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Published 9 February 2017 by Susanne Dambeck

Roger Tsien über Leuchtfarben, Quallen und Korallen

Roger Tsien gehörte zweifellos zu den kreativsten und produktivsten Forschern der Gegenwart. Er erhielt den Chemienobelpreis 2008 „für die Entdeckung und Entwicklung des grün fluoreszierenden Proteins GFP“, gemeinsam mit Martin Chalfie und Osamu Shimomura. Mit der Hilfe von GFP können Forscher lebene Zellen in Echtzeit bei ihrer ganz normalen Zellaktivität beobachten. Haben sie an einem bestimmten Protein Interesse, das ein Organismus herstellen kann, können sie das GFP-Gen mit jenem Gen verbinden, das genau dieses Protein herstellt. Ab diesem Moment kann der ganze Weg dieses Proteins verfolgt werden, weil es unter blauem oder ultravioletten Licht leuchtet, also fluoresziert.

Die Vorteile gegenüber anderern Markierungsmethoden liegt auf der Hand: GFP ist für den Organismus ungifitig, und auch das Licht, das man braucht um es zu sehen, ist unschädlich, anders als beispielsweise radioaktive Strahlung. GFPs und ähnliche fluoreszierende Marker sind schon in zahlreiche Organismen eingefügt worden, von Hefepilzen über Fische und Insekten bis hin zu Säugetieren und menschlichen Zellkulturen. Ursprünglich stammt das GFP-Gen von der Qualle Aeguorea victoria, daher bedankte sich Tsien in seiner Festrede beim offiziellen Nobelpreisbankett am 10. Dezember 2008 in Stockholm bei diesem Tier: „Meine letzte Danksagung gilt sowohl den Quallen als auch den Korallen: Möget ihr für lange Zeit intakte Habitate haben, in denen ihr ungestört leuchten könnt!“ Weitere Fluoreszensmarker stammen nämlich von Korallen, andere wiederum von speziellen Bakterien.

 

Ein Gen dieser Maus ist dem GFP-Gen markiert worden. Nun leuchtet sie grün unter ultrabviolettem Licht - und alle ihre Nachkommen! Die Abbildung stammt aus dem 2010er Vortrag von Roger Tsien in Lindau. Foto: Bastian Greshake, CC BY-SA 2.0
Ein Gen dieser Maus ist dem GFP-Gen markiert worden. Nun leuchtet sie grün unter ultrabviolettem Licht – und alle ihre Nachkommen! Die Abbildung stammt aus dem 2010er Vortrag von Roger Tsien in Lindau. Foto: Bastian Greshake, CC BY-SA 2.0

 

Bereits als Physiologie-Doktorand in Cambridge in Großbritannien entwickelte Roger Tsien seine ersten Farbstoffe, zunächst für die Kennzeichnung der Kalziumaktivität in Zellen. Sicherheitshalber hatte er seinem Doktorvater nichts von seinem neuen Steckenpferd erzählt, weil er befürchten musste, dieser würde ihm einen langen Vortrag darüber halten, wie wichtig es sei, zuerst das eine Projekt abzuschließen bevor man das nächste beginnt. Manche dieser Farbstoffe werden heute noch verwendet, zum Beispiel BAPTA und Fura-2; letzteren entwickelte Tsien als Assistenzprofessor in Berkeley.

Im Jahr 1989 wechselte er dann an die University of California in San Diego, in erster Linie wegen der deutlich besseren Laborausstattung dort. In den folgenden Jahren entwickelte seine Arbeitsgruppe zahlreiche Fluoreszenzfarbstoffe die “in allen Farben des Regenbogens leuchten”, so das Nobelpreiskomitee in Stockholm. Seine Forschungsgruppe fand außerdem Fluoreszenzindikatoren für zahlreiche Ionen wie Kupfer, Magnesium, Eisen, Blei, Kadmium und viele weitere.

Anlässlich der Nobelpreisverleihung 2008 erzählte er der Zeitung San Diego Union-Tribune, dass er schon als Kind von Farben fasziniert war. „Wäre ich farbenblind auf die Welt gekommen, hätte ich mir bestimmt ein anderes Thema gesucht.“ Schon als Schulkind führte er im Keller seiner Eltern in Livingston, New Jersey zahlreiche chemische Experimente durch, so schreibt er in seinem autobiografischen Essay für die Website Nobelprize.org, und auch damals motivierte ihn „eine frühe und langanhaltende Begeisterung für schöne Farben“. Am Anfang dieses Essays steht ein Witz: „Was haben Grundschüler und Nobelpreisträger gemeinsam? Beide müssen auf Knopfdruck autobiografische Aufsätze schreiben.“

 

Roger Tsien giving his 2014 lecture at the 64. Lindau Nobel Laureate Meeting. Photo: Rolf Schultes/Lindau Nobel Laureate Meetings
Roger Tsien giving his 2014 lecture at the 64. Lindau Nobel Laureate Meeting. Photo: Rolf Schultes/Lindau Nobel Laureate Meetings

Roger Tsiens Vater war ein Luftfahrtingenieur, der in den USA keine passende Anstellung finden konnte, trotz eines Abschluss von der amerikanischen Eliteuniversität MIT, weil er als Chinese keine Sicherheitsfreigabe bekam. Nach verschiedenen Jobs fand er schließlich eine Anstellung in der Abteilung für Vakuumröhren der Firma RCA, kurz für Radio Corporation of America, in New Jersey. Nun wollten die Eltern ein Haus in der Nähe kaufen, Roger war zu dieser Zeit sieben Jahre alt. Doch der Bauunternehmer wollte ihnen das Haus ihrer Wahl nicht verkaufen mit dem Argument, dann würden die anderen Häuser unverkäuflich, weil niemand neben Chinesen wohnen wollte. Daraufhin schrieb das Ehepaar Tsien einen Brief an den Gouverneur von New Jersey, der wiederum dem Bauunternehmer schriftlich mitteilte, dass Diskriminierung aufgrund der Herkunft in den USA illegal sei. So kam die Familie Tsien schließlich zu ihrem Haus.

Und nur neun Jahre später machte derselbe Bauunternehmer mit einem Foto von Roger Tsien Werbung für seine Häuser! Anlass war der erste Preis eines landesweiten Forschungswettbewerbs, den der sechzehnjährige Roger gewonnen hatte. Der Bauunternehmer wollte mit seinem Foto für die guten öffentlichen Schulen werben, dabei hatte sich Roger die anorganische Chemie anhand von Lehrbüchern überwiegend selbst beigebracht. Für den Westinghouse-Talentwettbewerb hatte er die Ergebnisse eines kleinen Projekts zusammengefasst, das er im Rahmen eines NSF-Nachwuchsprogramms an der Ohio University durchführen durfte. Er hatte dort die Aufgabe zu erforschen, wie sich verschiedene Metalle an Thiocyanate binden. „Weil ich nichts anderes vorzuweisen hatte, versuchte ich, aus dem Chaos unklarer Daten irgendwelche Schlüsse zu ziehen,“ schrieb er bescheiden im Nachhinein. Zu seiner großen Überraschung gewann er damit den ersten Preis.

 

Kunst aus der Petrischale: Mit verschiedenen fluoreszierenden Bakterien hat Nathan Shaner im Jahr 2006 im Labor von Roger Tsien in San Diego eine Strandszene in eine Petrischale 'gemalt'. Verwendet werden Farbstoffe, die auf dem GFP-Gen basieren, sowie Korallenfarbstoffe. Photo: Paul Steinbach, Credit: Nathan Shaner, CC BY-SA 3.0
Kunst aus der Petrischale: Mit verschiedenen fluoreszierenden Bakterien hat Nathan Shaner im Jahr 2006 im Labor von Roger Tsien eine Strandszene in eine Petrischale ‘gemalt’; das Labor befindet sich in San Diego, daher das Motiv. Verwendet wurden Farbstoffe, die auf dem GFP-Gen basieren, sowie Korallenfarbstoffe. Photo: Paul Steinbach, Credit: Nathan Shaner, CC BY-SA 3.0

Im selben Jahr, mit gerade mal 16 Jahren, begann Roger Tsien mit Hilfe eines Stipendiums in Harvard zu studieren. Mit einem Bachelor of Science in Chemie und Physik schloss er dieses Studium ab und ging nach England, um dort im Fach Physiologie zu promovieren. Er interessierte sich für die Schnittstelle zwischen Chemie und Biologie und wollte sich nicht auf ein Fach festlegen. Danach entfaltete sich seine unglaublich produktive Forscherkarriere. Roger Tsien nahm an fünf Lindauer Nobelpreisträgertreffen teil, und seine fünf Vorträge dort spiegeln sein breites Interesse an verschiedenen Forschungsthemen wider. In seinem 2015er Vortrag beispielsweise sprach er über zwei ganz unterschiedliche Themen: Krebsforschung und Langzeitgedächtnis. Auch wenn beide Themen scheinbar nichts mit einander zu tun haben, so handeln doch beide auf molekularer Ebene von Proteasen, also von Enzymen, die andere Proteine spalten können. Tsien selbst erklärt, dass seine Motivation, sich mit Krebsforschung zu beschäftigen durch den Krebstod seines Vaters ausgelöst wurde. Gemeinsam mit dem Arzt Quyen T. Nguyen entwickelte er eine fluoreszensgestützten Operationstechnik, bei der nicht nur alle Tumorzellen eingefärbt werden, damit der Chirurg sie möglichst vollständig entfernen kann, sondern auch alle wichtigen Strukturen wie Nerven, die nicht verletzt werden dürfen, gefärbt werden.

Das zweite Thema seines Vortrags war die Speicherung von Langzeiterinnerungen im sogenannten Perineuronalen Netz, kurz PNN, das als Matrix zwischen den Zellen für die Stabilität des erwachsenen menschlichen Gehirns sorgt. Nachdem Tsien sich sein ganzes Forscherleben hindurch mit Vorgängen innerhalb von Zellen befasst hat, „musste ich mich jetzt plötzlich mit der extrazellulärer Matrix beschäftigen“, ergänzte er in seinem Vortrag. Löcher in der PNN sind die eigentlichen Speichermedien, „wie in einer 3D Lochkarte“ – erst da wurde ihm klar, dass die meisten Nachwuchsforscher im Raum noch nie eine Lochkarte benutzt hatten. Im Mausmodell gelang ihm, ungefähr die Hälfte aller Langzeiterinnerungen durch die Gabe einer bestimmten Matrix-Metalloprotease (MMP) zu löschen. Er geht davon aus, dass ein deutlich größerer Anteil gelöscht werden kann, wenn die weiteren beteiligten Proteasen bekannt sind. Klingt ein bisschen nach dem ‘Neuralyzer’ aus dem Film Men in Black, oder?

Am 24. August 2016 starb Roger Tsien völlig unerwartet auf einem Radwanderweg in Eugene, Oregon im Alter von nur 64 Jahren. An diesem Tag verlor die Welt einen genialen Forscher sowie eine faszinierende Persönlichkeit mit einem großartigen Sinn für Humor.

 

Roger Tsien (1952 - 2016) während der traditionellen Bootsfahrt zur Insel Mainau am letzten Tag des Lindauer Nobelpreisträgertreffens 2009. Foto: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings
Roger Tsien (1952 – 2016) mit Nachwuchsforschern während der traditionellen Bootsfahrt zur Insel Mainau am letzten Tag des Lindauer Nobelpreisträgertreffens 2009. Foto: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.