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Veröffentlicht 27. Juni 2021 von Hanna Kurlanda-Witek

Wissenschaft ist überall! #LINO70 Panel Discussion über Pandemien

Bildrechte: RomoloTavani/iStockphoto

Die 70. Lindauer Nobelpreisträgertagung startete mit der Panel Discussion Corona and Emerging Pandemics, moderiert vom Immunologen Professor Stefan H.E. Kaufmann. Auf dem virtuellen Podium saßen Françoise Barré-Sinoussi (Nobelpreis in Physiologie oder Medizin in 2008 „für ihre Arbeiten über das HI-Virus“); Harvey J. Alter (Nobelpreis in Physiologie oder Medizin in 2020 „für die Entdeckung des Hepatitis-C-Virus“); Professor Richard Neher, der an der Universität Basel die Evolution von Viren und Bakterien erforscht und Jana Huisman, Doktorandin für „Computational Evolution“ an der ETH Zürich.

Auf die Frage, wann ihnen klar wurde, dass die COVID-19-Pandemie zu einer Katastrophe werden würde, waren sich die Forscher*innen einig, dass bei ihnen im Januar 2020 die Befürchtung einer weltweiten Ausbreitung aufkam, Richard Neher präzisierte, dass ihm die Schwere des Virus klar wurde, als er Anfang März 2020 eine größere Anzahl von Todesfällen beobachtete.

Pandemien und Politik

„Wir haben am Anfang viel Zeit verloren“, kritisierte Françoise Barré-Sinoussi und beschrieb den Mangel an Planung und die langsamen Verfahren, mit denen die Pandemie tatsächlich zum Notstand erklärt wurde. Harvey J. Alter schloss sich dieser Meinung an und bezeichnete die Pandemie als einen Sieg der medizinischen Wissenschaft, aber ein Versagen der Sozialwissenschaft. Alter wies auf die „Dichotomie in dem, was die Gesundheitsämter und die Regierung empfahlen“ und die Untätigkeit in Bezug auf eine allgemeine Maskenpflicht, Kontaktverfolgung und Isolierung hin. Wären diese Maßnahmen von Anfang an durchgesetzt worden, hätten „Hunderttausende von Leben gerettet werden können“. Als positive Entwicklung hielt Alter fest, dass die US-Regierung Anerkennung für die frühe Investition in die Entwicklung von Impfstoff verdiene.

Impfstoff-Erfolge und die Suche nach Virostatika

Die COVID-19-Pandemie hat die Impfstofflandschaft in vielerlei Hinsicht neugestaltet, was wissenschaftliche Fortschritte wie die mRNA-Technologie, aber auch die Beschleunigung der Prozesse durch die Zulassungsbehörden betrifft. Dennoch räumten beide Nobelpreisträger*innen ein, dass die Entwicklung wirksamer Impfstoffe im Hinblick auf Hepatitis C und HIV aufgrund der Natur dieser Viren schwierig ist. Während der Diskussion über die langsamen COVID-19-Impfraten in einkommensschwachen Ländern betonte Alter, dass die Reichen den Armen geben müssen, „zum Nutzen des Spenders, wie auch des Empfängers“, mit dem Ziel, „eine schwelende Pandemie“ zu vermeiden. Der Wettlauf, unter den vorhandenen Medikamenten geeignete für die Behandlung von COVID-19 zu finden, erinnerte Barré-Sinoussi an den Beginn der HIV-Epidemie in den 1980er Jahren. Im Moment wird erwartet, dass monoklonale Antikörper in Bezug auf COVID-19-Therapeutika wirksam sein könnten.

Emerging Pandemics - Panel Discussion
Stefan Kaufmann (Moderator), Françoise Barré-Sinoussi, Richard Neher, Jana Huisman und Harvey J. Alter während seiner ersten Lindau-Session

Chancen nach COVID-19

Alle Podiumsteilnehmer gaben Beispiele für die Vorteile, die die Pandemie gebracht hat, insbesondere in Bezug auf die wissenschaftliche Zusammenarbeit und Kommunikation. Trotz der offensichtlichen Rückschläge, weil man sich nicht persönlich mit Kolleg*innen austauschen kann und der Wissenstransfer geringer ausfällt, haben sich die Möglichkeiten der Online-Kommunikation in einem unglaublichen Tempo weiterentwickelt, wovon vor allem Wissenschaftler*innen aus Ländern mit niedrigem Einkommen profitieren. Jana Huisman beschrieb die Organisation einer Online-Sommerschule mit Teilnehmer*innen aus Ländern wie Brasilien oder Kolumbien, die sonst vielleicht nicht die Chance gehabt hätten, daran teilzunehmen. Huisman kommentierte auch, wie die Pandemie „das Jahr mit den meisten Preprints aller Zeiten“ generierte, was das Potential von Open Science unterstreicht. Alter sagte, er sei beeindruckt davon, wie Tageszeitungen Statistiken über die Pandemie veröffentlichen, oft mit übersichtlichen Grafiken. „Die Menschen sind sich bewusst, was los ist … Wissenschaft ist überall“, bemerkte er.

Neues Wissen und Hoffnungen für die Zukunft

Barré-Sinoussi hofft, dass die Lehren, die aus der COVID-19-Pandemie gezogen werden, die Erkenntnisse aus der Bekämpfung von HIV widerspiegeln: die Bedeutung der multidisziplinären Wissenschaft, aber auch der Sozialwissenschaft und eine starke Interaktion mit der Zivilgesellschaft. Alter prognostizierte, dass es bei der derzeitigen Impfrate noch einige Jahre dauern könnte, bis das Coronavirus ausgerottet ist, aber zumindest wären die Länder von nun an besser auf den nächsten Infektionserreger vorbereitet. Richard Neher betonte die Bedeutung eines „viel besseren globalen Systems für die virale Überwachung“, etwas Umfassenderes, damit schwere Erkrankungen früher erkannt werden können. Jana Huisman hatte das letzte Wort, indem sie die enorme Ungleichheit bei der Gesundheitsversorgung weltweit betonte und wie die Pandemie diese Problematik sichtbar gemacht habe. „Diese Ungleichheit wird am Ende auf uns zurückkommen, wenn die Krankheit unbehandelt bleibt.“

Hanna Kurlanda-Witek

Hanna Kurlanda-Witek ist Wissenschaftsautorin und Beraterin zu Umweltthemen in Warschau/Polen. Sie hat einen Doktortitel in Geowissenschaften von der Universität Edinburgh, für den sie viel Zeit im Labor verbrachte. Als Expertin für sowohl Forschung als auch industrielle Anwendung schlägt sie durch die Vereinfachung von Wissenschaftskommunikation eine Brücke zwischen diesen beiden Welten.