Veröffentlicht 14. Dezember 2018 von Forschungszentrum Jülich
„Es war ein einmaliges Ereignis“: Zwei Rückblicke auf #LINO18
Zu den rund 600 Nachwuchswissenschaftlern aus 84 Ländern, die an der 68. Lindauer Nobelpreisträgertagung 2018 teilgenommen haben, zählten auch Sofie Valk, Postdoc am Institut für Medizin und Neurowissenschaften des Forschungszentrums Jülich, sowie Arnim Gaebler, Assistenzarzt in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Universitätsklinikums RWTH Aachen. In zwei Interviews, die hier in Auszügen nachzulesen sind, berichten die beiden Lindau Alumni von ihren Erlebnissen während der Tagung – insbesondere den inspirierenden Begegnungen mit Nobelpreisträgern.
Interview mit Lindau Alumna Sofie Valk
Sie waren auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung am Bodensee. Was war Ihr erster Eindruck?
Sofie Valk: „Als ich mit dem Zug in Lindau ankam, war ich zunächst überrascht, wie schön der Ort und der Bodensee sind. Wichtiger aber: Gleich am ersten Abend wurde das Ungewöhnliche dieser Tagung deutlich. Anders als bei normalen Konferenzen waren sowohl Doktoranden als auch Postdocs aus den verschiedensten Bereichen der Medizin anwesend und natürlich die Nobelpreisträger selber. Dadurch war ein breites Spektrum an Interessensgebieten vertreten und es herrschte ein reger Austausch. Insgesamt war die Konferenz sehr gut organisiert. So war sie zum Beispiel äußerst interaktiv: Nobelpreisträger wie auch Nachwuchsforscher konnten wesentliche Aspekte des Programms mitgestalten, unter anderem durch Diskussionen, Vorträge und eine Poster Session.“
Das Thema der diesjährigen Tagung waren Physiologie und Medizin. Wie sind denn Ihre eigenen Forschungsschwerpunkte hier einzuordnen?
Sofie Valk: „Mein Forschungsfeld liegt an der Schnittstelle zwischen Psychologie, Psychiatrie, Neurowissenschaften und Genetik. Dabei konzentriere ich mich momentan auf die Beziehung zwischen Verhalten, Genetik und Gehirnstruktur – um so quasi die Biologie, die kognitivem Verhalten zugrunde liegt, besser zu verstehen. Während mich die Erforschung des Zusammenhangs zwischen Verhalten und Biologie allgemein interessiert, habe ich bisher vor allem im Bereich Soziale Neurowissenschaften gearbeitet. Insgesamt ist das Gebiet noch relativ jung. Von daher war es für mich spannend, zu hören, wie Forschungsfelder, die vor Jahrzehnten ähnlich klein waren, sich in der Folge weiterentwickelt haben. Die Arbeit der Nobelpreisträger bietet Beispiele dafür, wie aus zunächst reiner Grundlagenforschung später Anwendungen mit großer gesellschaftlicher Wirkung hervorgingen.“
Gab es Vorträge von Nobelpreisträgern, die Sie besonders beeindruckt haben?
Sofie Valk: „Viele haben versucht, uns eine Message mitzugeben. So hat beispielsweise die Biologin Ada Yonath beim gemeinsamen Lunch über Durchhaltevermögen gesprochen. Sie selbst hat zwanzig Jahre lang an Ribosomen geforscht. Bei Ribosomen handelt es sich um makromolekulare Komplexe in Zellen, an denen Proteine hergestellt werden. Yonath verfolgte das Ziel, die Kristallstruktur von Ribosomen mit Röntgenbeschuss aufzuklären. Das wurde lange Zeit für unmöglich erachtet und anfangs hat man sie für verrückt erklärt. Bei einer Gelegenheit wurde ihr sogar vorgeworfen, sie würde lügen, als sie Ergebnisse präsentierte. Aber sie hat nicht aufgegeben und schließlich 2009 den Nobelpreis für Chemie erhalten.“
Ein Gesprächsgegenstand bei diesen Konferenzen ist ja in der Regel auch die Gestaltung der eigenen wissenschaftlichen Laufbahn. Haben Sie hier gute Hinweise erhalten?
Sofie Valk: „Ja, ein Forscher hat beispielsweise Ratschläge gegeben, wie wir bei der Bewerbung als Postdocs vorgehen sollten. Das Wichtigste ist, die eigenen Ideen zu verfolgen und keine Angst vor dummen Einfällen zu haben. Ein wesentlicher Aspekt ist auch, sich nicht in kleinen Problemen zu verrennen, sondern stets einen weiten Blick zu bewahren. Denn nur so kann man Chancen, die sich bieten, auch erkennen. Auch die Life Lecture von Torsten Wiesel, der 94 Jahre alt ist, war ganz wunderbar. Zusammen mit seinem Kollegen David Hubel hat Wiesel 40 Jahre lang an Aufbau und Informationsverarbeitung des Visuellen Kortex geforscht; gemeinsam haben sie 1981 die Hälfte des Nobelpreises für Medizin erhalten. Wiesel hat seine Karriere als Arzt für die Forschung aufgegeben, weil er dem Ursprung der Phänomene auf den Grund gehen wollte. Etwas poetisch hat er es so ausgedrückt: ‚Wenn Du eine schöne Blume siehst, schaue sie Dir an. Pflücke sie nicht, um zu sagen: Schau mal, was ich gefunden habe‘.“
Genau das war an der Tagung übrigens auch so interessant: die Geschichten hinter den Nobelpreisen zu erfahren. Ich hatte mir vorher ein bestimmtes Bild von den Preisträgern gemacht, die mir eher wie Helden als wie normale Menschen erschienen. Aber dann haben sie Einzelheiten aus ihrem Leben erzählt und ich habe festgestellt, dass sie ganz anders und auch vielseitiger waren, als ich gedacht hatte. Alle waren so begeistert und voller Freude über ihre Arbeit und gleichzeitig haben sie sich viele Gedanken über die Zukunft der Wissenschaft gemacht – das war sehr schön zu erleben.“
Interview mit Lindau Alumnus Arnim Gaebler
Welche Vorträge auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Arnim Gaebler: „Sehr fasziniert hat mich beispielsweise Robert Lefkowitz, der 2012 den Nobelpreis für Chemie erhalten hat. Sein Forschungsfeld sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Dabei handelt es sich um Rezeptoren in der Zellmembran, die Signale über G-Proteine in das Zellinnere weiterleiten. Unter anderem dienen sie als Zielstrukturen für die Wirkung von Hormonen und Neurotransmittern. Damit stellen sie die Angriffsorte für eine Vielzahl der in der Medizin verwendeten Medikamente dar, was für mich als Kliniker natürlich sehr relevant ist. Herr Lefkowitz stellte in seinem Vortrag interessante Ansätze für die Entwicklung neuer Medikamente dar, die nur einen bestimmten von mehreren möglichen Signaltransduktionswegen am Rezeptor begünstigen (funktionelle Selektivität) oder an einer anderen Bindungsstelle wirken (allosterische Modulatoren). Im persönlichen Gespräch hat er mir die Namen von zwei Forschern genannt, die in den USA an der Entwicklung solcher Wirkstoffe für psychiatrische Erkrankungen arbeiten.“
Neben den wissenschaftlichen Vorträgen gab es auch Diskussionsrunden zur Arbeitssituation von Forschern im Allgemeinen. Worüber wurde da gesprochen?
Arnim Gaebler: „Ein Thema war der Publikationsprozess. Kritisch diskutiert wurde beispielsweise die Bedeutung des Impact-Faktors von wissenschaftlichen Zeitschriften für die Bewertung von Forschern. Zudem wurde gefordert, Forschungsergebnisse der Allgemeinheit im Sinne von Open-Access-Publikationen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Zudem wurde die Nutzung von Preprint-Veröffentlichungen propagiert: Formate, in denen Forscher ihre Ergebnisse während des oft langwierigen Review-Prozesses der Fachzeitschriften bereits vorab zugänglich machen können, um damit schneller auf ihre Forschung aufmerksam machen beziehungsweise entsprechendes Wissen verbreiten zu können. Ein weiterer Ratschlag lautete, in den eigenen Lebenslauf immer einen Absatz einzufügen, der sämtliche Forschungsergebnisse zusammenfasst. Dieses ist laut Ansicht der Experten aussagekräftiger als die ausschließliche Verwendung einer Publikationsliste, bei der typischerweise die Namen der Fachzeitschriften beziehungsweise deren Impact-Faktor im Fokus der Aufmerksamkeit stehen. Ich finde, das ist eine gute Idee, die ich für mich auch übernehmen werde.“
Haben Sie noch ein Fazit für Ihre Teilnahme an der Nobelpreisträgertagung?
Arnim Gaebler: „Das war die beste Konferenz, auf der ich je war. Es herrschte eine sehr freundliche Atmosphäre und alle waren hochmotiviert – Nachwuchsforscher, Organisatoren und Nobelpreisträger. Auch das Umfeld stimmte: Lindau ist eine schöne kleine Stadt und überall auf der Straße sah man Wissenschaftler stehen, die über Forschung diskutierten. Es war ein einmaliges Ereignis.“
Weiterführende Einblicke in das Programm der 68. Lindauer Nobelpreisträgertagung bietet die umfangreiche Videoauswahl in unserer Mediathek.