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Veröffentlicht 17. November 2016 von Stephanie Hanel

Recycling auf Zellebene: Autophagie als evolutionäres Selbstreinigungsprogramm

Prof. Yoshori Ohsumi, born in 1945, received the Nobel Prize in Physiology or Medicine for his groundbreaking research on cells' autophagy. Photo: Dr. Paul Janssen Award for Biomedical Research/multivu.com
Yoshinori Ohsumi, Photo: Dr. Paul Janssen Award for Biomedical Research/multivu.com

Nein, das ist nicht der Mensch, dem man einen solchen Erfolg vorausgesagt hätte, und ja, dieser Nobelpreisträger sagt von sich selbst: „I am not very competitive, so I always look for a new subject to study, even if it is not so popular.“ Und siehe da: Heute ist sein Arbeitsgebiet eines, das boomt. „The field has become one of the most intensely studied areas of biomedical research, with a remarkable increase in the number of publications since the early 2000’s“ heißt es in der Begründung des Nobelpreiskomitees. Yoshinori Ohsumi sprach vielen Wissenschaftler/innen aus dem Herzen, als er bereits in seiner ersten Pressekonferenz nachdem er erfuhr, dass er den Nobelpreis in Medizin erhält, die Wichtigkeit der Grundlagenforschung betonte. Und er hat einen Rat für Young Scientists: “I’d like to tell young people that not all can be successful in science, but it’s important to rise to the challenge.”

Der heute 71-Jährige Japaner Ohsumi weiß wovon er spricht, er war bereits in seinen Vierzigern, als er endlich ein eigenes Labor und damit die Möglichkeit hatte, seine später bahnbrechenden Versuche zu starten. Dass Grundlagenforschung kein Stochern im Nebel sein muss, sondern eine Zielgerade in Richtung neuer Erkenntnisse sein kann, hat er mit seinen von vielen Kolleg/innen und dem Nobelpreiskomitee als „elegant“ bezeichneten Experimenten bewiesen.

Den Begriff Autophagie (altgriechisch „sich selbst verzehrend“) hat ein anderer Nobelpreisträger geprägt: Christian de Duve, ein mittlerweile verstorbener belgischer Zellforscher, der das Lysosom und seine Bedeutung für die Zelle zusammen mit anderen entschlüsselte und dafür bereits 1974 geehrt wurde. Das Lysosom ist ein in Zellen aktives Organell, das nicht mehr benötigte Zellbestandteile aber auch beispielsweise Bakterien auflöst. Damals noch ungelöst war die Frage, wie der Transport zum Lysosom funktioniert und vor allem, wie die Zelle überhaupt erkennt, was aussortiert werden soll. Tatsächlich war aber schon damals bekannt, dass die Zelle Membranbläschen ausbilden kann, und mit diesen die zu entsorgenden Bestandteile einsammelt. Allerdings waren die Membranbläschen zu flüchtig, um sie genauer studieren zu können. Wir wissen heute, dass die sogenannten Autophagosome, eben jene Membranbläschen, nur für circa 10-20 Minuten für sich bestehen und dann mit dem Lysosom verschmelzen.

Ablaufschema einer zellulären Autophagie, Copyright: iStock/Dr_Microbe

Autophagie-Prozesse finden in den verschiedensten Geweben des menschlichen Körpers statt, und Autophagosome finden sich in Kleinstlebewesen wie beispielsweise Amöben und Geißeltierchen ebenso wie in Insekten oder Fröschen. Das weist daraufhin, dass es sich bei Autophagie nicht um einen von vielen Abläufen in der Zelle, sondern um einen so wesentlichen Vorgang handelt, dass er sich im Verlauf der Evolution für alle Lebewesen erhielt.

Ohsumi startete mit Versuchen an Hefepilzen, bei denen er aber gleich zu Beginn mit dem Problem zu kämpfen hatte, dass die Autophagosome zu klein waren, um sie zu beobachten. Also arbeitete er mit einem Trick, der zum einen den Nachweis an und für sich lieferte und sich später auch als hilfreich für die Spezifizierung erwies. Ōsumi ging davon aus, dass der Zellmüll beim Hefepilz wahrscheinlich in die Vakuole transportiert würde (als Äquivalent zum Lysosom) und sich – wenn man den Abbauprozess in der Vakuole blockiert – immer mehr und deutlich Erkennbares ansammelt. Diese Annahme erwies sich als richtig. Ōsumi und sein Team konnten so herausfinden, unter welchen Bedingungen die Autophagosome arbeiten, d.h. was sie aktiviert und was dazu führt, dass sie inaktiv werden.

Ein Lysosom verschmilzt mit einem gefüllten Autophagosom, Copyright: iStock/Dr_Microbe

Es folgten Jahre mit diversen Experimenten – denn die Autophagie ist ein Mechanismus, der zu vielen unterschiedlichen Prozessen in Beziehung steht. Autophagosome werden bei Stress oder unter dem Einfluss von Giftstoffen aktiver, sie können bei Nährstoffmangel Teile der Zelle essen, die nicht essentiell sind, um das Gesamtsystem am Leben zu erhalten. Sie machen Platz frei, indem sie nicht mehr benötigte Teile entsorgen und beschädigte Bestandteile entfernen. Sie fangen Gifte und eindringende Mikroorganismen ein und sie spielen auch eine Rolle bei der Entwicklung des Embryos im Mutterleib. Die Autophagie ist also nicht nur ein Abfallentsorgungsprogramm, sondern auch eine Selbstverteidigungsstrategie und letztlich sogar an der Entwicklung von neuem Leben beteiligt.

Es liegt auf der Hand, dass es von unschätzbarem Wert ist, diese Prozesse nachvollziehen zu können, denn wenn hier Probleme auftreten, fördert das die Entstehung von Krankheiten. Ohsumis Labor führte unzählige Versuche mit geklonten Hefen durch, bei denen einzelne Gene deaktiviert waren, um so die Erbgutabschnitte zu ermitteln, die verantwortlich für den Verlauf der Autophagie sind. 1993 konnte er die Ergebnisse publizieren: Es sind 15 Schlüssel-Gene. Mit diesem Wissen kann seither die internationale Forschergemeinde unter unterschiedlichsten Gesichtspunkten weiterforschen.

 

Stephanie Hanel

Stephanie Hanel is a journalist and author. Her enthusiasm for the people behind science grew out of her work as an online editor for AcademiaNet, an international portal that publishes profiles of excellent female scientists. She is an interested observer of new communication channels and narrative forms as well as a dedicated social media user and science slam fan.