Veröffentlicht 24. Oktober 2016 von Stephanie Hanel
Wissenschaftliche Zusammenarbeit als Motor für den Frieden
Kann Wissenschaft Brücken zwischen den Nationen der Welt bauen? Das zumindest ist die Hoffnung, die hinter dem Begriff Science Diplomacy steht. Science Diplomacy meint von der Politik abgefragte wissenschaftliche Expertise ebenso wie diplomatische Bemühungen um internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit. Aber auch wenn wissenschaftliche Kooperationen erst im zweiten Schritt zur Verbesserung der internationalen Beziehungen führen, ist das ein Erfolg im Sinne der Science Diplomacy.
Eine leidenschaftliche Befürworterin solch großer Kollaborationen ist Professorin Felicitas Pauss, Teilchenphysikerin an der ETH Zürich und vormals Head of International Relations am CERN. 2010 sagte sie im Interview:„Wir haben Mitarbeiter aus der ganzen Welt und ich kann meine Begeisterung dafür ausleben, dass die wissenschaftliche Sprache, die wissenschaftliche Zusammenarbeit über politische Grenzen hinausgeht.“
Bei einer Großforschungsanlage wie dem CERN, an dem allein beim CMS-Projekt rund 3000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von 200 Instituten aus 40 Ländern beteiligt sind, kann man tatsächlich von einem multinationalen Austausch in zwei Richtungen sprechen, denn neben dem Personal vor Ort und den festen Mitgliedsstaaten gibt es sogenannte International Cooperation Agreements, und dadurch profitieren laut Prof. Pauss mehr als 10.000 Wissenschaftler/innen aus 70 Ländern, weil sie die wissenschaftlichen Anlagen für ihre Forschung nutzen können.
Dass die Gründung einer solchen Großforschungsanlage unzählige politische Verhandlungen und Bemühungen diplomatischer Art bedarf, versteht sich von selbst. „Von so vielen Nationen eine verbindliche langfristige finanzielle Zusage zu erhalten, ist eine große Herausforderung. Vom ersten Konzept bis zur Inbetriebnahme des Teilchenbeschleunigers LHC im Jahr 2008 dauerte es mehr als 20 Jahre“, so Prof. Pauss. Die Gründungsversammlung liegt sogar über 60 Jahre zurück: Sie fand 1954 statt.
Live-Schaltung zum CERN mit Generaldirektorin Fabiola Gianotti und Kollegen auf dem diesjährigen LNLM – es diskutierten auf dem Podium Steven Chu, David Gross, Takaaki Kajita und Carlo Rubbia zum Thema „Glimpses Beyond the Standard Model“, moderiert von Felicitas Pauss.
Nach dem zweiten Weltkrieg mussten die ehemals verfeindeten Nationen die abgebrochenen wissenschaftlichen Beziehungen wieder aufnehmen – und Deutschland seine komplette Isolierung von der weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft überwinden. In den USA erreichte John F. Kennedy 1961 einen entsprechenden Kooperationsvertrag mit Japan.
In Deutschland hatten die beiden Lindauer Ärzte Dr. Franz Karl Hein und Prof. Gustav Parade 1951 die Idee, Nobelpreisträger aus den wissenschaftlichen Disziplinen Chemie, Physik und Medizin zusammen zu bringen und fanden in Graf Lennart Bernadotte einen idealen Förderer und Gastgeber. Über die Jahre wurde die Idee weiter ausgebaut: Die Einladung an die Nachwuchswissenschaftler/innen aus aller Welt, sich um eine Teilnahme zu bewerben, kam hinzu und trug wesentlich dazu bei den Wahlspruch der Tagungen „Educate, Inspire, Connect“ mit Leben zu erfüllen. Der Impetus der Meetings wurde letztes Jahr besonders deutlich spürbar, als während der Tagung eine Mehrheit der anwesenden Nobelpreisträger/innen die „Mainau Declaration 2015 on Climate Change“ unterzeichnete.
Ebenfalls Anfang der fünfziger Jahre wurde der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) in Bonn wieder gegründet. Der DAAD ist mittlerweile eine der größten Förderorganisationen für den internationalen Austausch von Akademiker/innen weltweit. Er führt auch das sehr beliebte Erasmus-Programm der Europäischen Union durch. Diese akademische Völkerverständigung machte Deutschland wieder weltoffener und leistungsstärker und dasselbe gilt für seine Partnerorganisationen in der Welt.
In den USA ist Science Diplomacy ein gesetzter Begriff und wird als Aushängeschild einer modernen Politik genutzt. Unter Barack Obamas Führung erlangte der Begriff einige Popularität. Obamas Bemühungen zu Zeiten des aufkommenden arabischen Frühlings, die amerikanische Scientific Community und Wissenschaftler/innen aus überwiegend muslimischen Ländern über wissenschaftliche und technische Innovationen näher zusammen zu bringen, sind ein Beispiel dafür. Es schmerzt im Angesicht der heutigen politischen Situation auf solch hoffnungsvolle Erwartungen zurückzublicken. Auch Nobelpreisträger Peter Agre hatte in einem Artikel die Bemühungen der US-Regierung geschildert, aber im gleichen Atemzug gemahnt, dass die Anstrengungen noch weiter erhöht werden müssten.
Agres Worte zu Science Diplomacy, wie er sie versteht, sind aber zeitlos:
„Science is a wide-ranging effort that naturally crosses borders, and so scientist-to-scientist collaboration can promote goodwill at the grass roots.“
Und es gibt jenseits des aktuellen politischen Geschehens ein unschlagbares Argument für Science Diplomacy – die komplexen globalen Probleme und Konflikte können nur mit einem globalen Ansatz gelöst werden, und für den ist die Wissenschaft prädestiniert. Kein medizinisches Forschungsteam hat als Ziel nur die Kranken im eigenen Land zu heilen, und was heißt schon ‚eigenes Land’, wenn man doch vielleicht in einem Team weitab des Herkunftslandes seinen Platz gefunden hat?
Positiv besetzt und immer für entsprechende Schlagzeilen gut ist die internationale Raumstation ISS, ein gemeinsames Projekt der US-amerikanischen NASA, der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, der europäischen Raumfahrtagentur ESA und der Raumfahrtagenturen Kanadas und Japans. Dass es sich trotzdem um dünnes diplomatisches Eis handelt, auf dem da agiert wird, zeigten die durch den Konflikt in der Ostukraine angeheizten Diskussionen über ein Ende des Betriebs der ISS, die aber vorerst beigelegt werden konnten. Außerdem war es nicht möglich China am Aufbau und Betrieb zu beteiligen – aufgrund eines Vetos der USA.
Ein Projekt, dessen bauliche Materialisierung aufgrund der politischen Verstrickungen jahrelang nicht in Gang kam, ist das Fusions-Großforschungsprojekt ITER in Frankreich. Erst ein interner Bericht, der nach außen gelangte, markierte den Wendepunkt. Hier sind die Bauherren die EU, Russland, die USA, China, Japan, Indien und Südkorea. Und natürlich waren es nationale Interessen im Sinne von Auftragsvergaben, die das Unternehmen an den Rande des Scheiterns brachten.
Die schwierige Balance zwischen nationalen Interessen und der Investition in eine friedliche Staatengemeinschaft zu halten, ist die große Herausforderung für alle Beteiligten. Angesichts der besorgniserregenden nationalistischen Strömungen und ebensolcher Regierungspolitik einiger Länder, stehen viele Errungenschaften, die wir schon als selbstverständlich empfanden, wieder auf dem Spiel.