
Nobelpreisträger Harald zur Hausen während einer Diskussionsveranstaltung mit Nachwuchsforschern im Rahmen der Lindauer Nobelpreisträgertagung 2015. Foto: Rolf Schultes
Humane Papillomviren, kurz
HPV, sind für die häufigsten sexuell übertragbaren Infektionen verantwortlich. Sie verursachen nicht nur Genitalwarzen, sondern auch ca. 70 Prozent aller Fälle von
Gebärmutterhalskrebs. Der Mediziner Harald zur
Hausen konnte als erster den Zusammenhang zwischen HP-Viren und Krebs nachweisen, wofür er im Jahr 2008 den Medizinnobelpreis erhielt. Seit 2007 wird die Impfung junger Mädchen gegen diese Viren in vielen Industrieländern empfohlen, mittlerweile wurden weit mehr als 100 Millionen Dosen verabreicht. Die Mädchen sollen möglichst vor ihren ersten sexuellen Erfahrungen geimpft werden.
Aktuell gibt es drei zugelassene
Impfstoffe, alle sind gegen die beiden gefährlichsten HPV-Stämme wirksam. „Cevarix“ von GlaxoSmithKline wirkt nur gegen diese beiden, „Gardasil“ von Sanofi Pasteur MSD zusätzlich gegen zwei Stämme, die bei Frauen und Männern Genitalwarzen hervorrufen. Nur Gardasil ist bislang für Jungen und Männer zugelassen. Im Juni 2015 hat die Europäische Zulassungsbehöre EMA das neue „Gardasil 9“
genehmigt, das insgesamt gegen neun verschiedene Virenstämme wirksam ist.
In einem
Interview für die britische Kampagne „HPV Action“ warb Harald zur Hausen diesen Sommer nicht nur für hohe Impfraten bei Mädchen, sondern riet dringend auch zur Impfung aller Jungen, weil „Jungen nun mal die Hauptüberträger der Viren“ seien. Eine Impfempfehlung für Jungen gibt es bereits in
Österreich und der
Schweiz, in den
USA, in
Australien,
Israel und Teilen
Kanadas. In Großbritannien plant der National Health Service NHS 2016 ein
Pilotprojekt. Das Ziel dieser Empfehlungen ist die komplette Ausrottung der gefährlichsten Virenstämme.
Zur Hausen gab auch zu bedenken, dass die meisten jungen Männer mehr Sexualpartner/innen hätten als Mädchen der gleichen Altersstufe, weshalb sie einem höheren Risiko ausgesetzt sind, sich mit HPV anzustecken und wiederum andere zu infizieren. Männer leiden zudem häufiger unter anderen Krankheiten, die durch solche Viren ausgelöst werden, wie zum Beispiel
Anal- oder
Peniskrebs, sowie Hals- und
Mundkrebs. Zwar handelt es sich hier um relativ seltene Krebsarten, doch vor allem die Häufigkeit von Oraltumoren
steigt; Rauchen ist hier ein weiterer Risikofaktor. Da Männer, die Sex mit Männern haben, häufiger unter Anal- und Peniskarzinomen leiden, wäre für sie eine HPV-Impfung sinnvoll, Großbritannien
empfiehlt sie bereits für diese Gruppe.

Eine Ampulle mit dem Gardasil-Impfstoff. Die “Gavi Allicance” ermöglicht eine kostengünstige Ausgabe in Entwicklungsländern, wo die HPV-Impfung am dringensten benötigt wird. Foto: Jan Christian, www.ambrotosphotography.com, CCL 2.0
Ein Problem ist hier jedoch, dass die meisten jungen Menschen erst nach ihren ersten sexuellen Erfahrungen wissen, ob sie homosexuell sind. Doch dann kommt eine Impfung womöglich zu spät, weil sie sich bereits mit HP-Viren infiziert haben. Dass Jungen in Großbritannien bislang von der entsprechenden Impfung ausgeschlossen sind, bezeichnen manche britische Ärzte sogar als „
Diskriminierung aufgrund einer sexuellen Orientierung“: Schwule Jungen könnten nicht von der sogenannten „Herdenimmunität“ profitieren, die durch eine hohe Impfrate bei Mädchen angestrebt wird.
Sollen also alle jungen Menschen gegen HPV geimpft werden? Betrachten wir einmal die häufigste durch HPV ausgelöste Krankheit: Das Zervixkarzinom ist unbestritten eine tödliche Bedrohung, im Jahr 2012 gab es
weltweit über eine halbe Million neuer Fälle, ungefähr eine Viertelmillion Patientinnen starben an dieser Krankheit. Über 85 Prozent dieser Fälle traten jedoch in Entwicklungsländern auf, wo Frauen weder Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen, noch zu einer Behandlung von Krebsvorstufen haben – geschweige denn zu einer teuren HPV-Impfung. Zum Vergleich: In Deutschland erkrankten
2011 insgesamt 4.647 Frauen an dieser Krebsart, 1.626 starben in diesem Zeitraum daran. In den Industrieländern können viele Todesfälle durch jährliche Vorsorgeuntersuchungen mit den sogenannten
Pap-Tests vermieden werden: Krebsvorstufen werden damit entdeckt und behandelt, bevor Krebs entstehen kann. Sogar geimpften Frauen wird dringend
geraten, weiter zur jährlichen Krebsvorsorge zu gehen.
Wenn eine Impfung die einzige Behandlung einer schweren Erkrankung ist, und die Erreger sehr häufig sind, dann sind große Impfkampagnen in der Tat der einzig logische Schritt. Wenn jedoch eine Krankheit vermeid- und behandelbar ist, wird die Sicherheit des Impfstoffs stärker unter die Lupe genommen. Die meisten Experten und Zulassungsbehörden halten die HPV-Impfstoffe für sehr sicher. Es gibt jedoch aus vielen Ländern
Berichte über sehr seltene, aber schwere
Nebenwirkungen: Häufig ist das zentrale Nervensystem betroffen, die Gefahr einer
Ohnmacht bei Verabreichung steht sogar auf der Gardasil-Website. Es wird jedoch auch von Müdigkeitssyndromen, Lähmungen und Autoimmunreaktionen berichtet. Ein direkter Zusammenhang zwischen der HPV-Impfung und der Erkrankung konnte in der Regel nicht nachgewiesen werden. Trotzdem hat Japan wegen solcher Fälle die Impfempfehlung 2013
ausgesetzt.
In diesem Frühjahr gab es in Dänemark eine hitzige
Debatte über HPV-Impfungen nach einem Fernsehbericht, in dem junge Frauen gezeigt wurden, die unter unerklärlichen, aber ähnlichen
Symptomen litten. Allen gemeinsam war eine kürzlich erfolgte HPV-Impfung. Nach der Ausstrahlung meldeten sich zahlreiche weitere, frisch-geimpfte Frauen mit ähnlichen Symptomen. Die dänische Gesundheitsbehörde veröffentlichte daraufhin alle
gemeldeten Fälle und bat die Zulassungsbehörde EMA, die Sicherheit der Impfstoffe noch einmal zu überprüfen. Die
Antwort fiel erwartungsgemäß aus: „Ein Zusammenhang zwischen dem Müdigkeitssyndrom und Gardasil kann weder bestätigt noch widerlegt werden. (…) Wir gehen weiterhin davon aus, dass der Impfstoff sicher ist.“ Die europäischen Experten schließen damit, dass „die Vorteile größer sind als die Risiken“.

In seinem Vortrag in Lindau zu dem Thema “Infections Linked to Human Cancers” diskutiert Harald zur Hausen mögliche Zusammenhänge zwischen Rinderviren und Darmkrebs beim Menschen. Foto: Ch. Flemming/LNLM
Harald zur Hausen ist zu verdanken, dass bestimmte Krebsarten heute auf Viren zurückgeführt werden können. In seinem
Labor am Deutschen Krebsforschungszentrum DKFZ in Heidelberg forscht der Nobelpreisträger weiterhin unermüdlich, um zum Beispiel einen Zusammenhang zwischen Rinderviren und Darmkrebs zu finden, obwohl er nächstes Frühjahr seinen 80. Geburtstag feiern wird. Seine Arbeit hat auch ganz neue Ansätze in der Krebstherapie ermöglicht, wie das
therapeutische Impfen bei bereits ausgebrochenen Krebserkrankungen. Bereits sechs Mal konnten wir Prof. zur Hausen auf den Nobelpreisträgertagungen in Lindau begrüßen, er hielt dort insgesamt vier
Vorträge. Wir freuen uns auf weitere interessante Vorträge über seine wissenschaftlichen Entdeckungen!