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Veröffentlicht 1. Juli 2023 von Ben Skuse

Maßnahmen gegen die Auswirkungen des Klimawandels auf die globale Gesundheit

Die Teilnehmer*innen der letzten Panel Discussion von #LINO23

Mittlerweile wird immer häufiger deutlich, welche Auswirkungen der Klimawandel auf die Gesundheit der Weltbevölkerung haben kann (und bereits hat). Extreme Wetterverhältnisse führen zu einer Zunahme von hitze- und kältebedingten Krankheiten und Todesfällen sowie zu häufigeren und intensiveren Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen, Überschwemmungen, Waldbränden und Stürmen. Luftverschmutzung verursacht Atemwegserkrankungen. Und Unterbrechungen in der Wasserversorgung und in landwirtschaftlichen Systemen tragen nachfolgend zu Unsicherheiten in der Nahrungsmittelversorgung, zu Unterernährung und zum Ausbruch verschiedener Krankheiten bei. Noch schlimmer ist, dass diese Auswirkungen unverhältnismäßig stark die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft treffen – ältere Menschen, junge Menschen, Personen mit Vorerkrankungen und Bevölkerungsgruppen in Entwicklungsländern, in denen es am gravierendsten an den notwendigen Ressourcen fehlt, um diese Bedrohungen abzuwehren.

Die Frage, wie die Wissenschaft und Wissenschaftler*innen auf diese globale gesellschaftliche Herausforderung reagieren sollten, wurde in diesem Jahr gleich bei zwei #LINO23-Sessions diskutiert: in dem Agora Talk Why Europe Should Embrace GMOs am Dienstag, 27. Juni, und in der abschließenden Panel Discussion Climate Change and Implications on Health am Freitag, 30. Juni.

Die Zukunft der Nahrungsmittel

Sir Richard J. Roberts;
Sir Richard J. Roberts mit Moderator Adam Smith

Der erste Vortrag war ein klares Plädoyer von Sir Richard J. Roberts (Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 1993) für die Einführung von gentechnisch veränderten Lebensmitteln in Europa, um eine wachsende Weltbevölkerung auf einer sich erwärmenden Erde zu ernähren. Roberts ist überzeugter Verfechter dieser Forderung und hat zusammen mit anderen Nobelpreisträger*innen eine Kampagne zur Beeinflussung der Debatte organisiert, die bereits 161 Unterzeichner zählt.

„In Europa ist es verboten, gentechnisch veränderte Lebensmittel zu kaufen und anzubauen (mit Ausnahme von Spanien und vielleicht Portugal). Jedoch werden Tiere in Europa mit Millionen Tonnen von GVO-Sojabohnen gefüttert“, erklärte er. „Offenbar sind gentechnisch veränderte Organismen für Tiere völlig unbedenklich, aber für Menschen tödlich – ich finde diese Heuchelei übertrieben.“

Roberts vertritt die Position, dass gentechnisch veränderte Organismen aus wissenschaftlicher Sicht sicher sind, dass aber politische und finanzielle Interessen weiterhin eine europaweite Anti-GVO-Bewegung anheizen, die den Ausbau von GVO-Kulturen verhindern. Er argumentiert, dass dies nicht nur für Europa schädlich ist – wo beispielsweise die Auswirkungen des Klimawandels dazu geführt haben, dass das Unternehmen Taittinger Champagner Weinberge im Vereinigten Königreich bestellt – sondern, dass diese Ansicht auch ein entscheidendes Hindernis für den Rest der Welt ist, GVO zu etablieren. Laut Roberts zögern zum Beispiel afrikanische Länder, gentechnisch veränderte Organismen anzubauen, weil sie befürchten, dass Europa den Handel mit ihnen einstellen wird.

Er schloss seine Ausführungen mit einem Appell an die anwesenden Young Scientists, GVO zu unterstützen. „Jede Nacht gehen 800 Millionen Menschen hungrig zu Bett, und das kann gelöst werden.“, sagte er. „Die Zukunft der Welt liegt in euren Händen – ihr habt eine wunderbare Vorreiterin in Greta Thunberg, die gezeigt hat, was junge Menschen bewegen können, wenn sie nur aktiv werden. Also werdet aktiv.“

Erkenntnisse für die Gesellschaft aus #LINO23

Drei Tage nach Roberts Vortrag, nahmen Moderator Adam Smith und die Panelisten Peter Agre (Nobelpreis für Chemie 2003), Diarmid Campbell-Lendrum (Weltgesundheitsoranisation, WHO), Epidemiologieforscher Joacim Rocklöv (Universität Heidelberg) und die Young Scientists Leonard Schmitt (Technische Universität München), Jana Sanne Huisman (Massachusetts Institute of Technology, USA) und Antonia Morita Saktiawati (Universitas Gadjah Mada, Indonesia) den Faden wieder auf.

Wie Bettina Gräfin Bernadotte bei der Begrüßung der Teilnehmer*innen erklärte, bietet die letzte Podiumsdiskussion der Woche die Möglichkeit, „Themen zu diskutieren, die für die Gesellschaft von großer Bedeutung sind.“ Daher wird sie oftmals zu einem Forum, in dem ein breites Spektrum von Herausforderungen und verschiedenen Ansichten zu Themen geäußert werden kann. Auch wenn die 90-minütige Redezeit es fast unmöglich macht, sich eingehend mit Lösungen zu befassen.

Aus diesem Grund hatten sich in diesem Jahr zahlreiche Young Scientists bereits am Vortag der Panel Discussion getroffen, um sechs zentrale Aspekte im Zusammenhang mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen auf die Gesundheit auszuarbeiten. Campbell-Lendrum – Leiter des Referats für Klimawandel und Gesundheit der WHO, das die Vorkehrungen der Länder überwacht und bewertet und darüber hinaus die Kapazitäten zum Schutz der menschlichen Gesundheit vor dem Klimawandel ausbaut – nahm die vertraute Rolle des Beobachters ein. „In rund 20 Minuten hatte die Gruppe junger Wissenschaftler*innen… im Grunde die Agenda umrissen, die einige von uns über einen Zeitraum von zwanzig Jahren erarbeitet haben“, schwärmte er. „Das war ermutigend, nicht nur wegen der brillanten Köpfe, sondern auch, weil es den Konsens darüber bestätigt, was in diesem Bereich noch getan werden muss.“

Aus einer langen Liste wurden die folgenden sechs Schwerpunkte ausgewählt:

  • Wichtigkeit, über die direkten und indirekten Folgen des Klimawandels auf die Gesundheit zu sprechen,
  • Sicherstellung der Vorsorge bei künftigen Pandemien,
  • interdisziplinäre Zusammenarbeit zur Erzielung einer optimalen Gesundheit für Menschen, Tiere und die Umwelt,
  • Maßnahmen, um unsere Labore, Krankenhäuser und die Wissenschaft im Allgemeinen nachhaltiger zu gestalten,
  • Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft und die Einflussnahme auf politische Entscheidungsträger, damit diese die zur Verhinderung des Klimawandels erforderlichen Maßnahmen vornehmen,
  • Maßnahmen, um den Einsatz von KI zur Bewältigung des Klimawandels und zur Sicherstellung der Gesundheit zu ermöglichen und damit verbundene Risiken zu minimieren.

Alle Teilnehmer*innen der Panel Discussion lieferten überzeugende Beiträge. Besonders die anwesenden Young Scientists zeigten großen Enthusiasmus und erfrischende, neue Perspektiven. Leonard Schmitt, Doktorand der Medizin, ist einer von sieben TUM-Studenten, die in dem Projekt electrum beteiligt sind. Ziel ist die Entwicklung eines Modells, das den Energieverbrauch einer Universität und ihrer Studierenden berechnet und Vorschläge für Verbesserungen macht. Schmitt betonte die Notwendigkeit, alle jungen Menschen darüber aufzuklären, wie sich der Klimawandel auf ihre Fachgebiete auswirken wird bzw. auswirkt, insbesondere in gesundheitsbezogenen Disziplinen. „Angesichts der Tatsache, dass der Klimawandel die größte gesundheitliche Bedrohung für die Menschheit darstellt, sollte man meinen, dass dies Teil des Lehrplans sein sollte, oder? Ich habe noch keine einzige Vorlesung darüber gehört“, sagte er.

Antonia Morita Saktiawati

Saktiawati betonte, dass wir nicht mehr von einem globalen Nord-Süd-Gefälle ausgehen können, wenn es um die öffentliche Gesundheit geht.

Dies gilt sowohl für COVID-19 als auch für die Tatsache, dass sich durch den Klimawandel die Orte, an denen Krankheiten wie Malaria und Dengue-Fieber grassieren, verschieben. „Solange Infektionen im globalen Süden auftreten, können sie auch in den globalen Norden gelangen – niemand ist sicher, solange nicht alle sicher sind.“

Jana Sanne Huisman
Jana Sanne Huisman

Huisman weitete dieses Argument auf die Politik aus und plädierte für ein verstärktes Engagement der Wissenschaftler*innen bei gesellschaftlichen Fragen im Zusammenhang mit Klimawandel und Gesundheit. „Was können wir tun, um unsere Politiker*innen zu überzeugen?“, fragte sie. „Ein Teil unserer Argumentation sollte darin bestehen, die globalen Auswirkungen unseres Handelns zu verdeutlichen. Manchmal ist es jedoch die überzeugendere Kommunikationsstrategie zu sagen: ‚Was Sie für ein weit entferntes Problem halten, ist in Wirklichkeit ein Problem bei uns zu Hause‘.“

Auch die erfahreneren Panelisten hatten einiges zusagen. Agre hat sich als Mitglied des Beirats der Climate Grand Challenge und als Direktor des Malaria-Forschungsinstituts an der Johns Hopkins University aktiv für die Vermittlung und Erforschung von Lösungen für die Klimakrise im Hinblick auf öffentliche Gesundheit und Chancengleichheit eingesetzt. Auf die Frage, wie man Vertrauen in die Wissenschaft in Bezug auf den Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Gesundheit aufbauen kann, hatte er einen weisen Rat: „Wir müssen überzeugend auftreten … und wir sollten eine Sprache wählen, die nicht aufrührerisch ist.“ Er nannte Al Gores erfolglose Kandidatur zum US-Präsidenten im Jahr 2000 als perfektes Beispiel dafür, wie man es nicht machen sollte: „Er diskutierte in einem Schneesturm über den Klimawandel und sprach über Waffenkontrolle in West Virginia – man muss die Wahl gewinnen, bevor man die Politik ändert.“

Campbell-Lendrum hatte zu diesem Thema noch mehr zu sagen. „Eine positive Darstellung des gesundheitlichen und ökologischen Nutzens von Klimaschutzmaßnahmen findet grenzüberschreitend die meiste Unterstützung“, erklärte er, bevor er scherzhaft hinzufügte: „Und das wurde in vielen Ländern getestet – die einzige Ausnahme ist Deutschland.“

Leonard Schmitt
Leonard Schmitt

Rocklöv, der epidemiologische Forschung mit starken Bezügen zu Umwelt, Ökologie und Klimawandel betreibt und dabei mathematische, statistische und künstliche Methoden anwendet, war in seiner Antwort konkreter: „Eine andere Sache, die wirklich vielversprechend und wichtig ist, ist die Einbeziehung normaler Menschen, da dies das Bewusstsein und die Unterstützung für politische Maßnahmen erhöht“, sagte er. „Ein Beispiel ist das Citizen-Science-Projekt Mosquito Alert, bei dem Menschen das Auftauchen neuer Mückenarten in Spanien und auch an anderen Orten feststellen.“

Obwohl viele der Themen, Argumente und Beispiele den Teilnehmer*innen bereits bekannt waren, hatte man am Ende der Diskussion das Gefühl, dass sie mit einer neuen Entschlossenheit nach Hause gingen, ihren Beitrag zu leisten. Um es mit den Worten von Schmitt zu sagen: „Wir kennen die Lösung, wir müssen sie nur noch umsetzen.“

Ben Skuse

Benjamin Skuse ist professioneller freiberuflicher Autor für vielfältige Wissenschaftsbereiche. Zuvor promovierte er in Angewandter Mathematik an der Universität Edinburgh und erhielt einen MSc in Wissenschaftskommunikation. Heute lebt er in West Country/Großbritannien. Er hat sich zum Ziel gesetzt, verständliche, fesselnde und überzeugende Artikel für alle Leser zu schreiben - unabhängig von der Komplexität der Themen. Seine Artikel sind bereits in New Scientist, Sky & Telescope, BBC Sky at Night Magazine, Physics World und vielen anderen Publikationen erschienen.