Veröffentlicht 9. Juni 2016 von Susanne Dambeck
Gravitationswellen: Was kommt als nächstes?
Die Spannung im Saal war mit den Händen zu greifen: Als die LIGO Scientific Collaboration am 11. Februar 2016 in Washington verkündete, Gravitationswellen erstmals direkt beobachtet zu haben, hatten etliche der Beteiligten Tränen in den Augen. Die spektakuläre Entdeckung war bereits am 14. September 2015 erfolgt, daher der Name der Welle: GW150914. Aber die Forscher wollten sich erst sicher sein, dass sie kein Testsignal ‚gemessen‘ hatten, bevor sie an die Öffentlichkeit gingen. Seit der Vorhersage dieser Wellen vor hundert Jahren entzogen sich diese nämlich hartnäckig direkten Messungen. GW150914 soll nun das Signal zweier verschmelzender Schwarzer Löcher sein. Auf der LIGO-Caltech Website war zu lesen: „Hier sind nicht nur erstmals Gravitationswellen gemessen worden – es handelt sich auch um die erste direkte Beobachtung Schwarzer Löcher, und um die erste Messung, die belegt, dass Schwarze-Löcher-Doppelsysteme überhaupt existieren!“
Dieser Fund wird weltweit von Kommentatoren als „neues Fenster ins All“ gefeiert. Aber was bedeutet dieses neue Fenster überhaupt? Wenn wir Gravitationswellen ’sehen‘ können, öffnet sich ein riesiges Spektrum neuer Beobachtungsmöglichkeiten – weit hinaus über das elektromagentische Spektrum, in dem sich die Astronomie bislang hauptsächlich bewegt (dieses Spektrum umfasst u.a. das sichtbare Licht, Radio-, Infrarot-, Röntgen- und Gammastrahlung). In Zukunft könnte eine weiterentwickelte Gravitationsastronomie versuchen „das ganze Universum abzudecken, weiter als die elektromagnetischen Wellen dies ermöglichen, und uns Einblicke in jene 99 Prozent des Universums geben, die bisher für direkte Beobachtungen unzugänglich waren“, kommentiert Karsten Danzmann, Direktor des Albert-Einstein-Instituts in Hannover die LIGO-Entdeckung. Und wenn es darum geht, ‚das ganze Universum abzudecken‘, dann bedeutet das gleichzeitig einen Ausflug in seine Geschichte: Ereignisse in einer Entfernung von Milliarden Lichtjahren bedeuten immer auch Einblicke in die ferne kosmische Vergangenheit.
Die flüchtigen Wellen sind ein zentraler Bestandteil von Einsteins Relativitätstheorie, die besagt, dass weder Raum noch Zeit absolut sind, sondern beide durch die Anziehungskraft großer Massen gedehnt und gestaucht werden können. Kurz gesagt: Mit der Newtonschen Phyik kann man Brücken bauen aber keine Satelliten. Bei einem geostationären Satellit muss nämlich bedacht werden: Bei extrem hohen Geschwindigkeiten laufen die Uhren laut Relativitätstheorie langsamer. Gleichzeit laufen dieselben Uhren schneller, je weiter sie von der Masse des Erdkörpers entfernt sind, verglichen mit Uhren, die auf der Erdoberfläche verbleiben. Der letzere Effekt ist übrigens stärker als der erste. Das mathematische Modell der Raumzeit vereint beide Größen in einem Kontinuum, deshalb werden Gravitationswellen auch ein ‚Kräuseln der Raumzeit‘ genannt.
Zwar hatte Einstein postuliert, dass gewaltige kosmische Ereignisse Gravitationswellen abstrahlen müssen. Doch bis zur Pressekonferenz im Februar war unklar, ob sie jemals direkt gemessen werden würden – oder ob es langsam an der Zeit wäre, die Theorie zu verändern. Verschiedene kosmische Großereignisse strahlen in unterschiedlicher Wellenlänge (s. Grafik unten) und mit verschiedener ‚Lautstärke‘ ab. Die heutigen Instrumente ‚hören‘ nur die allerlautesten, das liegt an ihrer Empfindlichkeit. Interessanterweise erfolgte die Beobachtung im September innerhalb der ersten Tage, an denen LIGO mit deutlich verbesserter Empfindlichkeit arbeitete. Danzmanns Institut in Hannover war maßgeblich beteiligt, die erhöhte Sensitivität technisch zu ermöglichen, im Rahmen der internationalen LIGO Collaboration.
Niemand hatte jedoch erwartet, dass „es sich bei der ersten Entdeckung um die Verschmelzung zweier supermassiver Schwarzer Löcher handeln würde – die Entdeckungsrate war viel zu unklar, und die Physik solcher Ereignisse war noch nicht hinreichend bekannt“, erklärt Michael Kramer, Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn. Falls Sie sich jetzt fragen: Was hat Radioastronomie damit zu tun?, hier die Erklärung: Die beiden LIGO-Interferometer arbeiten mit jeweils zwei Laserstrahlen von 4 km Länge. Wenn nun die Länge dieser Strahlen durch Gravitationswellen minimal verändert wird, zeigt sich das bei der Versuchsanordnung eines Interferometers (s. Grafik). Die Radiowellen, die von Pulsaren ausgesendet werden, können analog wie enorm lange ‚Laserstrahlen‘ betrachtet werden, immerhin handelt es sich ebenfalls um extrem gleichmäßige elektromagnetische Signale. Die Vorteile bei der Jagd nach Gravitationswellen liegen auf der Hand: Es gibt die Signale bereits, man kann sie mit Radioteleskopen sehr genau aufzeichnen, und die Strahlen haben eine Armlänge von bis zu Tausenden von Lichtjahren – damit werden sie empfindlich für sehr langwellige Veränderungen.
Von Kramers Institut in Bonn zum Effelsberger 100-Meter-Radioteleskop in der Eifel ist es nur ein Katzensprung. Es gehört zum European Pulsar Timing Array EPTA, das wiederum dem Internationalen Pulsar Timing Array IPTA angehört, zusammen mit zwei weiteren Konsortien. Durch diese Zusammenschlüsse hoffen die Forscher, schneller das Signal ferner Gravitationswellen aufzufangen. „Ständig kommen neue Pulsare hinzu, dadurch wird die Sensitivität unseres Experiments beständig größer. Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Jahren ein Signal messen werden,“ meint Kramer. Spätestens die im Bau befindlichen Teleskope MeerKAT und SKA in Südafrika und Australien würden zu einer solchen Entdeckung führen.
Die Frage nach dem nächsten Gravitationswellen-Signal stellte ich auch Prof. Danzmann. Er antwortete: „Zurzeit sind nur Detektoren auf der Erde in Betrieb, insofern wird die nächste Messung auch dort erfolgen. All diese Detektoren bilden ein Netzwerk, man kann sie also als einen einzigen riesigen Detektor begreifen. Der nächste Beobachtungszyklus beginnt im September, LIGO wird dann mit einer noch weiter verbesserten Sensitivtät arbeiten.“ Wenn Danzmann von den erdgebundenen Detektoren spricht, grenzt er sie von Weltraum-Interferometern ab: Der europäische LISA-Pathfinder-Satellit ist seit rund 90 Tagen aktiv und „übertrifft alle Erwartungen“, wie Danzmann erst am 07. Juni 2016 bekannt gab. Dieser Satellit ist die Vorläufermission von eLISA, er soll die Technik eines Weltraum-Interferometers erproben, ist aber selbst kein Detektor.
Die nächsten Monate oder Jahre werden zeigen, wo die zweiten Gravitationswellen gemessen werden. Im Vordergrund steht jedoch nicht das Wettrennen der verschiedenen Instrumente, vielmehr geht es darum, durch zusätzliche Messungen die vielen offenen Fragen einer künftigen Gravitationsastronomie zu beantworten. Die LIGO-Caltech Website formulierte nach der Pressekonferenz ein paar Beispiele solcher Fragen: „Wie viele Neutronensterne und wie viele Schwarze Löcher hat eine durchschnittliche Galaxie? Wie oft bilden diese speziellen Himmelsobjekte Doppelsysteme, und wie oft verschmelzen diese Partner?“ Die detaillierte Analyse von GW150914 konnte bereits die Frage klären, ob Einsteins Berechnungen für verschmelzende Schwarze Löcher zutreffen. Und die LIGO-Collaboration rechnet mit vielen neuen Messungen: Sobald LIGO eine deutlich verbesserte Sensitivität erreicht hat, rechnen die Forscher mit ungefähr vierzig Gravitationswellen allein durch verschmelzende Neutronensterne.
Abschließend fragte ich Prof. Danzmann auch, ab welchem Zeitpunkt die Experten nervös werden würden, wenn partout keine weiteren Wellen gemessen werden könnten. Er verwies auf die viermonatigen Messdaten von LIGO, die sich noch in der Auswertungsphase befinden. „Niemand, der diese Daten kennt, wird nervös!“
Nachtrag: Sechs Tage nach Veröffentlichung dieses Artikels gab die LIGO Collaboration bekannt, dass die Forscher in Daten von Dezember 2015 die zweite direkt beobachtete Gravitationswelle entdeckt haben.