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Veröffentlicht 2. Juli 2021 von Andrei Mihai

Der Klimawandel hat uns fest im Griff. Können wir ihn noch rechtzeitig stoppen?

Ein hochkarätiges Panel diskutierte über den Klimawandel – hier am Bildschirm, Backstage aus Lindau.

Auf der 65. Lindauer Nobelpreisträgertagung im Jahr 2015 war der Nobelpreisträger Brian Schmidt einer der Initiatoren der späteren Mainau Declaration im Kampf gegen den Klimawandel. Die Declaration wurde zunächst von 36 Nobelpreisträgern*innen, die an der Tagung teilnahmen, unterzeichnet. In den folgenden Jahren kamen 40 weitere Preisträger*innen als Unterzeichner*innen hinzu. Passenderweise nahm Schmidt in diesem Jahr an einer Panel Discussion zum Thema Energie und Klima teil – eine von mehreren Sessions, die sich bei #LINO70 mit Klimafragen beschäftigten.

Das Panel, an dem auch die Nobelpreisträger Steven Chu, Robert B. Laughlin und Hartmut Michel sowie die Klimaforscherin Nadine Mengis und der Klimatologe Gerald Haug teilnahmen, betonte, wie groß die Herausforderung sei, den Klimawandel zu bewältigen. Selbst die aktuelle Pandemie, von der so viele Menschen auf der ganzen Welt betroffen seien, würde im Vergleich dazu verblassen.

Climate Change Panel
Nachwuchs-wissenschaftlerin Nadine Mengis im Gespräch mit Steven Chu, Robert B. Laughlin, Hartmut Michel, Brian P. Schmidt, Gerald Haug und Jim Skea (Moderator)

„Die Klimakrise ist gravierender. Das ist meine kurze Einschätzung des Problems.“, argumentierte Laughlin. Das große Problem, so Laughlin weiter, sei, dass erneuerbare Energien trotz ihres jüngsten Wachstums immer noch nur einen kleinen Teil der gesamten Energieproduktion der Welt ausmachten. Der Großteil werde immer noch durch fossile Brennstoffe wie Kohle und Erdgas erzeugt, die für die klimaschädlichen Treibhausgasemissionen verantwortlich sind.

Diese Emissionen wurden auch vom Zwischenstaatlichen Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) analysiert. Ein zentrales Ergebnis der IPCC-Analysen ist, dass wir die Erwärmung idealerweise auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau begrenzen sollten – oder maximal auf 2 Grad, wenn wir viele der katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels vermeiden wollen. Aber Laughlin glaubt nicht an diese Möglichkeit.

„Meine Wette ist, dass die IPCC-CO2-Grenzwerte nicht eingehalten werden und die Welt über diese Marke hinausschießen wird. Das ist verheerend.“, kommentiert er. Auch Gerald Haug ist nicht sehr optimistisch, was unsere Chancen angeht. „Ich bin kein Wirtschaftswissenschaftler, aber wenn wir keinen Preis auf Kohlenstoff erheben, glaube ich nicht, dass wir irgendein Ziel erreichen werden.“

Steven Chu, 12. Energieminister der Vereinigten Staaten im Kabinett von Barack Obama, weiß, wie schwer es ist, den Klimawandel zu bekämpfen. Er betont auch, dass das Klimaproblem eine äußerst komplexe Angelegenheit sei und es kein einzelnes Patentrezept dagegen gebe – wir müssen an mehreren Fronten handeln, wenn wir etwas bewirken wollen.

„Es geht nicht nur um Strom und Mobilität ohne CO2-Ausstoß, sondern auch um die Chemikalien in den von uns verwendeten Baumaterialien, unsere landwirtschaftlichen Aktivitäten und so weiter. […] Wir brauchen im Grunde eine vierte Agrarrevolution.“ Chu betonte auch, dass das Wachstum, das wir jetzt bei den erneuerbaren Energien sehen, der einfachere Teil unseres Kampfes sei. Die ersten 50 Prozent zu erreichen sei einfach.

Technologie und Wirtschaft

Chu ist außerdem der Meinung, dass einige Technologien, die für den Übergang zu einer Zukunft ohne CO2-Emmissionen erforderlich sind, noch nicht entwickelt wurden, aber schon bald kommen werden. Einigkeit herrscht bei der Ansicht, dass wir das Beste aus dem machen müssen, was uns zur Verfügung steht. Wir können es uns nicht leisten, auf eine magische Technologie zu warten, die uns rettet.

„Ich glaube nicht, dass uns die Möglichkeiten und Ideen im Kampf gegen den Klimawandel fehlen. Die Schwachstelle liegt vielmehr in der Einbeziehung der Wirtschaft. Wir als Bürger müssen gemeinsam daran arbeiten, unter den gegebenen Umständen die richtige Richtung einzuschlagen“, fügt Laughlin hinzu.

Tatsächlich sind viele Lösungen für das Klima systemisch und komplex. Andere wiederum sind sehr einfach und können mit den Mitteln beginnen, die wir bereits etabliert haben. So hat sich zum Beispiel wiederholt gezeigt, dass Fleisch einen wesentlichen Beitrag zu unserem individuellen CO2-Fußabdruck leistet und der Verzicht eine Maßnahme ist, die wir alle ergreifen können. „Wir müssen dafür sorgen, dass die Leute nicht ständig Steaks essen“, betont Michel. Mengis weist auch darauf hin, dass es für Menschen leichter sein müsse, ihre Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit zu treffen.

„Es gibt einen Unterschied zwischen individueller Veränderung und systemischer Veränderung. Wir müssen zu einem Punkt kommen, an dem jeder einzelne einen kohlenstofffreien Lebensstil führen kann.“

Auch wenn wir uns nicht darauf verlassen sollten, dass neue Technologien uns retten, ist es gut zu wissen, dass es Fortschritte gibt. Experte für dieses Thema ist M. Stanley Whittingham, eine der Schlüsselfiguren hinter der Entwicklung von Lithium-Ionen-Akkus, die heute in sämtlichen Geräten – von Smartphones über Laptops bis hin zu Elektrofahrzeugen – eingesetzt werden. In seiner Lecture gab er einen Einblick in seine Arbeit.

Positive Entwicklungen

Eine klimaneutrale Zukunft ist ohne Batterien zur Speicherung von aus erneuerbaren Energien erzeugtem Strom nicht möglich. Dank der Arbeit von Menschen wie Whittingham, der 2019 mit dem Nobelpreis für Chemie ausgezeichnet wurde, haben Batterien einen großen Schritt nach vorne gemacht (weshalb beispielsweise die Elektro-Autonomie von Jahr zu Jahr zunimmt). Trotzdem liegt noch ein langer Weg vor uns.

M. Stanley Whittingham
M. Stanley Whittingham während seiner #LINO70 Lecture

Neben der Erhöhung der Kapazität und Langlebigkeit von Batterien, wird auch an der Reduzierung der sozialen Auswirkungen geforscht. Ein Teil des Problems, erklärt Whittingham, habe mit Materialien wie Kobalt zu tun, die nicht nur teuer seien, sondern auch negative ökologische und humanitäre Auswirkungen hätten. (Laut UNICEF arbeiten 40.000 Kinder unter extrem gefährlichen Bedingungen in Kobaltminen). Aber ein anderer Teil hat weniger mit den Batterien selbst zu tun, sondern mehr mit der damit verbundenen Ökonomie.

„Batterien sind jetzt fast nachhaltig. Wenn wir Nickel oder Kobalt als Beispiel nehmen, können wir es in den USA abbauen. Es geht dann zur Verarbeitung nach Kanada, anschließend nach Skandinavien und dann nach China, um in eine Batterie verwandelt zu werden – das ist verrückt. Die Regierungen müssen investieren und eine Lieferkette auf ihrem eigenen Kontinent etablieren. Das kann nachhaltig gestaltet werden, speziell wenn wir an das Recycling denken. Die Batterien in Ihren Laptops und Telefonen müssen wiederverwendet werden.“

Manchmal führt uns unsere Suche nach energetischen Verbesserungen auch an unerwartete Orte. Für seine Arbeit an der Entwicklung effizienter blauer Leuchtdioden wurde Hiroshi Amano 2014 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet. In einem separaten Agora Talk erklärte Amano, dass nicht nur der Energieverbrauch das Attraktive an dieser Art von LEDs sei, sondern auch, dass sie zur Deaktivierung von Viren und anderen Krankheitserregern verwendet werden können. „Indem wir Wasser für 6-7 Sekunden bestrahlen, können wir 99,9% der Viren deaktivieren“, erklärt er.

Peter Agre and Hiroshi Amano; Moderator: Heiner Linke
Heiner Linke (Moderator) im Gespräch mit Peter Agre und Hiroshi Amano

Die Forschung von Peter Agre führte ebenfalls zu unerwarteten Ergebnissen. Im selben Agora Talk erklärte Agre, wie ein Unfall (und große Neugier) ihn auf einen Weg brachte, der zu einem Nobelpreis führen sollte. Agre wurde für die Entdeckung der Aquaporine ausgezeichnet – Proteine, die für den Wassertransport in vielen Organismen, einschließlich der menschlichen Nieren, zuständig sind. Nun werden Aquaporine als Wasserfiltrationsmechanismen erforscht und könnten bald in Teilen der Entwicklungsländer eingesetzt werden, wo der Zugang zu sauberem Wasser noch immer eine Herausforderung darstellt.

Die Chemiker Robert Grubbs und Richard Schrock teilten ebenfalls einige ihrer Erfahrungen darüber, wie Entwicklungen in einem Bereich manchmal auch in einem anderen angewendet werden können. „Wenn man neue Technologien entwickelt, weiß man nie, wo sie den Menschen nutzen werden“, so Grubbs in einem Agora Talk. Es sei auch wichtig, dass nachhaltige Lösungen nicht nur entwickelt, sondern auch auf ein kosteneffizientes Niveau gebracht werden. Hier wird die Leistung von Grubbs und Schrock besonders deutlich, da die von ihnen entdeckte Metathese die Entwicklung von Katalysatoren ermöglichte, die in allen Bereichen von erneuerbaren Energien bis zu Impfstoffen eingesetzt werden.

Der Klimawandel ist eine enorme Bedrohung – eine vielköpfige Hydra. Aber wenn man die Preisträger*innen bei #LINO70 über all diese Aspekte und die Lösungen, die zur Bewältigung entwickelt wurden, diskutieren hört, bekommt man das Gefühl, dass wir den Klimawandel vielleicht – nur vielleicht – rechtzeitig stoppen können. Zumindest arbeiten einige der weltweit klügsten Köpfe daran.

Andrei Mihai

Andrei Mihai ist Wissenschaftskommunikator und Doktorand für Geophysik. Er ist Mitbegründer der Plattform ZME Science, mit der er das Ziel verfolgt, Wissenschaft für Jedermann interessant und zugänglich zu machen. Er hat bereits über 2000 Artikel zu verschiedenen Themen verfasst, auch wenn er es im Allgemeinen bevorzugt, über Physik und die Umwelt zu schreiben. Andrei versucht Wissenschaft und gute Geschichten miteinander zu verbinden, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen – Artikel für Artikel kommt er diesem Vorhaben näher.