Veröffentlicht 5. Juli 2021 von Meeri Kim
Wie Open Science Kreativität und Zusammenarbeit anregt
Auf der ganzen Welt erfährt die Open-Science-Bewegung immer mehr Unterstützung durch eine wachsende Zahl von Forscher*innen und die Öffentlichkeit. Die Initiative setzt sich für den öffentlichen Zugang und die Wiederverwendbarkeit wissenschaftlicher Daten sowie für mehr Transparenz bei der experimentellen Methodik, Beobachtung und Sammlung von Daten ein. Die freie gemeinsame Nutzung von Informationen und Ressourcen reduziert verschwenderische Doppelarbeit und erhöht Skaleneffekte.
Mehrere Sessions der 70. Lindauer Nobelpreisträgertagung konzentrierten sich auf das Thema Open Science und ihren Nutzen für Wissenschaftler*innen und die Öffentlichkeit. Sie reichten von einer lebhaften Panel Discussion sowohl mit Nobelpreisträger*innen als auch mit jungen Nachwuchswissenschaftler*innen, bis hin zu der Präsentation von Projekten, die aus vergangenen Lindauer Veranstaltungen stammen und den Spirit von Open Science repräsentieren.
Open Science
Der Donnerstag, der letzte komplette Tag der Tagung, begann mit einer Panel Discussion mit zwei Nobelpreisträger*innen speziell zum Thema Open Science – Elizabeth Blackburn und Randy Schekman – zusammen mit zwei jungen Nachwuchswissenschaftler*innen.
Elizabeth Blackburn, die den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2009 „für die Entdeckung, wie Chromosen durch Telomere und das Enzym Telomerase geschützt werden“, erhielt, eröffnete die Diskussion, indem sie die Lindau Guidelines vorstellte. Die 10 ambitionierten Ziele bilden den Rahmen für eine offene, kooperative Wissenschaftsgemeinschaft, in der Daten und Wissen frei geteilt werden.
„Ich verstehe sie im Grunde als eine Art hippokratischen Eid für Wissenschaftler*innen und die Idee besteht zu einem großen Teil darin, das hoffentlich wachsende Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wissenschaft zu fördern“, sagte Blackburn, die ihre Initiative erstmals während der 68. Lindauer Nobelpreisträgertagung 2018 vorgestellt hatte. „Ich freue mich, dass mindestens 42 der Nobelpreisträger*innen, die an den Lindauer Tagungen teilnehmen, diese Guidelines bereits im Vorfeld diesjährigen Tagung unterzeichnet haben.“
Anschließend sprach sie sich für die Vorteile der Veröffentlichung von Preprints aus und führte an, dass die schnelle Verbreitung neuer Ergebnisse andere Wissenschaftler*innen auf dem Gebiet vor der Verschwendung von Ressourcen und Zeit bewahren kann. Des Weiteren sind Preprints seit vielen Jahren der Standard in der Astrophysik, wo sie eine offene, produktive Debatte über unveröffentlichte Ergebnisse anregen.
George Datseris, Postdoktorand am Max-Planck-Institut für Meteorologie, brachte ebenfalls seine Sichtweise zu Preprints ein. Für jede Arbeit, die schließlich bei einer Fachzeitschrift eingereicht wird, veröffentlicht er das Manuskript zunächst auf einem Preprint-Server. Der Vorteil für Datseris besteht in der Möglichkeit, die Ergebnisse mit Kolleg*innen zu diskutieren, die zwar nicht in der gleichen Forschungsgruppe sind, aber am gleichen Thema arbeiten.
Danach meldete sich Randy Schekman, Träger des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin 2013 „für seine Entdeckungen der Mechanismen, die den Vesikeltransport regulieren, eines wichtigen Transportsystems unserer Zellen“, zu Wort. Er ist allgemein für seine Begeisterung für Open Science sowie als Gründungs-Chefredakteur von eLife, einer Open-Access-Zeitschrift, die vom Howard Hughes Medical Institute, der Max-Planck-Gesellschaft und dem Wellcome Trust herausgegeben wird, bekannt.
Schekman beschrieb die weit verbreitete Relevanz einer, seiner Meinung nach, falschen Kennzahl, nämlich des Impact-Faktors einer Zeitschrift. Er hätte den Eindruck, dass sich junge Wissenschaftler*innen auf den Impact-Faktor verlassen würden, um Entscheidungen darüber zu treffen, wo sie ihre Arbeit einreichen sollten, obwohl es sich dabei um eine Zahl handelt, die sich nicht auf die zugrunde liegenden Daten stützen kann.
„Schon Jahre, bevor ich Herausgeber von eLife wurde, habe ich als Redakteur der Proceedings of the National Academy of Sciences eine denkwürdige Erfahrung gemacht,“ erzählte er. „Ich versuchte, jegliche Berücksichtigung dieser Zahl zu vermeiden … Allerdings stieß ich dabei auf Widerstand bei einigen Mitarbeiter*innen der Zeitschrift, die darauf bestanden, den Impact-Faktor zu verbessern. Und der beste Weg dorthin, wäre die Ablehnung von mehr Manuskripten. Ich konnte nicht glauben, dass dies die Logik war, die bei einer so wichtigen Zeitschrift wie der Proceedings zum Tragen kam.“
Zum Schluss berichtete Michael Jex von einem Projekt, das er und sein Team beim Online Sciathon, einem 48-stündigem Wissenschaftswettbewerb, der im Rahmen der Online Science Days im Juni 2020 stattfand, entwickelt hatten. Teams von Wissenschaftler*innen aus der ganzen Welt kamen virtuell zusammen, um an Projekten zu arbeiten, die dem Grundgedanken der Lindau Guidelines entsprechen.
Als Postdoktorand der Tschechischen Technischen Universität fielen ihm viele Probleme hinsichtlich des derzeitigen Peer-Review-Prozesses auf. Abgesehen davon, dass dieser sehr schleppend ist, fanden Jex und seine Teammitglieder, dass der Prozess oft nicht transparent ist, die wissenschaftliche Kommunikation behindert und den entscheidenden Beitrag der Gutachter verschleiert. Ihre Plattform sieht eine offene Diskussion zwischen Gutachtern und Autoren sowie die Veröffentlichung der Reviews mit dem zugehörigen Paper und einem Online-Kommentarbereich, vor.
Lindau Guidelines
Am Montag wurden in einer weiteren Präsentation die Lindau Guidelines vorgestellt, die zehn Ziele für wissenschaftliches Forschen und Handeln skizzieren, um langfristig eine globale, nachhaltige und kooperative offene Wissenschaft zu unterstützen. Die Ziele beinhalten wichtige Punkte wie globale Zusammenarbeit, den Wissensaustausch, öffentlich zugängliche Ergebnisse und Transparenz und Kommunikation mit der Gesellschaft.
Die Lindau Guidelines basieren auf einer Idee, die Blackburn auf der 68. Lindauer Nobelpreisträgertagung als einen Weg zur Bewältigung der großen Herausforderungen der Menschheit vorschlug. Sie rief Wissenschaftler*innen dazu auf, sich politisch und auf andere Weise stärker zu engagieren, um zur Lösung der Klimakrise, wirtschaftlicher Probleme, der Ungleichheit, der Umweltverschmutzung und anderer globaler Probleme beizutragen.
Zwei Jahre später wurde der erste Entwurf der Lindau Guidelines offiziell auf den Online Science Days im Juni 2020 veröffentlicht. Sie bilden einen Rahmen für die Wissenschaft, um globalen Herausforderungen effizienter zu begegnen, indem sie eine globale Wissenschaftsgemeinschaft unterstützen, die Daten und Ressourcen offen teilt. Im Rahmen der Präsentation wurde eine neue Mini Lecture gezeigt, die die Lindau Guidelines im Detail erklärt.
2018 erhielt George P. Smith den Nobelpreis für Chemie „für das Phagen-Display von Peptiden und Antikörpern“. Seine Lecture am Donnerstag unterstrich, dass diese wissenschaftliche Leistung alles andere als ein Alleingang war.
„Zweifellos leisten einzelne Wissenschaftler*innen im Labor wichtige Beiträge – aber diese Beiträge sind voneinander abhängig (inkrementell)“, sagte er. „Nur wenn sie frei mit der Öffentlichkeit geteilt werden, sodass sie sich mit den inkrementellen Beiträgen vieler anderer ergänzen und rekombinieren lassen, entsteht ein wichtiger Fortschritt.“
Aus diesem Grund ist Smith der Meinung, dass Rechte an geistigem Eigentum, die das Zurückhalten von Informationen oder Ressourcen gegenüber der wissenschaftlichen Gemeinschaft beinhalten, der Wissenschaft sehr abträglich sind. Smith bezeichnet dies als „intellektuelles Horten“. Die Kreativität der Wissenschaft hängt von der freien Verbreitung von Ideen und Ressourcen unter den globalen Wissenschaftsgemeinschaften ab, wie das Beispiel der Phagen-Display-Community zeigt, zu der Smith gehört.
Er brachte die Kontroverse um geistige Eigentumsrechte im Besitz von Pharmaunternehmen zur Sprache, die es ihnen erlauben, Monopolpreise zu verlangen, die weit über den Preisen des Wettbewerbsmarktes liegen. Haben die Unternehmen, die zum Beispiel den COVID-19-Impfstoff entwickelt und produziert haben, Patentmonopole für ihre Impfstoffe verdient? Und war das in Aussicht stellen von Patentmonopolen der beste Weg für Regierungen, die Entwicklung von Impfstoffen zu fördern?
„Meine Antwort auf beide Fragen ist ein klares Nein„, betonte er. „Wenn das Phagen-Display die gemeinschaftliche Natur wissenschaftlicher Kreativität im Kleinen veranschaulicht, dann verdeutlicht die RNA-Impfstofftechnologie dies in einem gigantischen Ausmaß. Diese Technologie hing maßgeblich von Hunderten von Erkenntnissen in der Immunologie über mindestens ein Jahrhundert in vielen Ländern ab und steht damit natürlich auch auf den Schultern der modernen Molekularbiologie und Virologie.“
Smith argumentiert hingegen, dass die öffentliche Finanzierung ein besserer Weg gewesen wäre, um die Entwicklung von Impfstoffen zu unterstützen und zu befeuern.
Mentoring Hub
In einer weiteren Präsentation am Dienstag stand der Fortschritt des Lindau Mentoring Hub im Fokus. Die Plattform soll junge Wissenschaftler*innen, die an einer Karriere in der Forschung interessiert sind, mit Mentor*innen zusammenbringen. Das Projekt ist, wie die Peer-Review-Initiative von Jex, beim Online Sciathon 2020 entstanden.
Der Lindau Mentoring Hub dient als Online-Portal auf das Studierende und Postdocs zugreifen können, um nach potenziellen Mentoren in ihrem Fachgebiet, ihrer Institution oder an ihrem Standort zu suchen. Mentor*innen können sich auf dem Hub ein Profil anlegen, in dem sie ihre Forschungserfahrung und die Art des Mentorings, zu der sie bereit sind, angeben. Die Website bietet auch verschiedene Methoden der Kommunikation zwischen Mentoren und Mentees, wie beispielsweise Audioanrufe, Videoanrufe oder Chatnachrichten.