BLOG

Veröffentlicht 19. November 2020 von Ben Skuse

Nobelpreis für Physik 2020: Schwarze Löcher – Kosmische Krönung der Schwerkraft

Photo/Credit: ugurhan/iStock

Meldungen über die Entdeckung von Gravitationswellen, ausgelöst durch einen Zusammenstoß mit einem Schwarzen Loch vor vielen Milliarden Jahren, versetzen inzwischen weder Wissenschaftler noch die Öffentlichkeit in Erstaunen. Genauso wenig wie die Information, dass sich ein Schwarzes Loch von den Sternen einer fernen Galaxie ernährt. Abgesehen davon, dass sich im Jahr 2020 die Aufmerksamkeit auf drängende Nachrichten richtet, hat sich die Welt an die Vorstellung eines Universums mit Schwarzen Löchern gewöhnt, vor allem seit die ersten sichtbaren Beweise eines Schwarzen Lochs auf der ganzen Welt verbreitet wurden. Doch das war nicht immer so.

Vor nur fünf Jahren stand noch nicht fest, ob Fusionen von Schwarzen Löchern nachgewiesen werden können. Noch vor 20 Jahren bestanden Zweifel, dass sich überhaupt ein Schwarzes Loch im Herzen unserer Milchstrasse befindet. Und vielleicht erinnert sich der eine oder andere sogar an eine Zeit, in der Schwarze Löcher – oder „dunkle Sterne“, wie sie genannt wurden – als rein theoretische Konstruktionen galten.

Roger Penrose, Reinhard Genzel, Andrea Ghez. Nobel Media 2020, Illustration: Niklas Elmehed
Obwohl der Physiknobelpreis 2017 an wichtige Akteure des Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatoriums (LIGO) ging, das die erste Verschmelzung von Schwarzen Löchern entdeckt hatte, honorierte diese Auszeichnung in erster Linie die Entdeckung von Gravitationswellen. Betont wurde, dass diese Entdeckung ein neues Fenster zum Kosmos geöffnet hätte, während die Schwarzen Löcher weniger Erwähnung fanden.
 
Der diesjährige Physik-Nobelpreis ist der erste, der speziell für Forschung rund um Schwarze Löcher vergeben wird. Damit wird die Pionierarbeit der Forscherinnen und Forscher geehrt, die Schwarze Löcher von einem amüsanten Gesprächsthema auf Dinnerpartys zu einem realen physikalischen Phänomen befördert haben.
 
Der Mathematiker und theoretische Physiker Roger Penrose erhält die Hälfte des Preises „für die Entdeckung, dass die Bildung von Schwarzen Löchern eine robuste Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie ist“. Die andere Hälfte geht an die Astrophysiker Reinhard Genzel und Andrea M. Ghez „für die Entdeckung eines supermassiven kompakten Objekts im Zentrum unserer Galaxie“.

Gefangen im Schwarzen Loch

Die Idee der dunklen Sterne wurde erstmals im späten 18. Jahrhundert aufgeworfen. John Michell und Pierre Simon de Laplace folgerten auf Basis Newtonscher Mechanik, dass Sterne so dicht werden könnten, dass ihre Gravitationskraft stark genug wäre, um selbst das Licht am Entweichen zu hindern.

Im 20. Jahrhundert wurde die Existenz dunkler Sterne ab 1916 noch wahrscheinlicher, als Karl Schwarzschild, Monate vor seinem Tod, eine Lösung für Albert Einsteins damals brandneue Allgemeine Relativitätstheorie veröffentlichte.

In den folgenden Jahrzehnten wurde den Forschern klar, dass Schwarzschilds Lösung implizierte, dass ein kosmisches Objekt eine Singularität bilden könnte – einen zentralen Punkt von immenser Dichte, in den die Materie hineinkollabiert. So bezeichnet denn auch der Schwarzschildradius bezeichnet den minimalen Abstand, der benötigt wird, um der Anziehungskraft zu entkommen.

Trotz der Faszination dieses Themas galten solche dunklen Sterne bis in die 1960er Jahre als unphysikalisch, als vollkommen runde und symmetrische Idealobjekte, die man nur in der abstrakten Welt der Mathematik findet. Penrose dachte anders. Am Birkbeck College in London leistete er von 1964 bis 1965 wichtige Beiträge, die die Existenz dunkler Sterne ins Reich des Möglichen rückten.

Entscheidend war dabei der Begriff einer „eingeschlossenen Oberfläche“. Im Gegensatz zu einer normalen Oberfläche, von der Lichtstrahlen in jede Richtung abstrahlen können, ist eine eingeschlossene Oberfläche eine geschlossene, zweidimensionale Oberfläche, die Lichtstrahlen nur erlaubt, in Richtung Zentrum zu konvergieren. Penrose zeigte, dass im Zusammenhang mit einem Schwarzen Loch jede Oberfläche, die kleiner als der Schwarzschildradius ist, auch eine verzerrte, eine eingeschlossene Fläche wird. Die Krümmung der Raumzeit ist so extrem, dass man einem Schwarzen Loch nicht entkommen kann. Es ist genauso unmöglich wie in der Zeit rückwärts zu gehen.

Penroses bahnbrechende Arbeit aus dem Jahr 1965 wird als das erste post-einsteinianische Ergebnis der allgemeinen Relativitätstheorie gepriesen, als der Funke für neue Erkenntnisse in Physik und Astronomie. Sie gilt als Ursprung unserer modernen Sichtweise von Schwarzen Löchern, indem sie eingeschlossene Oberflächen zum Aufbau des ersten modernen Singularitätstheorems verwendet.

Auf der Jagd nach den Schwarzen Löchern

Etwa zur gleichen Zeit wie Penrose Fortschritte in der Theorie Schwarzer Löcher deuteten Beobachtungen darauf hin, dass die meisten großen Galaxien, einschließlich unserer eigenen, in ihrem Zentrum gigantische galaktische Anker beherbergen – supermassive Schwarze Löcher zwischen einigen Millionen und vielen Milliarden Sonnenmassen.

In jahrzehntelanger Arbeit wurde ein sehr helles und kompaktes Objekt namens Sagittarius A* nachgewiesen, das sich nahe der Grenze zwischen den Sternbildern Schütze und Skorpion befindet und somit ein Kandidat für die Lokalisierung des supermassereichen Schwarzen Lochs der Milchstrasse ist. Aber ob es sich um ein einzelnes kompaktes Objekt oder nur um eine dichte Ansammlung bekannter Objekte handelte, konnte nicht überprüft werden, da Staub und Gas die Sicht verdunkelten.

Bis zwei Beobachtungsteams – eines unter der Leitung von Reinhard Genzel am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) und das andere unter der Leitung von Andrea Ghez an der University of California, Los Angeles (UCLA), in den 1990er Jahren begannen, durch die Staubwolken ins Herz der Milchstrasse zu schauen und die Natur von Sagittarius A* aufzudecken, hatte sich daran wenig geändert.

Schwarze Löcher standen beim Physiknobelpreis 2020 im Fokus. Photo/Credit: Pitris/iStock

Beide Gruppen wollten Sterne verfolgen, die in der Nähe von Sagittarius A* kreisen. Ihre Hypothese: Wenn die Region ein supermassereiches Schwarzes Loch beherbergen würde, müssten diese Sterne verräterische Umlaufbahnen aufweisen, die beschleunigt würden, je näher sie dem Zentrum kämen.

Doch selbst mit den damals stärksten Teleskopen und der Beobachtung mit Infrarot durch den interstellaren Staub hindurch war es aufgrund der Unschärfe der Erdatmosphäre schwierig, einzelne Sterne im Orbit zu unterscheiden.

Um diesen Umstand zu kompensieren, entwickelten und verwendeten beide Teams zunächst die Technik der Speckle-Interferometrie, bei der mehrere Kurzbelichtungen kombiniert werden, die jeweils kurz genug sind, um ausgedehnte atmosphärische Verzerrungen zu vermeiden. Das beschränkte die Teams leider auf die Beobachtung der hellsten Sterne und erforderte langwierige Untersuchungen, sodass ein schlüssiger Beweis für das supermassereiche Schwarze Loch der Milchstrasse nicht erreicht wurde.

Das Aufkommen der adaptiven Optik zu Beginn des 21. Jahrhunderts änderte diese Umstände. In der adaptiven Optik wird ein Laser in den Nachthimmel gestrahlt, wodurch ein „künstlicher Stern“ entsteht. Atmosphärische Effekte führen zu Bildverzerrungen des künstlichen Sterns, diese werden dann von einem Algorithmus entschlüsselt und in Echtzeit mit kleinen Korrekturen die Spiegelform des Teleskops ausgeglichen.

Beide Teams stürzten sich sofort auf die neue Technologie und nutzten sie, um Sagittarius A* zu erforschen. In den Jahren 2008/2009 fanden sie endlich den Beweis: Die Flugbahnen mehrerer nahegelegener Sterne zeigten, dass Sagittarius A* weniger als das 125-fache des Abstandes zwischen Erde und Sonne misst, obwohl es sich um 4 Millionen Sonnenmassen handelt. Die einzig mögliche Erklärung? Es handelt sich um ein supermassives Schwarzes Loch.

Die Nobelpreiswoche findet vom 5. bis 13. Dezember 2020 statt. Viele der Veranstaltungen kann man via Stream verfolgen.

Ben Skuse

Benjamin Skuse ist professioneller freiberuflicher Autor für vielfältige Wissenschaftsbereiche. Zuvor promovierte er in Angewandter Mathematik an der Universität Edinburgh und erhielt einen MSc in Wissenschaftskommunikation. Heute lebt er in West Country/Großbritannien. Er hat sich zum Ziel gesetzt, verständliche, fesselnde und überzeugende Artikel für alle Leser zu schreiben - unabhängig von der Komplexität der Themen. Seine Artikel sind bereits in New Scientist, Sky & Telescope, BBC Sky at Night Magazine, Physics World und vielen anderen Publikationen erschienen.