Veröffentlicht 12. Januar 2015 von Susanne Dambeck
Preisträger dürfen „ein bisschen von sich preisgeben“
Volker Steger hatte eine Idee: Er ließ Nobelpreisträger zeichnen, meist ihr Spezialthema, dann fotografierte er sie samt Zeichnung. Eine Ausstellung dieser Bilder hat schon die ganze Welt bereist.
Tim Hunt gehörte zu den ersten Portraitierten in diesem ungewöhnlichen Projekt. Humorvoll kommentiert er diese Erfahrung im Ausstellungskatalog „Die Leute wurden ja reingelegt, sie wurden förmlich in einen Hinterhalt gelockt! Aber seltsam, auf den Fotos sehen sie ganz zufrieden aus, als wären sie froh, ihre Entdeckungen mit einer breiten Öffentlichkeit teilen zu können. Wären sie genau so froh und zufrieden, wenn sie vorgewarnt worden wären? (…) Meiner Meinung nach zeigen diese Fotos vor allem, dass Wissenschaft einen Riesenspaß machen kann.“
Herr Steger, wie haben Sie den Fototermin mit Tim Hunt erlebt?
Das ist ein lustiger, wahnsinnig netter Kerl. Und er hatte mein Projekt sofort verstanden. Es ist ihm ein Anliegen, dass Nobelpreisträger auch einmal anders dargestellt werden, es war ihm ein Bedürfnis, deren Image ein bisschen zurecht zu rücken. Ein Beispiel: Eigentlich heißt er ja offiziell „Sir Timothy“, er ist zum Ritter geschlagen worden, wie alle britischen Nobelpreisträger. Aber er legt keinerlei Wert auf diese Anrede, er ist für alle „Tim Hunt“, oder einfach nur „Tim“. Wenn man das Foto betrachtet, dann sieht man, dass er ganz offensichtlich Spaß an der ganzen Aktion hatte, am Ende ist er sogar in die Luft gehopst – diesen Moment habe ich festgehalten. Er ist einer der wenigen, mit denen ich mich etwas angefreundet habe, er war auch schon auf mehreren Ausstellungseröffnungen meiner „Sketches of Science“, wie das Projekt heißt.
Das war vor rund sechs Jahren. Seitdem haben Sie fast neunzig Nobelpreisträger zeichnen lassen. Was können Sie über das schöne Portrait von Elizabeth Blackburn erzählen?
Sie war total übernächtigt, sie kam gerade frisch aus Australien, deshalb forderte sie lauthals „Lots of caffeine for me, please!“. Sie kam zu früh in mein improvisiertes Fotostudio am Rande der Nobelpreisträgertagung, ich war gerade noch dabei, Oliver Smithies zu fotografieren, und sie trank ihren Kaffee. Sie trinkt wohl immer viel davon, was mich wundert, denn ich kenne kaum einen Laureaten, der so auf die eigene Work-Life-Balance achtet wie sie. Das ist ja auch ihr Forschungsgebiet, sie macht Altersforschung auf molekularbiologischer Ebene. Sie konnte zeigen, dass der Lebensstil einen Einfluss hat bis hinunter auf die DNA, genauer bis auf die Ebene der Telomere. Das finde ich eines der erstaunlichsten Forschungsthemen. Ich bin ja selbst Biologe, ich versuche schon, mich ein bisschen in die Themen der Leute einzudenken. Und sie kann toll zeichnen, und ich finde, man sieht dem Bild an, dass sie trotz Müdigkeit Spaß an allem hatte.
Wie sind Sie überhaupt auf die Idee zu diesem Projekt gekommen?
Die Idee kam mir beim Radfahren, aber sie hat natürlich eine Vorgeschichte. Ich hatte den Auftrag für ein Fotoshooting von Nobelpreisträgern in Lindau, für ein italienisches Magazin. Eine Pressedame vom CERN sollte sie interviewen, und zwar mit einer Art Proust’schen Fragebogen: Alle bekommen die gleichen Fragen, aber angepasst, also: „Welche Sache hätten Sie gerne erfunden?“, anstatt: „Welche kriegerische Leistung bewundern Sie besonders?“, wie es im Original heißt. Dazu sollte ich alle auf demselben Stuhl sitzend fotografieren. Ich bereitete mich also vor, aber hatte die ganze Zeit das ungute Gefühl einer verschenkten Gelegenheit. Als junger Foto-Assistent war ich schon mal auf der Lindauer Tagung gewesen und hatte den Eindruck, dass man dort auch mal was ganz anderes ausprobieren könnte. Einen Tag, bevor ich nach Lindau fuhr, kaufte ich also große weiße Blätter und packte dicke Wachsmalkreiden meiner kleinen Tochter dazu.
Das andere Projekt lief wie geplant, wir waren naturgemäß recht schnell mit jedem Laureaten fertig. Da fragte ich: „Haben Sie noch zehn Minuten Zeit?“ und gab ihnen die Blätter und den Auftrag, die Entdeckung zu zeichnen, für die sie den Preis bekommen hatten. Das ging ab wie eine Rakete! Ich hatte natürlich Glück, dass Tim Hunt einer meiner erster Kandidaten war. Im Laufe der Jahre haben ja ein paar wenige Preisträger partout nicht mitmachen wollen. Wären diese Totalverweigerer gleich am Anfang dran gewesen – das Projekt wäre sicherlich gestorben.
Wie viele Preisträger wollten denn nicht mitmachen?
Das waren sehr wenige, ich erinnere mich nur an drei. Einer meinte, er wäre zu alt zum Zeichnen. Später habe ich gesehen, dass er an einer leichten Parkinson-Erkrankung leidet. Ein anderer meinte, er könne überhaupt nicht zeichnen, ein dritter sagte, bei Kunstaktionen jeder Art mache er nicht mit.
Ein besonderes Erlebnis war der Termin mit Aaron Ciechanover. Zunächst erschien er mit vielen Begleitern in meinem kleinen Studio, die meisten wohl Familienmitglieder. Dann meinte er, zeichnen käme überhaupt nicht in Frage, seine Arbeit sei so dynamisch, das könne man nur in einem Video darstellen. Meine Antwort: „Video gibt es aber heute nicht.“ Schließlich feilte er an einem Gedicht, in dem es darum geht, dass der Körper sich ständig erneuert – wie ein Wasserglas, das nie leer wird. Dazu bestellte er eine Flasche Wasser und ein Glas. Ciechanover hat also den Fototermin in eine Performance verwandelt!
Was haben Sie über Nobelpreisträger heraus gefunden?
Meine eigene, private Forschungsfrage war ursprünglich: Was verbindet diese Menschen? Inzwischen habe ich eine Antwort: Der Preis verbindet sie, und sonst nichts. Sie sind alle sehr verschieden, sehr individuell. Aber sie verbindet natürlich die Erfahrung, diese Auszeichnung bekommen zu haben, und ab diesem Zeitpunkt prägt sie das natürlich auch. Es gibt viele, die sind einfach nett und unkompliziert, und die bleiben auch so, mit oder ohne Preis. Bei anderen greift ein Effekt, der erst mit dem Preis einsetzt: das fehlende Korrektiv. In der Wissenschaft bekommen sie mit einem Nobelpreis keine Widerworte mehr, selbst wenn sie sich zu Dingen außerhalb ihres Fachs äußern sollen, über die sie im Grunde auch nicht mehr wissen als der Durchschnittsbürger. Also man braucht schon eine Menge innerer Größe, um damit klar zu kommen.
Auf Ihren Bildern wird ganz deutlich, dass die meisten Preisträger einen Riesenspaß hatten. Wie erklären Sie sich das?
Also eine Aufgabe zu bekommen, die sie lösen müssen, das ist ihnen ja nicht fremd. Und zeichnen können sie auch mehr oder weniger, schließlich sind das alles Professoren, und sie sind oft in der Situation, ihre Arbeit darstellen zu müssen. Aber dabei haben sie normalerweise wenig Freiheiten. Ich glaube, das war eine Gelegenheit, ein bisschen von sich preisgeben zu dürfen. Denn sie sind ja in einer ambivalenten Situation: Ihr Umfeld nimmt sie fast wie Popstars wahr, aber auf der Straße erkennt sie niemand. Ich glaube auch, dass ihnen die Zeichnung in der Hand geholfen hat, nicht „mit leeren Händen“ vor dem Fotografen stehen zu müssen, der ja die schwierige Aufgabe hat, irgendwie ihre Persönlichkeit darzustellen, obwohl er sie gar nicht kennt. Sie bekamen von mir quasi die Erlaubnis, für ein paar Minuten zu „spielen“, aus ihrer Rolle zu treten und mit der Zeichnung und der Situation etwas zu machen. Den meisten gefiel das sehr gut.
Es scheint, als ob manche Portraitierte sich besonders abheben wollen. Wie stark ist dieses Bedürfnis, sich zu unterscheiden?
Ja, dieses Bedürfnis ist sehr stark – nicht bei allen, aber es ist sehr häufig. Eine der häufigsten Nachfragen war: „Hat das schon einer gemacht?“ Was sollte ich da antworten? Sollte ich sagen: „Ja, das haben schon drei gemacht“, oder: „Nein, das hat keiner gemacht, Sie sind ja so genial“? Meist habe ich nichts gesagt und einfach weiter fotografiert. Was mich verblüfft hat: Die Preisträger reden gar nicht so viel miteinander. Ich meine jetzt nicht nur über mein Projekt, sondern generell. Auch in Lindau sind sie eher von Nachwuchsforschern umgeben, als dass sie sich zusammensetzen würden. Das hatte ich mir anders vorgestellt, ich dachte, die glucken alle ständig zusammen. Das stimmt aber nicht. Was mir in der Situation im Studio wichtig war: dass die Impulse von den Forschern selbst kommen. Also wenn einer keine Idee hat, wie das laufen kann, dann gebe ich schon Anweisungen, er solle mal laufen und sich drehen oder das Bild hochhalten. Aber wenn sich einer hinter seinem Bild versteckt, es verkehrt herum hält, sich einwickelt oder rein beißt – das sind alles ihre eigenen Impulse.
Wie lange möchten Sie das Projekt noch machen?
Ich habe den persönlichen Ehrgeiz, auf hundert Portraits zu kommen, aber ich weiß nicht, ob das klappt. Vielleicht ist 89 ja auch eine schöne Zahl. Die Ausstellung mit meinen Fotos war schon in Japan und Korea, letzte Woche wurde sie in Kalifornien eröffnet. Die Nobel-Stiftung in Stockholm hat das Projekt quasi adoptiert, und die Tschira-Stiftung unterstützt es finanziell. Außerdem reise ich noch zu einzelnen Laureaten, um Nobellabs zu drehen, dabei entstehen auch immer noch schöne Zeichnungen und Fotos.