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Veröffentlicht 30. Juni 2016 von Stephanie Hanel

Wissenschaftler als moderne Nomaden in einer globalisierten Wissenschaftswelt

„Scientists in motion: how immigration continues to shape the scientific world“ lautete das Motto des ersten Press Talks auf den 66. Lindauer Nobelpreisträgertagungen. Ein kleines, aber feines Format auf den Tagungen, das sich mittlerweile bewährt hat als Treffpunkt abseits der laufenden Lectures um Schlaglichter auf Themen rund um die Wissenschaft zu werfen, die von übergeordneter Bedeutung sind.

Auf Einladung von Physics World fanden sich die interessierten JournalistInnen und die Podiums-TeilnehmerInnen ein, um Einblicke in dieses weit gefasste Thema zu erhalten: Geht es in erster Linie um bessere Forschungsmöglichkeiten oder sind es im schlechtesten Fall die politischen Verhältnisse im Herkunftsland, die dem Wechsel vorausgehen?

Hamish Johnston, Redakteur bei Physics World, leitete die Diskussion mit einem kurzen Abriss über die Lebenswege von Physik-Nobelpreisträgern ein. Johnston hat sich die Mühe gemacht zu recherchieren, wie viele Nobelpreisträger/innen in anderen Ländern leben oder gestorben sind als ihrem Geburtsland. Das traf immerhin auf 51 Laureaten von 200 aufgeführten zu. Klarer Gewinner dieses Brain-Drain sind die USA mit dreißig Laureaten, die zu ihnen abwanderten, allein 11 aus Deutschland. Keine Frage: Das ist nur eines der vielen Schlaglichter, die man auf dieses Thema werfen kann. Und so war eine Frage aus dem Publikum auch die nach ‚harten Fakten’ und entsprechenden wissenschaftlichen Untersuchungen, die aber anscheinend noch nicht existieren.

Die Besetzung des Podiums verdeutlicht die ganze Bandbreite des Themas: Es sind die Young Scientists Winifred Ayinpogbilla Atiah und Ana Isabel Maldonado Cid. Atiah stammt aus Ghana und wechselte für ihr Studium in Senegal den Sprachraum – von der englischsprachigen Welt in Ghana in die französisch sprechende im Senegal. Ihre Kollegin Maldonado Cid stammt ursprünglich aus Spanien, hat aber schon in Deutschland und England geforscht und lebt und arbeitet aktuell in Frankreich. Zwei Nobelpreisträger stehen ebenfalls Rede und Antwort: Martin Karplus und Dan Shechtman. Karplus musste als Kind noch vor den Nationalsozialisten aus Wien flüchten und emigrierte mit seiner Familie in die USA. Shechtman wiederum wurde in Israel geboren, forschte in den USA und kehrte nach Israel zurück.

Shechtman wies auf die Besonderheit einer Wissenschaftlerkarriere in Israel hin, für die es eine Voraussetzung ist, Post-Doc-Forschung im Ausland betrieben zu haben, um später eine Professorenstelle in Israel zu erhalten. Eine weitere Besonderheit sei auch, dass die besten Köpfe in Israel in den Niederlassungen internationaler Konzerne arbeiten, aber diese Konzerne nicht in Israel produzieren lassen, sondern rein als Entwicklungsabteilungen agieren. Shechtman charakterisiert Israel als „start-up country“. Seine Position ist, dass exzellente Forschung exzellente Bedingungen braucht und er seinerseits gerne dorthin gegangen wäre, wo er diese finden konnte, denn auch ein Wissenschaftler muss ‚wachsen und gedeihen’ können.

 

Martin Karplus, Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings
Martin Karplus, Picture/Credit: Christian Flemming/Lindau Nobel Laureate Meetings

Die interessante Frage aus dem Publikum, ob man denn als Wissenschaftler/in das Gefühl habe, dem Land etwas zu schulden, das einem aufgenommen hat und gute Forschungsbedingungen zur Verfügung stellte, beantwortet Young Scientist Ana Isabel Maldonado Cid ganz selbstbewusst damit, dass sie doch dafür auch Studien durchgeführt und vor Ort publiziert habe.

Wenn man andersherum als Jungforscherin wie Winifred Ayinpogbilla Atiah weiß, wie dringend die Expertise und die Forschungsergebnisse in der Heimat gebraucht werden, kann das auch ein starker Motor für die eigene Karriereplanung sein. Tatsächlich ist hier die Ausbildung oft davon motiviert, etwas für den Fortschritt und die Zukunft des Heimatlandes beizutragen und nach einer entsprechenden Ausbildung auch dorthin zurück zu kehren. Wichtig für die Forschungslandschaft in Afrika sind Initiativen wie das von Atiah erwähnte Next Einstein Forum. Dieses hat sich zum Ziel gesetzt, afrikanische WissenschaftlerInnen in der internationalen Wissenschafts- und Forschungsgemeinschaft stärker sichtbar zu machen und sie zu integrieren.

Bei der Frage nach den persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung in der neuen Heimat, kann Martin Karplus seine Lebensgeschichte beitragen. Karplus war mit seinen Eltern und seinem Bruder über die Schweiz in die USA gelangt und hat es seinen vorausschauenden Eltern zu verdanken, dort bereits mit Sprachkenntnissen starten zu können. Der Start in den USA fiel so leichter, aber er verspürte einen indirekten Druck. Man gehört nicht wirklich dazu und muss sich besonders anstrengen, also Leistung zeigen und sich eine Daseinsberechtigung erarbeiten. Positiv gewendet war das aber auch ein unbedingtes Verlangen etwas zu bewegen in seinem Leben. Tatsächlich gab es 1949 in den USA eine begrenzte Zulassung für jüdische Studenten und nur die Besten wurden genommen. Karplus erinnert daran, dass es bestimmte Gegenden gab, in denen Juden nicht leben durften, d.h. keine Häuser kaufen konnten. An dieser Stelle pflichtet ihm Shechtman bei, auch wenn das heute dann moderater als, „ich zeige ihnen etwas anderes, das hier passt nicht für sie“ formuliert wird. Karplus kann sich vorstellen, dass sich die bisher so große Migration von Wissenschaftlern in die USA auch wieder verändert und in zwanzig Jahren vielleicht alle nach China gehen. In China gibt es große Anstrengungen, exzellente Köpfe anzuwerben und ihnen die entsprechende Umgebung zur Verfügung zu stellen.

Um auf Deutschland zurück zu kommen: Die Herrschaft der Nationalsozialisten und der zweite Weltkrieg hatten die zuvor in Deutschland (und Österreich) florierende Forschung komplett zum Erliegen gebracht und das ehemals geistige Zentrum zerstört. Bei der Eröffnung der 66. Lindauer Nobelpreisträgertagungen erinnerte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka daran, dass dieses Treffen 1951 etabliert wurde, um die deutsche Wissenschaft wieder aus der Isolation zu holen. Heute können die Früchte dieser Bemühungen genossen werden und wir erleben, wie die Lindauer Nobelpreisträgertagungen dank der Young Scientists von Jahr zu Jahr internationaler werden.

Stephanie Hanel

Stephanie Hanel is a journalist and author. Her enthusiasm for the people behind science grew out of her work as an online editor for AcademiaNet, an international portal that publishes profiles of excellent female scientists. She is an interested observer of new communication channels and narrative forms as well as a dedicated social media user and science slam fan.