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Veröffentlicht 10. August 2020 von Andrei Mihai

Chemie: Von der Natur lernen für eine nachhaltige Zukunft

Frances Arnold eröffnete den Dienstag der Online Science Days 2020 mit ihrem Vortrag über Enzyme.

Chemie ist überall – und nicht nur um uns herum. Wir bestehen quasi aus Chemie. Die Atome in unserem Körper, das Wasser, das wir trinken, die Energie, die wir benötigen, um diesen Text auf einem Bildschirm zu lesen, all das sind Teile des chemischen Systems, das wir erst nach und nach im Detail verstehen. Im Rahmen von #LINOSD diskutierten mehrere Nobelpreisträger in einer Serie von Vorträgen und Debatten über den neuesten Fortschritt und zukünftige Perspektiven. Sie geben sowohl Anlass zur Sorge als auch Hoffnung.

Wir verdanken einen Großteil unseres neuesten technologischen Fortschritts den Entwicklungen in der Chemie und wer wüsste das besser als Frances H. Arnold. Arnold zählt zu den bisher fünf Frauen, denen der Nobelpreis in Chemie verliehen wurde, nur zwei davon innerhalb der letzten 50 Jahre. Sie wurde 2018 „für die gezielte Evolution von Enzymen“ mit dem Preis ausgezeichnet, genau diesen Themenkomplex stellte sie während der Online Science Days vor.

Die DNA gleicht einer Symphonie von Beethoven

„Heutzutage stehen uns beeindruckende Technologien zur Verfügung“, so Arnold. „Wir können jegliche DNA bzw. DNA-Sequenz analysieren, wir können die DNA, die wir uns wünschen, erzeugen, man kann tatsächlich genetisches Material künstlich herstellen, wir können DNA im Reagenzglas aufbereiten.“ Allerdings sind wir noch nicht die Herrscher über die DNA. „Wir können nämlich DNA nicht bilden. Für mich ist es wie eine Symphonie von Beethoven. Es ist schön, es ist komplex und wir wissen noch nicht, wie man es genau so erschaffen kann“, fügte Arnold hinzu.

Stattdessen erhoffen sich Forscher ein bisschen Hilfe beim benachbarten Fachgebiet Biologie, was genau genommen keine neue Idee ist. Seit tausenden von Jahren ändern die Menschen die Natur auf dem Niveau der DNA, indem sie Evolution durch künstliche Selektion benutzen, um die Organismen passend zu unseren Erfordernissen und Bedürfnissen zu optimieren. Jahrtausendelang benutzten die Menschen die Evolution, um DNA von landwirtschaftlichen Pflanzen bis zu Hunderassen zu modifizieren, obwohl sich unsere Methoden in jüngster Zeit verbessert haben. Arnold hat den Prozess einfach auf die nächste Stufe gehoben und setzt auf die Evolution der Enzyme statt der Organismen.

Frances H. Arnolds Hauptaugenmerk liegt auf der DNA.

Die Natur dient in der Chemie häufig als Vorbild für neue Entwicklungen. „Ich glaube, Mikroorganismen sind viel bessere Chemiker als wir“, sagt Fatima Enam, Postdoc-Stipendiatin an der Stanford University, während der Debatte Green Chemistry – Green Fuels. Enam arbeitet an der Schnittstelle zwischen synthetischer Biologie und Chemie mit Fokus darauf, wie man das Arsenal an  Methoden, das Chemikern zur Verfügung steht, verbessern kann, indem man von der Natur lernt.

Diese Idee klang vielleicht anfangs realitätsfern, hat aber schon lange das Reich der Fiktion verlassen und ist inzwischen Realität geworden. Von Biobrennstoffen zu Biokatalysatoren zu wiederverwertbarer Energie und Abfallverwertung – von der Biologie inspirierte Chemie boomt und wir brauchen sie mehr denn je. Ein Hauptgrund dafür ist, dass wir den grundsätzlichen Wandel in der Erzeugung von Energie nicht länger hinauszögern können, sagt Robert Schlögl, Direktor des Max-Planck-Instituts für chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr. Schlögl schätzt, dass wir unsere Kohlendioxidemissionen um circa 1.000 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren müssen, um die Ziele des Abkommens von Paris für 2030 zu erreichen. Bisher sind wir davon weit entfernt.

Der Vater der Lithium-Ionen-Batterie

Die Problematik besteht nicht unbedingt darin, dass wir nicht über entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse oder Technologien verfügen, um zu nachhaltiger Energie zu wechseln, sondern das Problem gestaltet sich eher „politisch und sozial“, so Schlögl. Wir benötigen nun Innovationen aus der Industrie und nicht nur aus der Wissenschaft, wie bereits häufiger erlebt. Stanley Whittingham, dem 2019 der Nobelpreis „für die Entwicklung der Lithium-Ionen-Batterie“ verliehen wurde, wird als ‚Vater‘ der Lithium-Ionen-Batterie angesehen. Whittingham entwickelte das Prinzip, während er bei der Firma arbeitete, die inzwischen als Exxon-Mobil, weltweit größtes Unternehmen für fossile Brennstoffe, bekannt ist. Sein Vortrag über Batterien war die dritte Einheit zum Themenbereich Chemie im Rahmen der Online Science Days.

Vielleicht ist es Ironie des Schicksals, dass diese von Exxon patentierte Erfindung jetzt beim Wechsel von fossilen Brennstoffen zu erneuerbarer Energie entscheidend mitwirkt. „Bei Sonne und Wind variiert die Leistung von Sekunde zu Sekunde und muss ausgleichen werden, und dazu eignen sich Batterien sehr gut. Sie helfen auch, den Strom genau dann ins Netz einzuspeisen, wenn er benötigt wird. Der Wind weht gewöhnlich die ganze Nacht hindurch, wenn kein Strom benötigt wird. Die Sonne scheint mitten am Tag, der höchste Stromverbrauch wird aber zwischen 16 und 18 Uhr gemessen.“

Wir brauchen bessere Batterien, wenn wir zu erneuerbaren Energiequellen übergehen wollen, sagte Hartmut Michel, dem 1988 der Nobelpreis für die Enträtselung der chemischen Vorgänge bei der Photosynthese verliehen wurde. Die Nachahmung der „Photosynthese gelingt uns schon ganz gut,“ so Michel, „und in mancher Hinsicht funktioniert unsere Technologie tatsächlich besser als die Photosynthese.“ Pflanzen lagern etwa ein Prozent der Energie ein, die sie von der Sonne erhalten, während heutige Solarpanels eine Effizienz von circa 20 Prozent vorweisen können. Allerdings benötigen wir robuste und zuverlässige Batterien, um diese Energie entsprechend unserer Bedürfnisse einzusetzen – und sie müssen wirtschaftlich rentabel sein.

Um solche Batterien auch wirtschaftlich realisierbar zu machen, müssen wir verschiedene Materialien in Betracht ziehen. Lithium ist teuer und kann nicht wiederverwertet werden, so Kwadwo Owusu, Wuhan University of Technology. Die globale Herausforderung besteht darin, wirtschaftliche und nachhaltige Alternativen zu finden. Zum Glück beweisen sich Forscher als unglaublich einfallsreich, wenn es darum geht, Lösungen zu suchen.

Magdalena Skipper (Moderation), Nobelpreisträger Hartmut Michel und Fatima Enam während der Diskussion um die Zukunft der Chemie.

Stolz ein Chemiker zu sein

„Ich bin sehr stolz, Chemiker zu sein, weil Chemie Großartiges aus dem Nichts produzieren kann“, sagt Ryōji Noyori, ein japanischer Chemiker, dem 2001 der Nobelpreis in Chemie verliehen wurde. Allerdings sei es keine einfache Situation. „Wir sollten erkennen, wo die Grenzbereiche unseres Planeten liegen und dass die Zukunft unvorhersehbar ist.“ Kann die Welt wirklich bis 2030 zu einer nachhaltigen Zukunft umschwenken? Michel ist vorsichtig optimistisch: „Es wird eventuell einige ‚glückliche Inseln‘ auf der Erde geben, aber ich glaube nicht, dass Nachhaltigkeit auf der ganzen Welt erreicht werden kann.“

Enam ist pessimistischer. „Ich glaube, solange es fossile Brennstoffe gibt, wird erneuerbare Energie hintenanstehen.“ Schlögl jedoch schließt positiv ab. Er stimmte zu, dass es ‚Inseln‘ der Nachhaltigkeit rund um die Welt geben wird, „aber die Inseln könnten doch recht groß sein.“ Die Wissenschaft sei schon so weit. Das was jetzt nötig ist, ist gesellschaftlicher Wandel – und dazu können wir alle einen Beitrag leisten.

Zum Originaltext auf Englisch

Andrei Mihai

Andrei is a science communicator and a PhD candidate in geophysics. He co-founded ZME Science, where he tries to make science accessible and interesting to everyone and has written over 2.000 pieces on various topics – though he generally prefers writing about physics and the environment. Andrei tries to blend two of the things he loves (science and good stories) to make the world a better place – one article at a time.

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