Veröffentlicht 29. Dezember 2014 von Susanne Dambeck
Eugene Wigner: Ein bescheidenes Genie
Obwohl Wigner einer der wichtigsten Physiker des 20. Jahrhunderts war, ist er trotzdem ein wenig bekanntes Genie. Er starb vor zwanzig Jahren.
Während seines langen Forscherlebens formulierte der amerikanisch-ungarische Physiker mindestens 27 Gleichungen, Gesetze und Formeln, die seinen Namen tragen, darunter 23 physikalische Gesetze und vier mathematische Gleichungen. In den 1920er Jahren integrierte er die Symmetrie-Ideen der „Gruppentheorie“ in die sich gerade entwickelnde Quantenmechanik. Schon als Student in Berlin hatte er alle wichtigen Forscher seiner Zeit kennengelernt: Einstein, Schrödinger, Planck, Heisenberg und noch viele mehr, meist beim Mittwochs-Kolloquium der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, anschließend ging es ins Kaffeehaus. Trotz seiner wegweisenden Beiträge zur modernen Quantenmechanik blieb er bescheiden. Als er 1963 den Physiknobelpreis erhielt, kommentierte er: „Ich dachte immer, meine Name käme nur in die Zeitung, wenn ich etwas Verbotenes täte.“
Eugene Wigner kam 1902 in Budapest zur Welt. Als junger Mann studierte er Chemie-Ingenieurswesen an der Technischen Hochschule in Berlin. Dort lernte er den ungarischen Physiker Leó Szilárd kennen, der schnell sein bester Freund wurde. Wigner promovierte 1925 mit der Arbeit „Bildung und Zerfall von Molekülen“. Während einer Phase in Göttingen entwickelte er seine mathematischen Ansätze weiter. Im Jahr 1930 bot ihm die Princeton University in New Jersey eine einjährige Professur an – mit dem siebenfachen Gehalt, verglichen mit seiner Berliner Bezahlung. Im Jahr darauf unterzeichnete er einen Fünfjahresvertrag, der vorsah, dass er jeweils sechs Monate in Princeton unterrichten würde; die andere Jahreshälfte deckte die Technische Hochschule ab.
Doch nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 konnte er wegen seiner jüdischen Herkunft nicht nach Berlin zurückkehren. Da Princeton ihm 1936 keine Verlängerung anbot, akzeptierte er eine Stelle an der University of Wisconsin. Dort lernte er Amelia Frank kennen, seine erste Frau, eine Physikstudentin. Wigner wurde 1937 amerikanischer Staatsbürger und holte seine Eltern in die USA. Seine Schwester war mit dem britischen Physiker Paul Dirac verheiratet; Wigner hatte die beiden miteinander bekannt gemacht. Im Jahresverlauf 1937 starb seine Frau völlig unerwartet – ein schwerer Schlag. Als Princeton ihm eine Rückkehr anbot, nahm er gerne an.
Der eher zurückhaltende, bescheidene Forscher schrieb 1939 Weltgeschichte, als er zusammen mit Szilárd und Albert Einstein den berühmten Brief an Präsident Roosevelt schrieb, in dem die Befürchtung geäußert wurde, Nazi-Deutschland könne bald die Atombombe besitzen, und in dem auf ein amerikanisches Atomwaffenprogramm gedrängt wurde. Zum Hintergrund: 1938 hatte Otto Hahn in Berlin erstmals eine künstliche Kernspaltung herbeigeführt. Der Brief erreichte Roosevelt erst nach dem deutschen Angriff auf Polen in September 1939 – der Präsident war überzeugt und das „Manhattan-Projekt“ wurde etabliert. Im Rahmen dieses Projekts leitete Wigner eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Planung von Reaktoren zur Herstellung von waffenfähigem Plutonium befasste. Anders als Einstein bereute Wigner nie seine Rolle beim Bau der Atombombe, er war nur enttäuscht, dass diese nicht schon Jahre früher fertig wurde – er hatte in dieser Zeit große Sorge, dass die Nazis den Krieg gewinnen könnten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Princeton wieder seine Heimat-Universität. Schon 1941 hatte er Mary Annette Wheeler geheiratet, eine Physikprofessorin vom Vassar College, damals eine reine Frauenuniversität. Die beiden bekamen einen Sohn und eine Tochter. Nach dem Tod seiner zweiten Frau 1977 heiratete er die Witwe des Dekans der Princeton Graduate School, Eileen Clare-Patton Hamilton, die ihn auch nach Lindau begleitete.
Während seiner langen Karriere blieb Wigner immer neugierig und vielseitig. Sein Artikel „The unreasonable effectiveness of mathematics in the natural sciences“ ist wohl sein bekanntestes Werk jenseits von Fachbüchern und -artikeln. Er sagt darin, dass die Effektivität der Mathematik ein Geschenk sei, dass wir weder verstehen noch verdienen würden. Wigners Matrizen, Formeln und Gleichungen werden noch heute in der Mathematik und der Quantenmechanik verwendet, die Resultate seiner Forschung wirken bis heute. Ein Beispiel: 1953 sagte er voraus, dass Wasserstoff unter extremen Druckbedingungen metallische Eigenschaften bekommen würde. Heute gehen viele Forscher davon aus, dass das Magnetfeld des Gasplaneten Jupiter auf einen großen Kern aus metallischem Wasserstoff zurückgeht. Manche vermelden sogar, diesen unter Laborbedingungen hergestellt zu haben. Die Jagd nach dem exotischen Stoff geht weiter, und Wigners legendärer Ruf lebt in der Fachwelt fort.
Eugene Wigner nahm an vier Lindauer Nobelpreisträgertagungen teil, in den Jahren 1968, 1971, 1979 und 1982. Einen Mitschnitt seiner Lecture von 1982 findet man in der Lindau Mediatheque.