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Veröffentlicht 28. Juli 2020 von Meeri Kim

Ziele für die nächste Generation

Photo/Credit: Patrick Kunkel/Lindau Nobel Laureate Meetings

Die Lindau Guidelines basieren auf einer Frage, die Elizabeth Blackburn bei der 68. Lindauer Nobelpreisträgertagung im Jahr 2018 äußerte: Wie kann die Wissenschaft globaler, nachhaltiger und kooperativer werden?

Blackburn, die im Jahr 2009 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt, forderte das Publikum aus 600 Nachwuchswissenschaftlern dazu auf, über einen neuen Ansatz nachzudenken, der die gesamte Gesellschaft einbezieht, um die Wissenschaft kooperativ und global zu gestalten. Das Konzept erhielt schon während der 68. Tagung große Aufmerksamkeit und die Teilnehmer tauschten sich über die Konsequenzen dieses ehrgeizigen Projektes intensiv aus.

Zwei Jahre später wurden nach großen Anstrengungen von Blackburn und den Lindauer Nobelpreisträgertagungen die ersten zehn Ziele der Lindau Guidelines veröffentlicht. Die Lindau Guidelines umfassen zehn Ziele für wissenschaftliche Forschung und Führung, die eine globale, nachhaltige und kooperative, offene Wissenschaft langfristig unterstützen sollen. Dazu gehören wichtige Punkte wie globale Zusammenarbeit, Wissensaustausch, frei zugängliche Ergebnisse, Transparenz und die Kommunikation mit der Öffentlichkeit.

Im Rahmen der Online Science Days erörterte ein Panel, mit Elizabeth Blackburn, zwei weiteren Nobelpreisträgern und zwei Nachwuchswissenschaftlern die Notwendigkeit der Lindau Guidelines sowie die Konsequenzen ihrer Umsetzung. Bereits zuvor hatten die drei Finalisten des 48-stündigen Wissenschaftswettbewerbs – dem Online Sciathon mit einem Themencluster zu den Lindau Guidelines – ihre Ergebnisse live auf der Bühne präsentiert. Teams bestehend aus Wissenschaftlern aus der ganzen Welt waren vom 19. bis 21. Juni virtuell zusammengekommen, um an Projekten zu arbeiten, die den Grundgedanken der Lindau Guidelines beinhalten. Weitere Themencluster waren „Capitalism after Corona“ und „Communicating Climate Change“.

Elizabeth Blackburn bei der Diskussion rund um die Lindau Guidelines

Eine offenere, kollaborative wissenschaftliche Gemeinschaft

Als Blackburn die ersten Ideen zu den Lindau Guidelines entwickelte, war sie der Ansicht, dass die Wissenschaft die Basis bilden müsse für den Fortschritt, der zum Wohl der Menschen und der Erde beitragen kann. Um möglichst effizient zu arbeiten, setzte sie auf die Vorzüge einer globalen Wissenschaftsgemeinschaft, die Ressourcen und Daten offen teilt.

„Die Corona-Pandemie hat diese Themen noch dringlicher gemacht und liefert uns den Anlass, rasche Fortschritte zu erzielen“, sagte Blackburn während der Podiumsdiskussion. „Ich bin glücklich, dass sich die Grundidee durch die Arbeit vieler Beteiligter mittlerweile zu einer Reihe von Leitlinien entwickelt hat und ich bin wirklich gespannt, wie die jungen Nachwuchswissenschaftler diese vorantreiben und darüber nachdenken werden.“

Zwei weitere Laureaten brachten ihre Überlegungen zu den Lindauer Leitlinien in die Debatte ein. Martin Chalfie, Chemie-Nobelpreisträger aus dem Jahr 2008, betonte, dass die Formulierung der Ziele eine inklusive Debatte sein müsse. Anstatt dass etabliertere Wissenschaftler Vorgaben machen, was in der Wissenschaft passieren sollte, sollten aus seiner Sicht junge genauso wie etablierte Wissenschaftler ihre Stimme erheben können, wenn es um die Themen geht, die berücksichtigt werden.

Chalfie erinnerte sich, dass die Leitlinien anregende Gespräche in seinem eigenen Labor auslösten: „Sie haben uns den Anstoß gegeben, Aspekte der Wissenschaft zu thematisieren, über die wir im Labor, ehrlich gesagt, noch nie gesprochen haben. Und das fand ich erstaunlich erhellend.“

William E. Moerner, der den Nobelpreis für Chemie im Jahr 2014 erhielt, verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Umsetzung der Lindauer Leitlinien dazu beitragen würde, die öffentliche Akzeptanz der Wissenschaft zu verbessern. „Aktuell haben wir mit dem Problem zu kämpfen, vielleicht besonders in den Vereinigten Staaten, dass ein anti-rationaler Wind weht (…). Dieses Klima wirkt sich destruktiv auf den Fortschritt der Welt und auf Lösungen für globale Fragestellungen aus, wenn wir dieses Problem nicht in den Griff bekommen.“

Moerner sprach zusammen mit dem jungen Nachwuchswissenschaftler Tanmoy Laskar auch über die Bedeutung von Diversität und deren Aufnahme in den Leitlinien. Ziel Nr. 8, Talente weltweit fördern, besagt, dass Forschungsumfelder „wissenschaftliche Talente unabhängig von ihrem Hintergrund in einer integrativen, vielfältigen und nicht-diskriminierenden Weise unterstützen sollten“.

„Es ist wichtig für uns, nicht nur zu fragen, wie diese Richtlinien verwirklicht werden können, sondern auch, wie wir dies in einer integrativen Weise tun können. Wie können wir junge Nachwuchswissenschaftler, die die Zukunft der Wissenschaft sein werden, unterstützen und ausbilden?“ fragte Laskar, Postdoktorand an der Universität Bath. „Wir befinden uns in turbulenten Zeiten mit rassistisch-ethnischen Vorurteilen, die durch die aktuelle Pandemie aufgedeckt wurden. Ich freue mich darauf zu diskutieren, wie wir alle dazu beitragen können, diese Leitlinien zu verwirklichen, das Vertrauen der Öffentlichkeit aufbauen können und die Wissenschaft wirklich zu einer globalen Angelegenheit zu machen.“

Die Nachwuchswissenschaftlerin Liubov Poshyvailo, fügte hinzu, dass die Leitlinien sie wahrscheinlich dazu bringen würden, sich neue Fähigkeiten anzueignen. Sie glaubt, dass die zehn Ziele eine verstärkt multidisziplinäre Form der Wissenschaft anregen werden, die von Forschern eine größere Vielseitigkeit verlangt.

„Die Vermittlung von Wissenschaft für die Öffentlichkeit ist sehr wichtig, wenn man über globale Themen spricht. Daher ist es auch von großer Bedeutung, den Wissenschaftlern einige Soft-Skills zu vermitteln, damit sie die Wissenschaft der Öffentlichkeit richtig vermitteln können,“ so Poshyvailo. Poshyvailo ist Postdoktorandin am Institut für Bio- und Geowissenschaften – Agrosphäre (IBG-3) am Forschungszentrum Jülich.

Sciathon Finalisten und Ergebnisse

Nach reiflicher Überlegung wurden aus insgesamt 23 Sciathon-Projekten, die sich mit neuen Ansichten, Perspektiven oder Lösungen im Zusammenhang mit de Lindau Guidelines befassten, drei Finalisten ausgewählt. Zu den drei Teams, die im Finale um den ersten Platz kämpften, gehörten die Gruppen Clifton, Elmiger und Mărgineanu.

Wir leben in einer Zeit, in der uns unendlich viele Informationen – und leider auch Falschinformationen – zur Verfügung stehen. Um dabei zu helfen, die Spreu vom Weizen zu trennen, hat die Gruppe Clifton ein Verifikations-Tool entwickelt: authentiSci ist über eine Website oder eine Browsererweiterung zugänglich. Basierend auf dem Feedback von ausgewiesenen Wissenschaftlern bietet es ein verständliches Bewertungsschema, das einen wissenschaftlichen Konsens über die Gültigkeit des Inhalts der Seite zusammenfasst.

Ausschließlich Wissenschaftler mit einer gültigen ORCID-ID dürfen Artikel mit einer Umfrage bewerten, die Fragen zu Quellen, Bias und Verständlichkeit des Artikels stellt. Die Antworten von mehreren Wissenschaftlern werden dann zu einer Punktezahl aggregiert. Wenn man zum Beispiel einen Artikel der BBC liest, kann man auf die Browser-Erweiterung klicken und sehen, dass er eine Gesamtpunktzahl von 76 aus insgesamt 100 hat, basierend auf der Bewertung von fünf Wissenschaftlern.

„Durch die Authentifizierung der Identität jedes rezensierenden Wissenschaftlers können Sie sicher sein, dass Sie eine Meinung erhalten, auf die Sie sich verlassen können, sodass Sie selbst entscheiden können, welchen Quellen Sie vertrauen können,“ erläuterte Stephanie Mouchbahani Constance, Doktorandin, Unternehmerin und Mitglied der Gruppe Clifton.

Ein unerwarteter Vorteil der COVID-19-Pandemie war die Zunahme von virtuellen Seminaren und Konferenzen, die die Türen für eine größere globale Beteiligung geöffnet haben. Mit solchen Online-Veranstaltungen sind Wissenschaftler nicht mehr an wirtschaftliche oder geografische Beschränkungen gebunden.

Die Gruppe Elmiger nutzte diese günstige Gelegenheit, um ANANSIWebinars ins Leben zu rufen. Auf dieser gemeinsamen Plattform werden frei zugängliche Webinare aus der ganzen Welt aufgelistet. Der Zugang zu einem zentralen Hub bzw. Netzwerkknoten wird es den Forschern ermöglichen, an hochmodernen, akademischen Diskussionen teilzunehmen – unabhängig von Herkunftsland, Reisebudget oder persönlichen Kontakten. Insbesondere Forscher aus Entwicklungsländern werden die Chance haben, ihre Ideen mit Kollegen in den Industrieländern auszutauschen, wodurch eine größere internationale Zusammenarbeit gefördert wird, die normalerweise nicht stattfinden würde.

In nahezu jedem Bereich ist die Suche und Auswahl eines Mentors ein unschätzbar wichtiger Teil der Gestaltung des eigenen Karrierewegs. Für junge Nachwuchswissenschaftler gibt es in jeder Phase der Ausbildung potenzielle Mentoren, vom Lehrer einer weiterführenden Schule bis zum Doktorvater. Was aber, wenn sie nach einem Mentor außerhalb Ihres derzeitigen Fachgebiets oder Standorts suchen? Oder Kollegen in einem fortgeschrittenen Karrierestadium möchten etwas zurückgeben, indem sie junge Menschen als Mentor begleiten?

Der Lindau Mentor Hub, ein Projekt der Gruppe Mărgineanu, hilft wissenschaftlichen Mentoren und Mentees aus der ganzen Welt, über die Online-Plattform in Kontakt zu treten. Die Website, die auf ehrenamtlicher Arbeit basiert, richtet sich an Schüler weiterführender Schulen, Universitätsstudenten sowie Berufstätige in einem frühen Karrierestadium, die wissenschaftliche Forschung betreiben und sich professionell beraten lassen möchten. Ein Mentee kann auf der Plattform ein Konto erstellen und in der Datenbank nach verfügbaren Mentoren suchen, wobei Felder wie Ort, Schule, Forschungsgebiet und -titel verwendet werden können.

Sobald ein Mentor gefunden wurde, kann ein Mentee drei Arten von Interaktionen durchführen: eine kurze Frage stellen, einen Termin für einen Anruf vereinbaren oder eine langfristige Betreuung beantragen. Alle Interaktionen finden auf der Plattform statt, wo sie aufgezeichnet werden und zu einem späteren Zeitpunkt in der Mentoring E-Bibliothek eingesehen werden können. Wichtig ist, dass das Projekt drei Ziele der Lindauer Deklaration anspricht: Talente weltweit unterstützen, die Wissenschaft der Gesellschaft vermitteln und sich in der Bildung engagieren.

Die Ergebnisse des Sciathons zu den Lindau Guidelines wurden am Mittwochmittag im Rahmen der Online Science Days bekanntgegeben, wobei die Gruppe Mărgineanu mit dem Lindau Mentor Hub den ersten Platz belegte. Die Gruppe Clifton belegte mit authentiSci den zweiten Platz, gefolgt von der Gruppe Elmiger auf dem dritten Platz mit ANANSIWebinars. Herzlichen Glückwunsch an die drei Finalisten und ein großes Dankeschön an alle Teilnehmer des ersten Online Sciathon der Lindauer Nobelpreisträgertagungen!

Meeri Kim

Meeri N. Kim, PhD works as a science writer who contributes regularly to The Washington Post, Philly Voice and Oncology Times. She writes for The Washington Post’s blog “To Your Health,” has a column for Philly Voice called “The Science of Everything” and her work has also appeared in The Philadelphia Inquirer, Edible Philly and LivableFuture. In 2013, Meeri received a PhD in physics from the University of Pennsylvania for her work in biomedical optics.