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Veröffentlicht 29. Juni 2021 von Andrei Mihai

Die Jagd nach der Ordnung des kosmischen Waldes

Drei Sessions der 70. Lindauer Nobelpreisträgertagung beschäftigten sich mit Schwarzen Löchern und Exoplaneten

„Die Astronomie ist wie eine Reise durch das Universum, das ich oft mit einem Wald vergleiche“, sagte Reinhard Genzel, Nobelpreisträger für Physik 2020, in seinem Vortrag am ersten Tag von #LINO70. „Wir sehen die schönen Bäume und die enorme Komplexität, und bei sehr seltenen Gelegenheiten beginnen wir, in dieser Schönheit eine gewisse Ordnung zu erkennen.“

Genzel on Nobel Laureate Pier
Reinhard Genzel zeigt die Stakete seines „zweiten Vaters“, Charles Townes, auf dem Nobelpreisträgersteg in Lindau

Genzels „Reise“ begann 1980, als er sich als Postdoc der Forschungsgruppe von Charles Townes (Nobelpreis für Physik 1964) anschloss. Wenige Jahre zuvor hatte Townes Gasmessungen in der Milchstraße durchgeführt, die eine riesige Masse, einige Lichtjahre vom Zentrum entfernt, offenbarten – ein deutlicher Hinweis auf ein supermassives Schwarzes Loch, allerdings noch kein endgültiger Beweis.

Ab den 1990er Jahren begannen Genzels Team und das seiner US-amerikanischen Kollegin (und Co-Nobelpreisträgerin) Andrea Ghez, in das Zentrum der Milchstraße zu blicken, um dort nach eindeutigeren Anzeichen für dieses Schwarze Loch mit der Bezeichnung Sagittarius A* zu suchen. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Sterne in der Nähe eines so gewaltigen Objekts auffällige Bahnen aufweisen müssten und sich immer mehr beschleunigten, je näher sie dem Zentrum kommen.

Genzel nutzte die vier 8-Meter-Teleskope (VLT) der Europäischen Südsternwarte in Chile und Ghez die Teleskope des W.-M.-Keck-Observatorium auf dem Mauna Kea in Hawaii. Ab 2008 lieferten sie den Beweis. Die Flugbahnen mehrerer nahen gelegenen Sterne zeigten, dass Sagittarius A* weniger als das 125-fache der Entfernung zwischen Erde und Sonne misst, obwohl er 4 Millionen Sonnenmassen enthält. „Ist es ein Schwarzes Loch?“, fragte Genzel. „Ich würde sagen, dass es sehr wahrscheinlich eines ist.“

Am erfreulichsten war für Genzel die allmähliche Enthüllung der Ordnung, die sich in der Komplexität des Universums verbirgt. Durch die Beobachtung der Bewegungen und der Spektroskopie der Sterne in der Nähe des massereichen Schwarzen Lochs im Laufe der Zeit, kann sein Team die Beobachtungen mit dem vergleichen, was Einsteins allgemeine Relativitätstheorie für die Umgebung eines solchen Objekts vorhersagt. Die Ergebnisse sind unmissverständlich: „All dies stimmt genau mit dem überein, was die allgemeine Relativitätstheorie erwartet.“

Krümmungen in der Raumzeit

Eine ähnliche außergewöhnliche Übereinstimmung mit Einsteins Theorie wurde der Welt 2016 verkündet, als das Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) und das Virgo-Inferometer die erste direkte Beobachtung von Gravitationswellen aufzeigten – kosmische Krümmungen in der Raumzeit, die Einstein bereits 100 Jahre zuvor vorhergesagt hatte.

In seinem Vortrag an Tag 2 von #LINO70 zeigte Kip Thorne (Nobelpreis für Physik 2017) den Nachwuchswissenschaftler*innen das inzwischen berühmte Gravitationswellensignal GW150914, das perfekt mit einer identischen Welle aus der Theorie übereinstimmt.

Diese winzigen Krümmungen waren ein Überrest der Kollision zweier Schwarzer Löcher vor 1,3 Milliarden Jahren, die für etwa eine Zehntelsekunde Wellen des verzerrten Raums mit einer Kraft erzeugten, die 50-mal größer war als die aller Sterne im Universum zusammen, bevor sie in den Kosmos hinausströmten.

Barry Barish
Heiner Linke begrüßte Barry Barish zu einer Lecture während #LINO70

Da Nobelpreisträger Barry Barish das #LINO70-Publikum kurz zuvor mit einer Einführung in LIGO und den ersten Gravitationswellennachweis vorbereitet hatte, konnte Thorne sich direkt in die Materie stürzen.

„Wenn Schwarze Löcher kollidieren, erzeugen sie ein Beben in der Raum- und Zeitstruktur“, erklärte er. „Und dieses Beben erzeugt die Gravitationswellen, die LIGO und Virgo von … kollidierenden Schwarzen Löchern beobachtet haben.“

Thorne beschrieb die neuesten Erkenntnisse zur Erzeugung von verschiedenen Arten von Gravitationswellen durch die Kollision von Schwarzen Löchern und erwähnte die vielen Fragen, die noch unbeantwortet sind. Er beendete seine Lecture mit einem optimistischen Ausblick: „Denken Sie an die tiefgreifende Revolution unseres Verständnisses des Universums, die die elektromagnetische Astronomie allein in den letzten Jahrhunderten bewirkt hat“, sagte er. „Ich lade Sie ein, darüber zu spekulieren, was mit der Gravitationswellenastronomie und der Multi-Messenger-Astronomie in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten geschehen könnte, denn es wird sehr, sehr aufregend werden.“

Eine Vielzahl von Planeten

Ein weiterer Astrophysiker, der mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, sprach am zweiten Tag von #LINO70 über eine Revolution in der Astronomie: Didier Queloz (Nobelpreis für Physik 2019). Gemeinsam mit Nobelpreisträger Michael Mayor hatte Queloz 1995 mit der Entdeckung des ersten Planeten außerhalb des Sonnensystems – 51 Pegasi b, etwa 50 Lichtjahre entfernt im Sternbild Pegasus – unser Verständnis von der Position der Erde im Kosmos verändert und die Exoplanetenforschung, ein völlig neues Gebiet der Physik, ins Leben gerufen.

Didier Queloz
Didier Queloz während seiner Präsentation

In den vergangenen 25 Jahren haben Wissenschaftler*innen nachweislich etwa 4.800 Exoplaneten entdeckt, die ein ganz anderes Bild von einem Planetensystem zeichnen.

„In der Schule haben Sie vielleicht gelernt, dass es diese drei Kategorien von Planeten gibt“, sagte Queloz und bezog sich auf die Gasriesen (Jupiter und Saturn), die Eisriesen (Neptun und Uranus) und die terrestrischen Planeten (Merkur, Venus, Erde und Mars). „Wir sollten einfach aufhören, das zu lehren, denn […] im Universum gibt es eine Kontinuität zwischen all diesen Planeten […] man findet jede Menge an Kategorien.“

Wie Thorne schloss auch er seinen Vortrag mit Optimismus und Vorfreude auf die Zukunft ab. Er beschrieb die Techniken, die derzeit entwickelt werden, und verkündete, dass wir auf dem besten Weg seien, nach Hinweisen auf Leben auf fernen Planeten zu suchen, ohne riesige kosmische Entfernungen zurücklegen zu müssen.

„Sie können sich vorstellen, dass es sicherlich 1.000 Sterne um die Erde herum gibt, bei denen wir uns die detaillierte Zusammensetzung der Planeten ansehen können. Wir werden eine Menge lernen“, sagte er. „Ich denke, die Erforschung anderer Planetensysteme wird auch eine gewisse Auswirkung auf unsere eigene Zivilisation haben.“

Andrei Mihai

Andrei Mihai ist Wissenschaftskommunikator und Doktorand für Geophysik. Er ist Mitbegründer der Plattform ZME Science, mit der er das Ziel verfolgt, Wissenschaft für Jedermann interessant und zugänglich zu machen. Er hat bereits über 2000 Artikel zu verschiedenen Themen verfasst, auch wenn er es im Allgemeinen bevorzugt, über Physik und die Umwelt zu schreiben. Andrei versucht Wissenschaft und gute Geschichten miteinander zu verbinden, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen – Artikel für Artikel kommt er diesem Vorhaben näher.