Veröffentlicht 10. Oktober 2019 von Forschungszentrum Jülich
Die 69. Lindauer Tagung: „Eine ganz besondere Veranstaltung“
Unter den 580 Nachwuchswissenschaftler aus 89 Ländern der 69. Lindauer Nobelpreisträgertagung zur Physik war auch Miriam Menzel, Physikerin und Postdoc am Institut für Neurowissenschaften und Medizin, Bereich Strukturelle und funktionelle Organisation des Gehirns, des Forschungszentrums Jülich. In einem Interview spricht sie über ihre Erfahrungen von der Tagung und den Begegnungen mit Nobelpreisträgern. Der Beitrag erschien zuerst auf der Webseite des Forschungszentrums Jülich.
Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich für eine Teilnahme an der Nobelpreisträgertagung zu bewerben?
Miriam Menzel: „Die Veranstaltung hatte die Physik als Schwerpunktthema und kam für mich genau zum richtigen Zeitpunkt, da ich vor kurzem meine Doktorarbeit abgeschlossen habe und am Beginn meiner Postdoc-Zeit stehe.“
Sie arbeiten im Bereich Neurowissenschaften. Welchen Beitrag können Sie hier als Physikerin leisten?
Miriam Menzel: „In unserer Arbeitsgruppe geht es darum, den dreidimensionalen Verlauf der Nervenfaserbahnen im Gehirn zu kartieren. Dafür verwenden wir ein Mikroskopieverfahren, bei dem hauchdünne Hirnschnitte mit polarisiertem Licht durchleuchtet werden. Meine Aufgabe ist es, die Interpretation der Daten zu verbessern und neue Bildgebungsverfahren zu entwickeln, die zusätzliche Informationen über das Hirngewebe liefern. Dazu führe ich Simulationen auf Jülicher Hochleistungsrechnern durch.“
Wie war Ihr Eindruck von der Tagung?
Miriam Menzel: „Es war super – eine ganz besondere Veranstaltung in wunderschöner Umgebung und inhaltlich sehr abwechslungsreich! Noch nie hatte ich so viel Austausch bei einer Konferenz. Neben wissenschaftlichen Vorträgen und Diskussionsrunden wurde auch ein gemeinsames Freizeitprogramm mit Spaziergängen, Abendessen, Bootsfahrt und Picknick organisiert, bei dem es viele Gelegenheiten zum persönlichen Gespräch mit den Nobelpreisträgern gab.“
Mit welchen Nobelpreisträgern konnten Sie sich denn unterhalten?
Miriam Menzel: „Bei den gemeinsamen Abendessen hatte ich unter anderem die Gelegenheit, mich ausführlicher mit Donna Strickland und Steven Chu zu unterhalten. Strickland ist erst die dritte Frau, die den Nobelpreis in Physik gewonnen hat und damit für viele ein Vorbild. Inzwischen ist sie es aber leid, auf ihre Rolle als Frau reduziert zu werden und möchte sich lieber über ihre wissenschaftliche Leistung definieren. Steven Chu gehört zu den wenigen Forschern, die sich im Laufe ihres Lebens mit einem breiten Spektrum von Themen auseinandergesetzt haben, sowohl wissenschaftlich als auch politisch: Unter Präsident Obama war er Energieminister der USA. Besonders interessant war für mich, dass er sich ebenfalls mit medizinischer Bildgebung beschäftigt. So entwickelt er momentan ein Verfahren mit nicht-linearem Ultraschall, das deutlich verbesserte Auflösungen erzielt. Die Technologie ist einfacher zugänglich als Kernspintomografie und ließe sich sogar per Handy-App durchführen.“
Wie wurden die Forscher Nobelpreisträger? Haben sie etwas über ihre Lebensläufe erzählt?
Miriam Menzel: „Die Lebenswege waren sehr unterschiedlich. Bei manchen gleicht der Lebensweg eher einem Zickzackpfad, andere haben sich von Anfang an einem bestimmten Thema verschrieben. Einige, wie Donna Strickland, hatten ihren wissenschaftlichen Durchbruch bereits während der Doktorandenzeit, bei anderen hat es deutlich länger gedauert. Ein Beispiel ist Stefan Hell, Direktor am Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen. Er hatte jahrelang ein einziges Ziel: Die Auflösungsgrenze der Lichtmikroskopie zu umgehen und molekulare Auflösung zu erreichen. Viele seiner Kollegen haben dies für unmöglich gehalten. Er hat jedoch einen Weg gefunden und die hochauflösende Fluoreszenzmikroskopie entwickelt. Dafür hat er gemeinsam mit zwei weiteren Forschern 2014 den Nobelpreis für Chemie erhalten. Als der Anruf des Nobelkomitees kam, war sein erster Gedanke: Hätten sie damit nicht noch etwas warten können? Denn er wusste, dass er sein Verfahren noch wesentlich verbessern würde. Inzwischen hat er die Technologie so weiterentwickelt, dass sie eine zwanzigfach höhere Auflösung erzielt als die Methode, für die er den Nobelpreis bekommen hat. Er kann jetzt einzelne Proteine in lebenden Zellen verfolgen; das war bisher nur in totem Gewebe möglich.“
Gab es konkrete Ratschläge an die Nachwuchsforscher, worauf sie bei ihrem Lebensweg und in ihrer Forschung achten sollen?
Miriam Menzel: „Zunächst sollten wir uns kritisch hinterfragen, ob wir eine wissenschaftliche Karriere wirklich einschlagen möchten mit allen Schwierigkeiten, die damit verbunden sind. Dazu gehört auch die Bereitschaft, in intensiven Forschungsphasen das eigene Privatleben zurückzustellen. Der Nobelpreisträger Brian Schmidt hat die gesellschaftspolitische Verantwortung betont, die wir als Forscher tragen. So sollten wir unsere Ergebnisse aktiv in die Politik einbringen, um zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beizutragen. Wichtig sei vor allem, unsere Daten der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Bei vielen Publikationen wird nur das Nötigste veröffentlicht. Die genauen Daten oder der Programmcode werden oft zurückgehalten – beispielsweise aus Angst, eine andere Gruppe könnte schneller Fördergelder beantragen. Dies sei jedoch kontraproduktiv, denn die Wissenschaft sollte nur dem Fortschritt dienen und Lösungsprozesse sollten nicht durch das Zurückhalten von Informationen verzögert werden. Deswegen sollten wir unsere Forschung auch nur in Zeitschriften mit Open Access publizieren, die ihre Artikel kostenlos zur Verfügung stellen.“
Gab es unter den Nobelpreisträgern welche, die Sie persönlich besonders beeindruckt haben und die vielleicht ein Vorbild für Sie sein könnten?
Miriam Menzel: „Ein Vorbild war sicher Steven Chu, weil er so interdisziplinär arbeitet und auch noch politisch tätig war. Beeindruckt hat mich auch sein Kollege William Phillips, der zusammen mit Chu den Nobelpreis für Physik erhalten hat, weil er eine solche Begeisterung ausstrahlte und aktiv den Austausch mit jungen Leuten suchte. In den Pausen sah man ihn immer umringt von Nachwuchswissenschaftlern – selbst beim Mittagessen hat er uns auf seiner Serviette noch die Quantenoptik erklärt.“
Haben Sie noch ein Fazit für die Tagung?
Miriam Menzel: „Die Nobelpreisträgertagung war ein einmaliges Erlebnis für mich, das ich noch lange in Erinnerung behalten werde! Besonders bemerkenswert fand ich die aufgeschlossene Atmosphäre. Jeder hat mit jedem geredet, es gab keine Grüppchen wie oft bei anderen wissenschaftlichen Konferenzen. Ich habe Leute kennengelernt, die ich sonst nie getroffen hätte – viele Nobelpreisträger, aber auch Teilnehmer aus den unterschiedlichsten Ländern. So habe ich beispielsweise Nachwuchswissenschaftler aus Südafrika, Kolumbien oder Saudi-Arabien getroffen, die ein ganz anderes Wissenschaftssystem haben als wir, was ich sehr interessant fand. Ein wichtiges Ziel der Tagung besteht darin, Netzwerke zu bilden. Zu diesem Zweck gibt es ein Alumninetzwerk, in das ich mich bereits eingetragen habe. Hier werden Folgeveranstaltungen angeboten, die ich sicher wahrnehmen werde.“
Die Fragen stellte Kristin Mosch vom Forschungszentrum Jülich. Videos und Hintergrundinformationen zur 69. Lindauer Nobelpreisträgertagung befinden sich auf der Tagungsseite in der Mediathek.