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Veröffentlicht 26. November 2020 von Hanna Kurlanda-Witek

Nobelpreis in Physiologie oder Medizin 2020: Der lange Weg zur Entdeckung eines Virus – Hepatitis C

Photo/Credit: solidcolours/iStock

Von der Viruserkrankung Hepatitis C sind weltweit etwa 71 Millionen Menschen betroffen. Je nach Region sind etwa 0,5 bis 2,5 Prozent der Bevölkerung infiziert. Es handelt sich um eine durch Blut übertragene Krankheit, heute geschieht die Ansteckung hauptsächlich durch das Teilen von Nadeln beim Drogenkonsum. Vier von fünf der Infizierten zeigen keine Symptome und sind sich daher nicht bewusst, dass sie an einer Krankheit leiden, die eine Vernarbung der Leber (Leberzirrhose) verursacht und letztlich zu Leberkrebs führen kann. Jedes Jahr sterben weltweit etwa 400.000 Menschen an Hepatitis C.

Der Nobelpreis 2020 in Physiologie oder Medizin wird an Harvey J. Alter, Michael Houghton und Charles M. Rice verliehen, „für die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus“. In einem Jahr, das als „das Jahr des Virus“ bezeichnet werden kann, krönt dieser Nobelpreis mehr als ein halbes Jahrhundert intensiver Forschungsarbeit.

Nicht der erste Nobelpreis zum Thema Hepatitis

Harvey J. Alter, Michael Houghton und Charles M. Rice, Medizinnobelpreisträger 2020, Copyright: Nobel Media 2020. Illustration: Niklas Elmehed

Harvey J. Alter war 1963 als frischgebackener Absolvent der Medizinischen Hochschule in der Blutbank des amerikanischen National Institute of Health (NIH) tätig. Während seiner Zusammenarbeit mit dem Genetiker Baruch Blumberg entdeckte er zufällig das „Australien-Antigen“, ein Protein im Blut eines Hämophilie-Patienten. Damals war es nur eine vereinzelte Auffälligkeit, aber Blumberg verfolgte das Problem im Fox Chase Cancer Center in Philadelphia und zeigte, dass das Australien-Antigen ein Oberflächenantigen eines neuen Virus, Hepatitis B, war. Blumberg wurde 1976 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet. Nach seinem Ausscheiden aus dem NIH im Jahr 1964 hatte Blumberg Alter eingeladen, sich seinem Forschungsteam anzuschließen. Er lehnte ab. In einer kurzen Autobiografie, die 2013 veröffentlicht wurde, schrieb Alter, dass er mit seiner Entscheidung glücklich sei, sich aber manchmal frage, ob er den Nobelpreis mit Blumberg geteilt hätte, wenn er ihm nach Philadelphia gefolgt wäre.

Alter begann, transfusionsassoziierte Hepatitis zu untersuchen und mit der Entwicklung von Tests für Hepatitis B konnten er und seine Kollegen zeigen, dass Hepatitis B nur für 30 Prozent der Hepatitisinfektionen durch Bluttransfusionen verantwortlich war. Auch das 1975 entdeckte Hepatitis-A-Virus verursachte keine transfusionsassoziierte Hepatitis, so dass der neue mysteriöse Erreger, der Hepatitis verursacht, als „Nicht-A, Nicht-B-Hepatitis“ (non-A, non-B) bezeichnet wurde.

Die Gruppe stellte fest, dass es sich bei dem Erreger um ein Virus handelt und dass er auf Schimpansen, das einzige Tier, das an Hepatitis erkranken kann, übertragbar ist. Aber sie konnten keinen Weg finden, die DNA zu isolieren. In seiner Frustration schrieb Alter sogar ein kurzes Gedicht über die Flüchtigkeit des neuen Virus: Ob ich es je sehen werde?/ Das Virus, das weder A noch B ist/ Das Virus, das ich nicht entdecken kann/ Von dem ich bloß weiß, das es in der Leber sitzt. (I think that I shall never see/ The virus called non-A, non-B/ A virus I cannot deliver/ And yet I know it’s in the liver.)

Einhundertfünfzig Nukleotide

Auf der anderen Seite des Landes, in Kalifornien, hatte Michael Houghton fast sieben Jahre bei der Biotechnologiefirma Chiron verbracht, um den DNA-Klon aus dem „non-A, non-B“-Genom zu finden. In einem Telefoninterview mit Adam Smith von Nobel Media beschrieb Houghton, dass er beobachtete, wie damals um das Gebäude, in dem er arbeitete, Hotels gebaut wurden und weil er dachte, sie würden es sicher schaffen, den Klon zu isolieren, bevor das erste Hotel fertig sei. „Aber nein. . . ich glaube, sie mussten etwa zehn Hotels errichten, bevor wir es endlich gefunden hatten!“

Hepatitis C kann zu schweren Leberschäden führen

Houghton und sein Team hatten aus dem Blut eines infizierten Schimpansen mit einer hohen Viruslast eine DNA-Bibliothek erstellt, die mit Blut eines „Nicht-A, Nicht-B“-Patienten, das Antikörper enthielt, gescreent wurde. Das Team versuchte etwa 30 verschiedene Ansätze, um dieses winzige Stück viraler Nukleinsäure zu finden, das 150 Nukleotide enthält, einen Klon unter Hunderten von Millionen Klonen. Es war wie eine Nadel im Heuhaufen. „Damals hatten wir nicht die Werkzeuge zur Verfügung, die wir heute haben“, erinnert sich Houghton.

Nachdem das Virus identifiziert worden war, wurde versucht, einen Antikörpertest zu entwickeln, um Blut von Spendern zu untersuchen und damit Hepatitiserkrankungen nach Bluttransfusionen ein Ende zu bereiten. Im Jahr 1990 veröffentlichte die Gruppe einen Artikel, in dem das Hepatitis-C-Virus (HCV) offiziell benannt wurde. Darin wird beschrieben, dass es sich um ein RNA-Virus handelt, das mit der Familie der Flaviviridae verwandt ist.

Heilung ist möglich

Genau auf diese Virentypen hatte sich Charles M. Rice spezialisiert. Er startete 1990 ein Pilotprojekt zur Entschlüsselung der molekularen Struktur von HCV. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Hauptziel der HCV-Forschung darin, das Virus dazu zu bringen, sich unter Laborbedingungen zu vermehren und Zellen zu infizieren. Bis 1997 hatte Rice DNA-Klone des Virus konstruiert und ihre RNA-Transkripte infizierten nachweislich Schimpansen. Dies bedeutete, dass HCV tatsächlich der Erreger der Hepatitis war.

Die Ergebnisse gaben den Anstoß zu weiteren Arbeiten zur Entwicklung von infektiösem HCV in im Labor gezüchteten Zellen, was wiederum die Untersuchung des Virus in einem Mausmodell vorantrieb – ein entscheidender Schritt bei der Entwicklung von Medikamenten. Heute werden mehrere zielgerichtete antivirale HCV-Medikamente mit einer sehr hohen Erfolgsrate in der Behandlung eingesetzt. Es gibt aber immer noch keinen Impfstoff.

Für Rice ist der Nobelpreis eine „Ablenkung“ von seinen laufenden Forschungen zu COVID-19. Für jemanden, der den langen Weg von der Identifizierung des HCV bis zur Heilung miterlebt hat, ist die Geschwindigkeit der Forschung rund um COVID-19 „atemberaubend“, sagte Rice in einem Interview. „Es verändert die Art und Weise, wie Wissenschaft betrieben wird.“

Die Nobelpreiswoche findet vom 5. bis 13. Dezember 2020 statt. Viele der Veranstaltungen kann man via Stream verfolgen.

Hanna Kurlanda-Witek

Hanna Kurlanda-Witek ist Wissenschaftsautorin und Beraterin zu Umweltthemen in Warschau/Polen. Sie hat einen Doktortitel in Geowissenschaften von der Universität Edinburgh, für den sie viel Zeit im Labor verbrachte. Als Expertin für sowohl Forschung als auch industrielle Anwendung schlägt sie durch die Vereinfachung von Wissenschaftskommunikation eine Brücke zwischen diesen beiden Welten.