Veröffentlicht 27. Juni 2023 von Hanna Kurlanda-Witek
Noch Platz für Verbesserungen: Die Bedeutung von Diversität und Mentoring in der Wissenschaft
Die 72. Lindauer Nobelpreisträgertagung begann mit einer Panel Discussion zu einem Thema, das bereits in den letzten Jahren für viel Gesprächsstoff gesorgt hat und auch weiterhin rege diskutiert wird: Diversität in der Wissenschaft. Das Bekenntnis zu Diversität ist in Goal 8 der Lindau Guidelines verankert – alle Talente, unabhängig von ihrem Hintergrund, auf integrative, vielfältige und in nicht-diskriminierender Weise zu fördern (lindauguidelines.org/guidelines/).
Auf dem Panel saßen vier Nobelpreisträger*innen: Martin Chalfie, Emmanuelle Charpentier, Christiane Nüsslein-Volhard und Harold Varmus, wie auch zwei Nachwuchswissenschaftlerinnen: Rasha Shraim und Marwa Shumo. Die Diskussion wurde von Nkechi Madubuko moderiert. Die lebhafte Debatte wurde durch ein Publikum von mehreren hundert Nachwuchswissenschaftler*innen bereichert, die via Mentimeter gebeten wurden, Fragen zu beantworten oder live abzustimmen.
Die Nobelpreise sind weltweit nicht gleichmäßig verteilt
Als Denkanstoß wurde den Zuhörer*innen eine Folie mit der Anzahl der Nobelpreise gezeigt, die Wissenschaftler*innen und Schriftsteller*innen aus bestimmten Ländern verliehen wurden. Die Vereinigten Staaten liegen – Stand: 2023 – mit 403 Nobelpreisen weit vorne, gefolgt vom Vereinigten Königreich (137), Deutschland (114) und Frankreich (72). Am Ende der Liste stehen Indien und Südafrika mit nur jeweils 11 Preisträger*innen. Die Diskussionsteilnehmer*innen waren sich weitgehend einig, dass der Grund für diese Verteilung darin liegt, dass die USA ein für die Forschung förderliches Umfeld geschaffen haben – und zwar nicht nur für Amerikaner*innen. Martin Chalfie wies darauf hin, dass viele amerikanische Preisträger*innen eigentlich im Ausland geboren sind. Ist die Verleihung eines Nobelpreises also das Ergebnis von exzellenter Finanzierung und der Bereitstellung von Ressourcen, wie beispielsweise Laborausstattung? Emmanuelle Charpentier erklärte, dass dies ein wichtiger Faktor sei, aber man müsse „zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und von den richtigen Personen umgeben sein“.
Einfache Wege zur Diversität
Der Großteil der Zuhörerschaft stimmte dem Statement zu, dass Ausprägungen von Diversität wichtig für den wissenschaftlichen Erfolg sind. Allerdings vertraten die Nobelpreisträger*innen die Meinung, dass es viele erfolgreiche Wissenschaftler*innen gibt, für die Diversität nicht an erster Stelle steht. Christiane Nüsslein-Volhard brachte zum Ausdruck, wie Diversität Universitäten in Deutschland bereichert hat: Die Hälfte aller Studierenden kommt aus einem anderen Land – ein großer Sprung nach vorne in nur wenigen Jahrzehnten.
Es liegt dennoch viel Arbeit vor uns, betonten die Forscherinnen. Marwa Shumo, eine Wissenschaftlerin aus dem Sudan, die in Berlin arbeitet, merkte an, dass es neben der Nationalität noch viele andere Aspekte von Diversität und Inklusion gibt, die angesprochen werden müssen, wie etwa Herkunft und Religion. Rasha Shraim, eine Doktorandin aus Irland erläuterte, dass es deutlich einfacher sei, sich von Irland aus auf Stellenangebote zu bewerben, als aus ihrer Heimat, dem Libanon. Visa-Vorschriften, finanzielle Mittel, Sprache, Politik: Es gibt viele Hindernisse, mit denen Forscher*innen konfrontiert sind, insbesondere aus Ländern mit niedrigen und mittleren Einkommen.
Wäsche oder Wissenschaft: Geschlechterdisparität im Labor
Bis heute haben nur 61 Frauen einen Nobelpreis erhalten, im Gegensatz zu 898 Männern. Während die Zahl der Frauen in der Forschung in der letzten Generation gestiegen ist (von 0,5% auf 20% an den Max-Planck-Instituten), ist es für Frauen nach wie vor viel schwieriger, sich in der Wissenschaft zu behaupten, vor allem aufgrund von familiären Aufgaben wie der Kinderbetreuung. Wie Christiane Nüsslein-Volhard sagte: „Man muss die Ausbildung, den Willen und das Talent haben, um diese Hürde zu meistern, (…) Frauen haben nicht die gleichen Chancen wie Männer, aber das ist nichts im Vergleich zu den Gegebenheiten mit denen ich zu kämpfen hatte.“ Nüsslein-Volhard gründete eine Stiftung, die Forscherinnen bei der Finanzierung der Kinderbetreuung unterstützt (cnv-stiftung.de/en/goals). Diese Art der konkreten Maßnahmen ist ein wichtiger Schritt, um sicherzustellen, dass auch Mütter berufstätig sein können.
Marwa Shumo ergänzte, dass Frauen ohne Familie auch nicht ausgegrenzt werden sollten, da sie bei der Arbeit oftmals mehr Verantwortung übernehmen, wohingegen Forscherinnen, die Kinder haben, sich verstärkt um ihre Familie kümmern, wie es beispielsweise während der Pandemie der Fall war.
Die Diskussion stellte gleichwohl die strukturellen Hindernisse, die Diversität einschränken, wie auch eine Änderung des Belohnungssystems, welches in Goal 7 der Lindau Guidelines verankert ist, in den Fokus. Rasha Shraim kam zu dem Schluss, dass zwar viel über Diversität gesprochen wird, hingegen die zugrunde liegenden Strukturen geändert werden müssen, um die zahlreichen Probleme zu überwinden, die nach wie vor bestehen.
Verschiedene Arten von Mentoring
Um ein ähnliches Thema ging es im Agora Talk „Mentoring and Role Models”, der von den beiden Nobelpreisträgern Aaron Ciechanover und Tim Hunt gehalten und von Pernilla Wittung-Stafshede moderiert wurde. Beide Laureaten sprachen über ihre eigenen Mentor*innen, die ihnen wertvolle Lektionen erteilt und ihre Karriere geprägt hatten, obwohl die Art des Mentorings von Grund auf verschieden war. Mentor*innen können Unterstützer sein, die den Studierenden bei der Planung von Experimenten helfen, aber sie können auch viel distanzierter agieren und ihren Student*innen nur eine allgemeine Vorstellung davon vermitteln, wie sie ihre Forschung durchführen sollen.
Doch unabhängig von der Art des Mentoring spielen Mentoren eine entscheidende Rolle im Leben der Mentees. „Mentoring ist für die persönliche Entwicklung von entscheidender Bedeutung“, sagte Ciechanover. „Suchen Sie sich einen Mentor aus und überlassen Sie es nicht dem Zufall.“ Beide Preisträger waren sich einig, dass die Suche nach dem richtigen Mentor ein bewusster Prozess sein sollte. Die richtigen Personen zu finden, mit denen man gut zusammenarbeiten kann, ist von entscheidender Bedeutung und ein Wechsel von Doktormutter oder -vater ist kein Hindernis für den zukünftigen Erfolg. Mehrere Mentor*innen, beispielsweise aus verschiedenen Forschungsfeldern, zu haben, kann ebenfalls eine Lösung sein. Diejenigen, die zum ersten Mal als Mentor*innen tätig sind, sollten sich der enormen Verantwortung bewusst sein, die sie damit übernehmen. Gute Mentor*innen können ihre Studierenden auch noch lange nach ihrem Lebensende inspirieren.