BLOG

Veröffentlicht 5. Oktober 2015 von Susanne Dambeck

Nobelpreis 2015: Der Kampf gegen tropische Parasiten

Der diesjährige Medizinnobelpreis ehrt wissenschaftliche Entdeckungen, deren Anwendungen die Tropenmedizin revolutioniert haben. „Diese Entdeckungen haben der Menschheit wirksame Mittel zur Bekämpfung dieser schrecklichen Krankheiten zur Verfügung gestellt, die jährlich hunderte Millionen Menschen heimsuchen“, teilte das Nobelkomitee in Stockholm heute mit. Und meist seien die Verletzlichsten betroffen, nämlich Kinder in Entwicklungsländern.

 

 

Youyou Tu, die chinesische Preisträgerin, die für die Entdeckung eines Malariamedikaments geehrt wurde, kam 1930 in China zur Welt. Ihren Abschluss in Pharmazie machte sie 1955 in Peking, darüber hinaus bildete sie sich später in Traditioneller Chinesischer Medizin weiter. Während der sogenannten Kulturrevolution unter Mao ab Mitte der 1960er Jahre war es fast unmöglich, als Forscher zu arbeiten: Intellektuelle wurden willkürlich deportiert, inhaftiert und gefoltert. Gleichzeitig tobte der Vietnamkrieg, und Malaria stellte für die Kämpfer eine ernsthafte Bedrohung dar, außerdem gab es regelmäßig große Malariaausbrüche in Chinas Südprovinzen. Deshalb rief Mao Zedong das geheime Militärprojekt „Projekt 523“ ins Leben, um wirksame Medikamente gegen Malaria zu finden, denn Medikamente auf der Basis von Chloroquin hatten ihre Wirksamkeit weitgehend verloren.

Youyou Tu wurde zu einer wichtigen Forscherin in diesem Geheimprojekt. Da sie mit allen bekannten Malariamitteln unzufrieden war, suchte sie in über 2000 alten Manuskripten der chinesischen Medizin nach möglichen Wirkstoffen. Tu und ihr Team testeten 380 Substanzen an Mäusen, eines davon, aus der Pflanze Artemisia annua, konnte tatsächlich die Zahl der Parasiten im Blut senken. Die Pharmazeutin isolierte nun den Wirkstoff „Artemisinin“ und testete ihn an sich selbst. Heute ist die Behandlung mit einer Artemisinin-Kombinationstherapie laut WHO der Goldstandard für die Malariabehandlung; die Kombination mit anderen Wirkstoffen ist nötig, um frühzeitige Artemisinin-Resistenzen zu verhindern.

Während Youyou Tu an diesem Medikament forschte, war ihr Mann in einem maoistischen Arbeitslager. Weil sie Malaria-Erkrankungen in der Provinz Hainan erforschte, war sie gezwungen, ihr bis dahin einziges Kind in dieser Zeit in ein Kinderheim zu bringen. Als sie von dem langen Forschungsaufenthalt zurück kam und ihr Kind abholen wollte, erkannte ihre Tochter sie nicht und weinte, als sie mit dieser „Fremden“ nach Hause gehen sollte. „Meine Forschung hatte damals Priorität“, erinnerte sie sich später. „Mein Privatleben musste ich dafür opfern.“ Tu ist die zwölfte Frau, die den Medizinnobelpreis erhält, und sie wird das halbe Preisgeld von acht Millionen schwedischer Kronen (850.000 Euro) erhalten.

 

 

Satoshi Ōmura ist ein japanischer Biochemiker, der sich auf bioaktive Substanzen aus natürlich vorkommenden Mikroorganismen spezialisiert hat. In den 1970er Jahren suchte Ōmura in Bodenproben nach neuen Stämmen von Streptomyces-Bakterien. Er beschrieb Tausende dieser Bakterienkulturen und suchte fünfzig Kulturen aus, die er für besonders geeignet hielt, um schädliche Mikroorganismen zu bekämpfen. Eine davon war „Streptomyces avermitilis“, die Quelle des Wirkstoffs Avermectin, den er 1978 erstmals isolieren konnte. Während seiner langen Karriere entdeckte Ōmura mehr als 400 Wirkstoffe, unter anderem neuartige Antibiotika sowie Krebsmedikamente.

Helminthen sind wurmartige Parasiten, die ihren Wirtsorganismen großen Schaden zufügen. In ihrer Begründung für den diesjährige Nobelpreis konzentrierte sich das Nobelkomitee heute auf die beiden schweren Parasiten-Krankheiten Elefantiasis und Flussblindheit. Doch eine große Zahl solcher Parasiten können viele verschiedene Krankheiten auslösen. Allen gemeinsam ist, dass sie die Gesundheit und das Immunsystem ihres Wirts schwächen. Sie führen auch zu Lernproblemen und können den Verlauf von Krankheiten und Syndromen wie HIV, Malaria oder Tuberkulose verschlimmern. Die Weltgesundheitsorganisation WHO geht von mehr als einer Milliarde Betroffener aus, die mit einem Wurm-Parasiten infiziert sind.

 

 

Nun aber zurück ins Jahr 1978: William C. Campbell, ein aus Irland stammender Biochemiker, bekam Proben von Ōmura; er arbeitete zu dieser Zeit für ein Forschungsinstitut des Pharmaunternehmens Merck in New Jersey. In seiner Forschung konnte Campbell nun zeigen, dass Streptomyces avermitilis besonders effektiv gegen Fadenwurminfektionen bei Nutztieren wirkte. Später wurde aus dem Wirkstoff Avermectin das noch stärker wirksame Ivermectin gewonnen. Diese Substanz wurde nun an Patienten mit parasitären Infektionen getestet: Sie konnte die Larven im Körper sehr effektiv abtöten – und zwar so gründlich, dass sowohl Elefantiasis als auch Flussblindheit laut Nobelkomitee kurz vor der Ausrottung stehen. Campbell arbeitet immer noch als eremitierter Fellow an der Drew University in New Jersey, Ōmura ist Emeritus an der Kitasato Universität in Japan, Tu ist Professorin an der Akademie für traditionelle chinesische Medizin.

Abschließend sagte das Nobelkomitee: „Campbell, Ōmura und Tu haben die Behandlung parasitärer Erkrankungen von Grund auf verändert. Die globale Wirkung ihrer Entdeckungen und ihr Dienst zum Wohle der Menschheit sind unermesslich.“

 

 

Wir sagen: Herzlichen Glückwunsch, und wir freuen uns darauf, die Preisträger nach Lindau einladen zu dürfen.


Verwendete Fotos in der Slider-Grafik: Ⓒ Nobel Media AB 2015Der diesjährige Medizinnobelpreis ehrt wissenschaftliche Entdeckungen, deren Anwendungen die Tropenmedizin revolutioniert haben. „Diese Entdeckungen haben der Menschheit wirksame Mittel zur Bekämpfung dieser schrecklichen Krankheiten zur Verfügung gestellt, die jährlich hunderte Millionen Menschen heimsuchen“, teilte das Nobelkomitee in Stockholm heute mit. Und meist seien die Verletzlichsten betroffen, nämlich Kinder in Entwicklungsländern.

Youyou Tu, die chinesische Preisträgerin, die für die Entdeckung eines Malariamedikaments geehrt wurde, kam 1930 in China zur Welt. Ihren Abschluss in Pharmazie machte sie 1955 in Peking, darüber hinaus bildete sie sich später in Traditioneller Chinesischer Medizin weiter. Während der sogenannten Kulturrevolution unter Mao ab Mitte der 1960er Jahre war es fast unmöglich, als Forscher zu arbeiten: Intellektuelle wurden willkürlich deportiert, inhaftiert und gefoltert. Gleichzeitig tobte aber der Vietnamkrieg, und Malaria stellte für die Kämpfer eine ernsthafte Bedrohung dar, außerdem gab es regelmäßig große Malariaausbrüche in Chinas Südprovinzen. Deshalb rief Mao Zedong das geheime Militärprojekt „Projekt 523“ ins Leben, um wirksame Medikamente gegen Malaria zu finden, denn Medikamente auf der Basis von Chloroquin hatten ihre Wirksamkeit weitgehend verloren.

Youyou Tu wurde zu einer wichtigen Forscherin in diesem Geheimprojekt. Da sie mit allen bekannten Malariamitteln unzufrieden war, suchte sie in über 2000 alten Manuskripten der chinesischen Medizin nach möglichen Wirkstoffen. Tu und ihr Team testeten 380 Substanzen an Mäusen, eines davon, aus der Pflanze Artemisia annua, konnte tatsächlich die Zahl der Parasiten im Blut senken. Die Pharmazeutin isolierte nun den Wirkstoff Artemisinin und testete ihn an sich selbst. Heute ist die Behandlung mit einer Artemisinin-Kombinationstherapie laut WHO der Goldstandard für die Malariabehandlung; die Kombination mit anderen Wirkstoffen ist nötig, um frühzeitige Artemisinin-Resistenzen zu verhindern.

Während Youyou Tu an diesem Medikament forschte, war ihr Mann in einem maoistischen Arbeitslager. Weil sie Malaria-Erkrankungen in der Provinz Hainan erforschte, war sie gezwungen, ihr bis dahin einziges Kind in dieser Zeit in ein Kinderheim bringen. Als sie von dem langen Forschungsaufenthalt zurück kam und ihr Kind abholen wollte, erkannte ihre Tochter sie nicht und weinte, als sie mit dieser „Fremden“ nach Hause gehen sollte. „Meine Forschung hatte damals Priorität“, erinnerte sie sich später. „Mein Privatleben musste ich dafür opfern.“ Tu ist die zwölfte Frau, die den Medizinnobelpreis erhält, und sie wird das halbe Preisgeld von acht Millionen schwedischer Kronen (850.000 Euro) bekommen.

Satoshi Ōmura ist ein japanischer Biochemiker, der sich auf bioaktive Substanzen aus natürlich vorkommenden Mikroorganismen spezialisiert hat. In den 1970er Jahren suchte er in Bodenproben nach neuen Stämmen von Streptomyces-Bakterien. Er beschrieb tausenden dieser Bakterienkulturen und suchte fünfzig Kulturen aus, die er für besonders geeignet hielt, um schädliche Mikroorganismen zu bekämpfen. Eine davon war „Streptomyces avermitilis“, die Quelle des Wirkstoffs Avermectin, die er 1978 isolieren konnte. Während seiner langen Karriere konnte Ōmura mehr als 400 Wirkstoffe entdecken, unter anderem neuartige Antibiotika sowie Krebsmedikemente.

Helminthen sind wurmartige Parasiten, die ihren Wirtsorganismen großen Schaden zufügen. In ihrer Begründung für den diesjährige Nobelpreis konzentrierte sich das Nobelkomitee heute auf die beiden schweren Parasiten-Krankheiten Elefantiasis und Flussblindheit. Doch eine große Zahl solcher Parasiten können viele verschiedene Krankheiten auslösen. Allen gemeinsam ist, dass sie die Gesundheit und das Immunsystem ihres Wirts schwächen. Sie führen auch zu Lernproblemen und können den Verlauf von Krankheiten und Syndrome wie HIV, Malaria oder Tuberkulose verschlimmern.

Nun aber zurück ins Jahr 1978: William C. Campbell, ein aus Irland stammender Biochemiker, bekam Proben von Ōmura; er arbeitete zu dieser Zeit für ein Forschungsinstitut von Merck in New Jersey. In seiner Forschung konnte Campbell nun zeigen, dass Streptomyces avermitilis besonders effektiv gegen Fadenwurminfektionen bei Nutztieren wirkte. Später wurde aus dem Wirkstoff Avermectin das noch stärker wirksame Ivermectin gewonnen. Diese Substanz wurde nun an Patienten mit parasitären Infektionen getestet: Sie konnte die Larven im Körper sehr effektiv abtöten – und zwar so gründlich, dass sowohl Elefantiasis als auch Flussblindheit laut Nobelkomitee kurz vor der Ausrottung stehen. Campbell arbeitet immer noch als eremitierter Fellow an der Drew University in New Jersey, Ōmura ist Emeritus an der Kitasato Universität in Japan, Tu ist immer noch Professorin an der Akademie für traditionelle chinesische Medizin.

Abschließend sagte das Nobelkomitee: „Campbell, Ōmura und Tu haben die Behandlung parasitärer Erkrankungen von Grund auf verändert. Die globale Wirkung ihrer Entdeckungen und ihr Dienst zum Wohle der Menschheit sind unermesslich.“ Wir sagen: Herzlichen Glückwunsch, und wir freuen uns darauf, die Preisträger nach Lindau einladen zu dürfen.

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.