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Veröffentlicht 7. August 2020 von Ben Skuse

Die Zukunft der Weltwirtschaft nach der Coronakrise sichern

Novaira Junaid diskutierte mit Nobelpreisträgern über die globale Wirtschaft.

Die COVID-19-Pandemie hat die Verletzlichkeit unserer Weltwirtschaft zum Vorschein gebracht. Wirtschaftliche Aktivitäten sind zum Stillstand gekommen, was verheerende Folgen nach sich zieht. Weltweit sind schätzungsweise 305 Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen, wobei junge Arbeitnehmer am schwersten betroffen sind: Jeder sechste junge Mensch verlor seinen Arbeitsplatz. Gleichzeitig treiben die Regierungen in fast allen Ländern ihre Schulden in erschreckendem Maße in die Höhe, stunden Steuerzahlungen teilweise oder komplett und schnüren Konjunkturpakete in Form von teuren Urlaubsregelungen, Zuschüssen und Geldtransfers.

In zwei Sessions im Rahmen der Online Science Days 2020 diskutierten die Beteiligten, wie man die aktuelle Wirtschaftskrise, die durch COVID-19 ausgelöst wurde, abmildern und welche Lehren für eine zukunftsfähige Wirtschaft man aus den Entwicklungen ziehen kann. Zunächst erhielten die Zuschauer einen Einblick in die Arbeit der drei Finalistengruppen, die sich während des Online Sciathons 2020 mit dem Thema Capitalism after Corona beschäftigt hatten: Dabei handelte es sich um die Gruppen Jonelis, Maier und Abdelmageed.

Sciathon-Ergebnisse für die reale Welt

Das Projekt der Gruppe Jonelis zielt auf den Aufbau eines datengestützten Ansatzes zur Vorhersage der Entscheidungsfindung von politischen Entscheidungsträgern während der Pandemie und künftiger Krisen ab. „Wenn wir ein Verständnis für die Gründe entwickeln, die zu Entscheidungen führen – Entscheidungen, durch die momentan überall auf der Welt Proteste zunehmen – dann können wir effektiver mit einer globalen Pandemie oder dem, was auch immer in Zukunft auf uns zukommen wird, umgehen“, erklärte Gruppenmitglied Elizabeth Burkhart. Die Sciathon-Finalisten verglichen den Government Response Stringency Index (OxCGRT) mit der Google-Suche nach dem Coronavirus, die als Barometer für das öffentliche Interesse an der Pandemie herangezogen werden kann. Neben anderen Ergebnissen zeigte die Analyse, dass sich das öffentliche Interesse und nicht die erhöhte Zahl der bestätigten COVID-19-Fälle, direkt auf die Verschärfung der Maßnahmen auswirkte.

Im Mittelpunkt der Arbeit der Gruppe Abdelmageed stand die Hypothese, dass COVID-19 Prozesse wie Digitalisierung und Automatisierung auf der ganzen Welt beschleunigt haben könnten und die Frage, was dies für die Arbeitsmärkte bedeutet. „Die Auswirkungen von COVID-19 auf gefährdete Arbeitnehmer sind unbestreitbar – sie sind weltweit verbreitet“, erklärte Gruppenleiterin Samar Abdelmageed. „Unser Projekt schlägt eine Reihe von Parametern und Mechanismen vor, mit denen Regierungen diese (…) Folgen auf die Erwerbsbevölkerung mindern können.“ Ein kurzfristiges Beispiel war, sicherzustellen, dass Rettungspakete für Unternehmen an die Bedingung geknüpft werden, dass die Arbeitgeber ihre Mitarbeiter weiterhin beschäftigen und IKT-Schulungen anbieten. Ein längerfristiger Vorschlag bestand darin, Daten über den Beschäftigungssektor zu sammeln und die Möglichkeit einer Umstrukturierung der Arbeitskräfte und der Globalisierung zu untersuchen, indem eine Partnerschaft zwischen Regierung, Privatsektor und Zivilgesellschaft etabliert wird.

Das letzte Team, das sein Projekt vorstellte, war die Gruppe Maier, deren Schwerpunkt auf der Notwendigkeit lag, die sozialen und menschlichen Aspekte unserer Gesellschaft zu stärken. „Wir müssen auf diejenigen hören, die unter der Krise leiden“, sagte Gruppenleiter Stefan Maier. „Indem wir ihnen zuhören und mit ihnen reden, können wir eine Strategie entwickeln, um uns auf eine sozialere und menschlichere Form des Kapitalismus zuzubewegen.“ Für die Gruppe bedeutete dies, die Grundlagen für ein globales Mahnmal für die von der Pandemie Betroffenen zu schaffen, das vor allem die Auswirkungen des Virus über die Statistiken hinaus zeigt. Während des 48-stündigen Sciathon sammelte die Gruppe, die sich Covid Voices nannte, 19 persönliche Erzählungen von Menschen aus der ganzen Welt. Sie prognostizierten, dass sie mit weiterer Unterstützung fünf Millionen Geschichten pro Jahr und 24 Millionen in fünf Jahren hinzufügen können.

Jede dieser Gruppen (ganz zu schweigen von den anderen sechs, die allein zu diesem Thema gearbeitet hatten) wäre ein würdiger Gewinner des Sciathon gewesen, aber es konnte natürlich nur einen Sieger geben. Die Gruppe Abdelmageed belegte am Ende den ersten Platz.

Lindau Alumnus Jurgen Willem im Gespräch mit Jean Tirole.

Expertise aus der Wirtschaft

In der Debatte, Corona and the Economy: Mitigating the Crisis, die später am selben Tag stattfand, befasste sich eine Gruppe von Ökonomen mit der Frage, wie mit den wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 umgegangen werden kann

Peter A Diamond (2010), Robert J. Shiller (2013), Jean Tirole (2014) und Bengt R. Holmström (2016) wurden von der Schwedischen Reichsbank mit dem Preis für Wirtschaftswissenschaften Wirtschaftswissenschaften in Gedenken an Alfred Nobel ausgezeichnet. Mit den Preisträgern diskutierte Novaira Junaid, eine junge Nachwuchswissenschaftlerin vom Punjab Economic Research Institute (PERI) in Pakistan, die im nächsten Jahr an der 7. Lindauer Tagung der Wirtschaftswissenschaften teilnehmen wird. Außerdem war Lindau Alumnus Jurgen Willems, Professor an der Wirtschaftsuniversität Wien, dabei.

Die Debatte begann mit einer Diskussion über die Lehren aus der Vergangenheit. Zum Auftakt verkündete Diamond seine Ansicht, dass „der Kern eines jeden Rückblicks die Frage ist: Was aus der Vergangenheit darf in Zukunft nicht fortgesetzt werden?“ Er fuhr fort: „Diese Rezession und dieser Aufschwung werden zum Beispiel ganz anders sein als alle, die wir bisher erlebt haben.“

Shiller vertrat unterdessen die Ansicht, dass Wirtschaftswissenschaftler nicht nur die Geschichte, sondern auch Psychologie, Soziologie und Epidemiologie berücksichtigen müssen, um einen vollständigen Einblick in die Auswirkungen von COVID-19 auf die Wirtschaft zu erhalten: „Diese Faktoren beeinflussen wirtschaftliche Variablen“, sagte er. „Wir müssen daraus lernen und verstehen, was die Menschen tatsächlich dachten und was sie jetzt denken, ändert sich überraschenderweise – es öffnet die Türen für echte Veränderungen in unseren Wirtschaftsinstitutionen.“

Im Hinblick auf Lösungen für die gegenwärtige Krise forderte Junaid eine stärkere Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten: „Die Rolle des Staates während Pandemien schwankt zwischen Hilfspaketen gegen eine unmittelbare Bedrohung von Menschenleben und der laufenden Forschung durch seine Institute (…) bei der Neugestaltung ergänzender Veränderungen“, erklärte sie. „Um also finanzielle Mittel für die Ausübung beider Rollen zu generieren, ist meines Erachtens die Schaffung eines Konsortiums von Industrienationen und Finanzinstitutionen nötig.“

Aus seiner Perspektive argumentierte Holmström, dass die Bekämpfung der Angst der Schlüssel zum Erfolg ist: „Ohne Angst wäre das alles morgen vorbei“, kommentierte er während der live übertragenen Frage-Antwort-Runde. „Meiner Meinung nach wird Impfstoffen zu viel und einfachen Behandlungsmethoden zu wenig Beachtung geschenkt. Wenn man einen Weg finden könnte, diese Krankheit beherrschbar zu machen, sodass ihr nicht so viele Menschen erliegen würden, dann wäre das meiner Meinung nach eine absolut dramatische Veränderung.“

Auch wenn kein Konsens über das weitere Vorgehen erzielt wurde, waren sich alle einig, dass sich Ökonomen noch lange Zeit mit dem richtigen Weg beschäftigen werden. Tirole zum Beispiel nannte ein zentrales Problem, mit dem Frankreich und viele andere Länder konfrontiert sind: „Man muss Firmen retten (…), aber wie unterscheidet man zwischen Firmen, die rentabel und zukunftsfähig sind und denen, die es nicht sind?“

Willems warf die Frage auf, ob höhere Investitionen speziell in das Gesundheitswesen und den öffentlichen Sektor im Allgemeinen der Schlüssel zu einer besseren Reaktion auf eine Pandemie in der Zukunft sind: „Sollte mehr in den öffentlichen Sektor investiert werden, um sicherzustellen, dass wir höhere Kapazitäten haben?“, fragte er. „Es könnte ein Weg sein, die Wirtschaft wieder anzukurbeln.“

Anlässlich der Tatsache, dass sich junge Nachwuchswissenschaftler wie Junaid und Willems mit diesen Fragen auseinandersetzen und Lösungen für die wirtschaftlichen Folgen der gegenwärtigen Pandemie und der Krisen von morgen suchen, endete die Debatte mit einigen weisen Worten der Nobelpreisträger, die am besten von Diamond zusammengefasst wurden: „Ich habe einen Geheimtipp: Innovationen kommen von den jungen Wissenschaftlern (…), die nicht auf die alten hören.“

Ben Skuse

Benjamin Skuse ist professioneller freiberuflicher Autor für vielfältige Wissenschaftsbereiche. Zuvor promovierte er in Angewandter Mathematik an der Universität Edinburgh und erhielt einen MSc in Wissenschaftskommunikation. Heute lebt er in West Country/Großbritannien. Er hat sich zum Ziel gesetzt, verständliche, fesselnde und überzeugende Artikel für alle Leser zu schreiben - unabhängig von der Komplexität der Themen. Seine Artikel sind bereits in New Scientist, Sky & Telescope, BBC Sky at Night Magazine, Physics World und vielen anderen Publikationen erschienen.