Veröffentlicht 26. Juli 2014 von Stephanie Hanel
Francoise Barré-Sinoussi und ihr Kampf gegen AIDS
Warum Aids-Forschung immer auch eine politische Dimension hat und eine Wissenschaftlerin gleichzeitig eine international agierende Aktivistin sein kann.
Forscherin und politische Rednerin in einem – für Nobelpreisträgerin Barré-Sinoussi scheint das unumgänglich, wenn man Forschung zum Wohle der Menschheit betreibt. Sie hat als Präsidentin der Internationalen Aids-Society (IAS) die Welt-Aids-Konferenz in Melbourne eröffnet und wird nicht müde, neue Anstrengungen aller Verantwortlichen anzumahnen. Zuvor gab sie bei der Lindauer Nobelpreisträgertagung einen umfassenden Überblick über den aktuellen Forschungsstand zu HIV – auch hier mit Bezug auf die Implikationen der Forschungsergebnisse für die weitere Strategie der Aids-Bekämpfung.
Wenn man Francoise Barré-Sinoussi zuhört, lassen sich Forschung und ihre Bedeutung für die Menschen nicht mehr voneinander trennen. Und damit wird Barré-Sinoussi auch zu einer Hoffnungsträgerin für viele Millionen Betroffene. Die Professorin strahlt eine beeindruckende Willenskraft aus – und das im Angesicht einer gigantischen Aufgabe. Denn nicht nur die Krankheit an sich stellt eine enorme Herausforderung an die Wissenschaft dar, dazu kommen noch die politischen und gesellschaftliche Faktoren der Tabuisierung und Stigmatisierung, die es schier unmöglich erscheinen lassen, ständige weitere Ansteckung einzudämmen.
AIDS, so betont Barré-Sinoussi immer wieder, muss man von beiden Seiten packen – den Virus im Körper der Betroffenen soweit stoppen, dass sich die Erreger nicht mehr weiter ausbreiten können und gleichzeitig neue Infektionen verhindern. Das heißt konkret, an Forschung zu arbeiten, die versucht Erkenntnisse für mögliche Medikamente zu erarbeiten und damit bereits Betroffenen zu helfen und gleichzeitig beispielsweise einen Impfstoff zu entwickeln, als einen der möglichen Bausteine zur Vorsorge. Und zusätzlich ins Bewusstsein sowohl von Privatpersonen als auch öffentlicher Organisationen und der Politik zu bringen, dass sich AIDS in unserer Zeit aus Furcht vor Repressionen weiter ausbreitet, obwohl es bereits Medikamente gibt. Die Zahlen sind erschreckend. Barré-Sinoussi beziffert sie in einem FAZ-Interview der letzten Tage: Es würden gegenwärtig zwar etwa 14 Millionen HIV-Infizierte mit Aids-Medikamenten versorgt, mindestens 15 Millionen weitere müssten aber eine antiretrovirale Therapie (ART) bekommen. Auf der ganzen Welt würden, abhängig vom jeweiligen Land, zwischen 30 und 50 Prozent der Infizierten nichts von ihrer Ansteckung wissen. Die Konferenz in Melbourne will deshalb mit der „Melbourne Declaration“ ein Zeichen setzen und politischen Druck ausüben: AIDS kann nur dann besiegt werden, wenn Diskriminierung und Ausgrenzung beseitigt werden.
Die Melbourne-Konferenz wird überschattet vom tragischen Tod vieler Wissenschaftler, Aktivisten und weiterer Kongressteilnehmer durch den Abschuss des Flugzeugs mit der Flugnummer MH17 am 17. Juli 2014, das sie dorthin hätte bringen sollen. In einer Würdigung der Verstorbenen durch „Scientific American“ sagt der Doktorvater der jungen Chemikerin Karlijn Keijzer: „She inspired us all with her optimism about how science will make Earth a better place.“ Alle Getöteten, unter Ihnen auch der Medizin-Professor Joep Lange, waren Menschen, die mit ihrer Persönlichkeit „Forschung zum Wohle der Menschheit“ verkörperten und Menschen, die von ihrem Engagement getragen wurden. Die Delegierten von Melbourne werden ihre Kraft weiter in den Kampf gegen AIDS investieren – ganz im Sinne der Verstorbenen.
Weitere Posts zu diesem Thema im Lindau Blog:
Nobel Lab von Francoise Barré-Sinoussi
Tagungsteilnehmer Yasin Emanee im Gespräch mit Barré-Sinoussi