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Veröffentlicht 7. Oktober 2015 von Susanne Dambeck

Chemienobelpreis 2015: „Der Werkzeugkasten der DNA-Reparatur“

„Mit dem diesjährigen Preis wird der Werkzeugkasten für die DNA-Reparatur geehrt“, leitete Göran Hansson seine Rede zu Beginn der heutigen Nobelpreis-Pressekonferenz in Stockholm ein. Hansson ist Generalsekretär der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die traditionell die Nobelpreisträger ernennt. Hansson erklärte weiter, dass sich die DNA-Erbinformationen in den Chromosomen jedes einzelnen Menschen ständig verändern und beschädigt werden, sei es durch UV-Strahlen oder schädliche Substanzen, sei es durch Fehler bei der Zellteilung. Ohne ausgeklügelte Systeme der DNA-Reparatur und -Überwachung würde das ganze System schnell kollabieren – und kein menschliches Leben wäre mehr möglich.

 

 

Heutzutage unterscheidet die Molekularbiologie drei grundlegende DNA-Reparaturmechanismen, und jeder dieser Mechanismen kann einem bestimmten Forscher zugeordnet werden, der jeweils ein Drittel des aktuellen Nobelpreises für Chemie erhält: Lindahl entdeckte die „Basenexzisionsreparatur“, Sancar die „Nukleotidexzisionsreparatur“, und Modrich die „DNA-Mismatch-Reparatur“.

 

Tomas Lindahl: Basenexzisionsreparatur
Ende der 1960er Jahren waren die Biologen immer noch begeistert über die Entdeckung der DNA-Doppelhelix, die 1962 den Forschern Francis Crick, James Watson und Maurice Wilkins den Medizinnobelpreis eingebracht hatte. Man nahm an, dass diese „DNA-Verpackung“ extrem haltbar und stabil sei. Doch der junge Forscher Tomas Lindahl hatte Zweifel. Als Postdoc hatte er an der Princeton University RNA-Abschnitte studiert und festgestellt, dass diese alles andere als stabil waren. Jahre später, er arbeitete wieder in Stockholm, wandte er sich deshalb der DNA-Stabilität zu und siehe da: auch DNA-Abschnitte sind alles andere als stabil. Also begann er, anhand von Bakterienkulturen nach DNA-Reparaturmechanismen zu suchen. Lindahl fand ein Reparatursystem, das ständig die DNA überwacht und kleine Fehler austauscht. Er nannte diesen Effekt Basenexzisionsreparatur (base excision repair). Er entdeckte auch bis dahin unbekannte Enzyme, die sogenannten DNA-Glykosylasen: die Werkzeuge der DNA-Reparatur.

 

 

Heute wurde Lindahl aus der Nobelpreis-Pressekonferenz heraus am Telefon befragt. Dabei erklärte er, die DNA-Reparatur sei „ein zweischneidiges Schwert“: Wenn die DNA in gesunden Zellen scheinbar automatisch repariert wird, dann können sich auch Krebszellen selbst reparieren und sich dadurch den verschiedenen Krebstherapien erfolgreich entziehen. Nach seiner Entdeckung zog Lindahl 1981 nach Großbritannien und arbeitete an einem Institut, das heute zu Cancer Research UK gehört. Dort ist er noch heute emeritierter Professor.

 

Aziz Sancar: Nukleotidexzisionsreparatur
Sancar studierte Medizin in Istanbul und arbeitete mehrere Jahre als Arzt. Doch es zog ihn in die Forschung, weshalb er ein Biochemiestudium begann. Im Rahmen dieses Studiums verblüffte ihn ein Effekt besonders und ließ ihn nicht mehr los: Nachdem Bakterien eine eigentlich tödliche Dosis UV-Strahlung abgekommen hatten, erholten sie sich nach Bestrahlung mit blauem Licht wieder. Wie war das möglich? Sancar wollte den molekularen Mechanismus hinter diesem Effekt finden. Während seiner Doktorarbeit an der University of Texas in Dallas gelang es ihm, das Gen für das Enzym Photolyase zu klonen und von Bakterien herstellen zu lassen. Trotz dieses Erfolgs konnte Sancar anfangs keine Postdoc-Stelle finden. Deshalb arbeitete er als Labortechniker an der Medizinischen Fakultät der Yale University, um auf eigene Faust weiter forschen zu können.

 

 

Sancar entdeckte einen zweiten Reparaturmechanismus neben dem Photolyase-Mechanismus. Dieser funktionierte auch ohne Licht und konnte ganze Nukleotid-Ketten, die durch UV-Strahlung geschädigt waren, auf einmal austauschen und ersetzen. Im Gegensatz zu Lindahls Entdeckung konnte dieser neu entdeckte Mechanismus vergleichsweise ‚umfangreiches‘ DNA-Material ersetzen. Er nannte den Mechanismus Nukleotidexzisionsreparatur (nucleotide excision repair). Nach der Veröffentlichung dieses Ergebnisses bot ihm die Duke University in Chapel Hill, North Carolina eine Professorenstelle an, wo er noch heute lehrt. Sancar ist doppelter Staatsbürger – er hat sowohl einen türkischen als auch einen amerikanischen Paß. Damit ist er der zweite türkische Staatsbürger, der einen Nobelpreis erhält. Der erste war Orhan Pamuk mit dem Literaturnobelpreis 2006.

 

Paul Modrich: DNA-Mismatch-Reparatur
Modrich schrieb seine Doktorarbeit an der Stanford-Universität, machte seinen Postdoc in Harvard und wurde danach Professor an der Duke University in Durham in North Carolina, wo er immer noch lehrt. Unter anderem studierte Modrich das Enzym Dam-Methylase, das die Aufgabe hat, Methylgruppen an DNA-Stränge anzufügen. Die genaue Funktionsweise des Enzyms war jedoch noch umstritten. Deshalb züchtete Modrich, zusammen mit dem Harvard-Genetiker Matthew Meselson, einen Virenstamm mit absichtlich ‚vertauschten‘, unpassenden DNA-Abschnitten. Zusätzlich wurden Methylgruppen angefügt. Als nun Bakterien mit diesen Viren infiziert wurden, korrigierten die Bakterien während der Zellteilung automatisch alle Fehler, aber nur an den Strängen ohne Methylgruppen.

 

 

Die Biologen schlossen daraus, dass die „DNA mismatch repair“ ein normaler Bestandteil der Zellteilung ist, und dass die beschädigten Stränge an der fehlenden Methylgruppe erkannt werden. In Folge studierte Modrich diesen Reparaturmechanismus sehr genau und konnte alle relevanten Enzyme entschlüsseln. Modrich rechnete aus, dass dieser von ihm entdeckte Mechanismus die Fehlerrate der Zellteilung um circa das Tausendfache senkt – gesunde Zellen könnten sich ohne ihn überhaupt nicht teilen.

Alle drei Preisträger setzten ihre Forschung an den jeweiligen Reparaturmechanismen fort und stellten fest, dass sie auch beim Menschen eine entscheidende Rolle spielen: Jeden Tag werden von jedem einzelnen Mechanismus tausende Reparaturen bei jedem Menschen ausgeführt. Fehlfunktionen führen zu ernsthaften Erkrankungen, häufig zu Krebserkrankungen. So führt ein angeborener Fehler in der Nukleotidexzisionsreparatur nicht nur zu einer extremen Sonnenempfindlichkeit, sondern nach Bestrahlung mit UV-Licht auch zu Hautkrebs. Fehler in der Mismatch-Reparatur können wiederum eine erbliche Variante von Darmkrebs nach sich ziehen.

 

 

Das Team in Lindau gratuliert allen Preisträgern recht herzlich! Wir hoffen sehr, dass Sie uns auf einem der nächsten Lindau Meetings von Ihren bahnbrechenden Entdeckungen erzählen werden.

 


Bilder in Slider-Grafik sind Eigentum von Nobel Media, Illustrationen von N. Elmehed

 „Mit dem diesjährigen Preis wird der Werkzeugkasten für die DNA-Reparatur geehrt“, leitete Göran Hansson seine Rede zu Beginn der heutigen Nobelpreis-Pressekonferenz in Stockholm ein. Hansson ist Generalsekretär der Schwedischen Akademie der Wissenschaften, die traditionell die Nobelpreisträger ernennt. Hansson erklärte weiter, dass sich die DNA-Erbinformationen in den Chromosomen jedes einzelnen Menschen ständig verändern und beschädigt werden, sei es durch UV-Strahlen oder schädliche Substanzen, sei es durch Fehler bei der Zellteilung. Ohne ausgeklügelte Systeme der DNA-Reparatur und -Überwachung würde das ganze System schnell kollabieren – und kein menschliches Leben wäre mehr möglich.

Heutzutage unterscheidet die Molekularbiologie drei grundlegende DNA-Reparaturmechanismen, und jeder dieser Mechanismen kann einem bestimmten Forscher zugeordnet werden, der jeweils ein Drittel des 2015er Nobelpreises für Chemie erhält: Lindahl entdeckte die „Base excision repair“, Sancar die „Nucleotide excision repair, und Modrich die „Mismatch repair“.

Susanne Dambeck

Susanne Dambeck is a science writer in English and German, and author of several nonfiction childrens' books. A political scientist by training, she has worked in politics, television and as a biographer. Apart from scientific findings, she is interested in people and in storytelling in different languages.