Veröffentlicht 28. Juni 2016 von Stephanie Hanel
Wie forscht eigentlich Österreich?
Österreich hat in den vergangenen 20 Jahren enorme Anstrengungen unternommen, seinen Ruf als Forschungsnation auf- und auszubauen. Es scheint, dass der Lissabon-Prozess, der im Jahr 2000 begann und als Ziel hatte, einen Europäischen Forschungsraum herauszubilden, dies beflügelte. Angepeilt wurde darin unter anderem eine Forschungsquote der einzelnen beteiligten Staaten in Höhe von drei Prozent bis 2010.
Österreich hat daraufhin nicht nur die Quote überproportional erhöht, sondern auch strukturelle Reformen folgen lassen. Neben den 22 öffentlichen Universitäten des Landes, gibt es noch Einrichtungen wie beispielsweise das Austrian Institute of Technology (AIT) als größte außeruniversitäre Forschungsgruppe und die Österreichische Akademie der Wissenschaften als größte Institution der Grundlagenforschung. Vor allem aber ging es den Verantwortlichen darum, den Brain-Drain in einen Brain-Gain zu verwandeln und das in zweifacher Hinsicht: Die Initiative „brainpower austria“ sollte österreichischen ForscherInnen im Ausland Karriereperspektiven in Österreich aufzeigen und sie in diesen Belangen unterstützen. Zudem gab es die Initiative „fForte“ (Frauen in Forschung und Technologie), da Österreichs Forschung zum damaligen Zeitpunkt nur zu einem Fünftel weiblich war. Gleich drei Ministerien legten entsprechende Programme auf.
Eine Forscherin aus Österreich, die in den letzten Jahren von sich reden machte, verkörpert den Erfolg dieser Anstrengungen geradezu idealtypisch: Francesca Ferlaino, Experimentalphysikerin an der Universität Innsbruck. Ferlaino wurde in Neapel geboren, studierte Physik in Neapel, Triest und Florenz und ging 2006 als Gastwissenschaftlerin zur Forschungsgruppe von Rudolf Grimm nach Innsbruck. Seit 2009 war sie dort dann wissenschaftliche Mitarbeiterin und blieb der Universität erhalten, obwohl eine deutsche Universität versuchte, sie mit einem Humboldt-Stipendium abzuwerben. Stattdessen wurde sie in Innsbruck 2014 Professorin für experimentelle Quantenphysik und ist obendrein wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.
Der Forschungsgruppe, zu der Ferlaino damals gehörte, gelang es als erster weltweit ein Bose-Einstein-Kondensat mit Erbium herzustellen. Ferlaino erzeugte später das erste entartete Fermigas derselben Spezies und wird seitdem mit Forschungsförderung und hohen Auszeichnungen unterstützt und gewürdigt. In einem Interview wurde Ferlaino gefragt, ob es die richtige Entscheidung für sie war, in Österreich zu bleiben. Ihre Antwort: Es gefällt ihr, Forschung und Lehre verbinden zu können, und sie schätzt das Innsbrucker Quantenphysik-Institut als ein international viel beachtetes Flaggschiff und dass die Physik in Österreich hohe Anerkennung in der Bevölkerung genieße. Trotzdem mahnt Ferlaino, dass man in den Anstrengungen nicht nachlassen dürfe: „Will man den hohen Standard der Forschung in Österreich mit der großen Tradition der Quantenphysik halten, muss man investieren. Deshalb fordern wir in Innsbruck schon lange ein Haus der Physik, denn wir haben keinen Raum mehr für weitere Laborplätze. So freut es mich, dass Minister Mitterlehner den Baubeginn für 2018 zugesagt hat.“ Reinhold Mitterlehner hat im Jahr 2013 zu seinen bisherigen Aufgaben als Wirtschaftsminister auch das Ressort Wissenschaft und Forschung übernommen.
Bei der feierlichen Eröffnung der 66. Lindauer Nobelpreisträgertagungen wurde mit Spannung die Rede des Österreichischen Bundespräsidenten Heinz Fischer erwartet. Fischer ist noch bis 8. Juli im Amt und seine Rede im Stadttheater von Lindau dürfte eine seiner letzten Amtshandlungen gewesen sein. Wie schön für Lindau, dass Fischer in den 80er Jahren Wissenschaftsminister war und seine Affinität zur Wissenschaft zu spüren ist. Seine Rede begann mit einem Lob an ‚seine’ österreichischen Jungforscher, die eine neue Generation und international wettbewerbsfähig seien. Zudem sei es Österreich gelungen, die angestrebten drei Prozent Forschungsausgaben des Bruttosozialprodukts für die Forschung freizumachen.
Diese Investitionen in die Zukunft der Wissenschaft betonte auch Barbara Weitgruber. Stellvertretend für Minister Mitterlehner eröffnete sie die Diskussion beim Science Breakfast zur Quantenphysik am Montag morgen. Beim Internationalen Get-Together am Abend betonte Frau Weitgruber besonders auch Österreichs führende Rolle bei der wissenschaftlichen Vernetzung in Mittel- und Südosteuropa. Sie sprach vor wunderbarer Seebühnen-Kulisse in Bregenz, wohin Young Scientists, Laureaten und Gäste auf Einladung des österreichischen Forschungsministeriums nach einer schönen, aber zu kurzen Bootsfahrt gelangten.
Bis dahin hallte aber noch nach, was Bundespräsident Heinz Fischer am Abend zuvor ans Ende seiner Eröffnungsrede stellte. Ihm ist es fraglos ein großes Anliegen, die jüdischen Nobelpreisträger, die nach dem Anschluss Österreichs an Nazideutschland fliehen mussten, mit ihrer alten Heimat zu versöhnen. Es sind gleich drei große Namen und Persönlichkeiten, um die es geht: Walter Kohn, Chemienobelpreisträger von 1998, der leider dieses Jahr verstarb, Eric Kandel, Medizinnobelpreisträger 2000, mit dem Fischer einen freundschaftlichen Austausch betreibt, und Martin Karplus, Chemienobelpreisträger von 2013, der letztes Jahr Ehrenbürger der Stadt Wien wurde.
Es gab in der Vergangenheit durchaus auch in Österreich kritische Stimmen, denen auffiel, dass 1938 vertriebene Juden‚ wenn sie denn einen Nobelpreis verliehen bekämen, plötzlich wieder Österreicher, also ‚unsrige’ wären, aber Fischer steht mit seiner Persönlichkeit für eine über jegliche Heuchelei erhabene Haltung. Er deckte in den sechziger Jahren einen Skandal um einen antisemitischen Professor auf und seine in Lindau gehaltene Rede zeichnete auch jüdische Kultur- und Wissenschaftsgeschichte nach. Fischer ist der Brückenschlag gelungen – von Bertha Suttner, der Friedensnobelpreisträgerin und Wegbereiterin des Nobelpreises, über Elias Canetti, Literaturnobelpreisträger und Autor von ‚Masse und Macht’ bis in die Gegenwart, in der es wieder wichtig ist, vor totalitären Bestrebungen zu warnen. Fischer setzt den ‚Willen zum aufrechten Gang’ symbolisch dagegen und seine Vision von Frieden, Vertrauen und Kooperation – eine Vision, die zur Entstehung der Lindauer Nobelpreisträgertagungen und dem Geist, von dem diese getragen werden, gar nicht besser entsprechen könnte.