Suche nach Gravitationswellen oder nach Spuren der kosmische Inflation investiert, von zahllosen Wissenschaftskarrieren ganz zu schweigen. Das erklärt auch die Aufregung bei der Pressekonferenz 2014: Wenn jahrzehntelang mit hohen Kosten gesucht wird, ist die Begeisterung um so größer, wenn man tatsächlich etwas findet. Doch die Monate nach diesem „Superknaller“ brachten Ernüchterung. Schließlich verglich das BICEP2-Team seine Daten mit denjenigen des Planck-Satelliten. Im April 2015 kamen beide Teams gemeinsam zu dem Schluss, dass die „Sensation“ ein Jahr zuvor wohl nichts als kosmischer Staub gewesen sei. Auch Nobelpreisträger Robert Wilson erklärte auf dem 65. Lindauer Nobelpreisträgertreffen diesen Sommer, das BICEP2-Team habe wohl hauptsächlich Staub gesehen. Er war bei der legendären Pressekonferenz anwesend, aber nicht auf der Tribüne; Wilson hatte die kosmische Hintergrundstrahlung in den 1970er Jahren entdeckt.

Nobelpreisträger Robert W. Wilson während seines Vortrags über die Hintergrundstrahlung auf dem 65. Lindauer Nobelpreisträgertreffens. Foto: Adrian Schröder/LNLM
Nobelpreisträger Robert W. Wilson während seines Vortrags über die kosmische Hintergrundstrahlung auf dem 65. Lindauer Nobelpreisträgertreffen. Foto: Adrian Schröder/LNLM

Was bedeutet nun diese neueste Wendung für das Standardmodell der Kosmologie? Es zeigt sich eher unbeeindruckt. Nach wie vor suchen viele Forschergruppen nach Gravitationswellen sowie nach Hinweisen, dass die Inflation wirklich stattgefunden hat. Beide Forschungsrichtungen haben oder planen neue, bessere Instrumente – BICEP3 ist bereits am Start. Und sowohl das BICEP-Team als auch die Kritiker ihrer Interpretation sagen, dass die Forschung mehr und bessere Daten braucht, um Spuren der Inflation im CMB zu finden – falls es sie gibt.

Das Standardmodell steht in dem Ruf, viele Beobachtungen und Entdeckungen erklären zu können, wodurch es immer wieder Bestätigung erfährt. Allerdings gibt es auch ein gewisses Unbehagen angesichts der Tatsache, dass „wir bei 95 Prozent der Materie und Energie annehmen müssen, dass sie aus etwas bestehen, das wir überhaupt nicht kennen“, so Nobelpreisträger Brian Schmidt. Er bezieht sich auf die geschätzten Anteile von 25 Prozent Dunkler Materie und 70 Dunkler Energie im Universum. Die uns vertraute Materie, also der Stoff, aus dem Sterne, Planeten und wir Menschen bestehen, macht nach dieser Theorie nur knapp 5 Prozent der Gesamtmaterie aus. Schmidt hat außerdem einen guten Rat für seine Kollegen parat: „Begegnet dem Universum niemals mit vorschnellen Urteilen. Es macht, was es will, und wir als Wissenschaftler müssen herausfinden, was das ist. Dabei sollten wir nicht der Fehlannahme aufsitzen, dass es sich in irgendeiner Weise um unsere Annahmen scheren würde.“

Drei Himmelskarten der Hintergrundstrahlung von drei verschiedenen Satelliten; jedes Himmelsstück hat eine Fläche von zehn Quadratgrad. Links NASAs
Drei Himmelskarten der Hintergrundstrahlung von drei verschiedenen Satelliten, jedes Himmelsstück hat eine Fläche von zehn Quadratgrad. Links NASAs “Cosmic Background Explorer” COBE, gestartet 1989. WMAP war das nächste NASA-Weltraumteleskop: “Wilkinson Microwave Anisotropy Probe”. Der europäische Planck-Satellit, gestartet 2009, hat die bislang höchste Auflösung. Image: NASA/JPL-Caltech/ESA, public domain

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.