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Veröffentlicht 30. Juni 2010 von Markus Pössel

Von der Lichtuhr zum Frequenzkamm: Theodor Hänsch

Als jemand, der sich inzwischen schon eine ganze Weile damit beschäftigt, wie man Einsteins Relativitätstheorien möglichst allgemein verständlich erklären kann, kenne ich sie natürlich: Die Lichtuhr. Bei Einstein ist sie nur ein Gedankenexperiment, eine hypothetische Uhr mit möglichst einfacher Bauweise: zwei Spiegel, in konstantem Abstand parallel zueinander angebracht, zwischen denen ein kurzer Lichtpuls hin und her läuft. Da der Abstand der Spiegel konstant ist, braucht auch der Lichtpuls für eine Rundreise (erster Spiegel — zweiter Spiegel — wieder am ersten Spiegel angekommen) immer die gleiche Zeit. Das ist bei dieser Uhr die elementare, immer gleiche Zeiteinheit. Und weil die Uhr vom Prinzip her so einfach ist, kann man daran schön Effekte der speziellen Relativitätstheorie erklären, etwa die Zeitdilatation.

Insofern habe ich einen ganz besonderen Grund, die Arbeit von Theodor Hänsch vom Max-Planck-Institut für Quantenoptik in München interessant zu finden. Hänsch hat seinen Nobelpreis (Physik 2005) nämlich dafür erhalten, dass er diese Gedankenexperiment-Lichtuhr tatsächlich gebaut hat. Nun gut, etwas anders sieht Hänschs Lichtuhr schon aus: Zwischen den Spiegeln ist ein lichtverstärkendes Medium eingebaut (dadurch wird das ganze zu einem Laser), und ein Teil des Lichtpulses wird jeweils ausgekoppelt, entkommt also durch den einen (halbdurchlässigen) Spiegel nach draußen. Der Witz besteht dabei auch nicht darin, Gedankenexperimente der Relativitätstheorie nachzuspielen, sondern darin, dass solch eine regelmäßige Reihe von Lichtpulsen ein sehr einfaches Spektrum hat: Schaut man sich an, welche einfachen Sinuswellen man überlagern muss, um ein solches Muster zu bekommen, dann sind das alles Wellen mit einer Schwingungsdauer, die ein vielfaches des zeitlichen Abstands ist, in dem die Pulse losgeschickt werden. Grafisch dargestellt ergibt sich als Spektrum ein regelmäßiges Linienmuster, nach dem das ganze denn auch "Frequenzkamm" benannt wurde. Mit einem einzigen Laser bekommt man gerade mal eine einzige solcher Linien hin, nämlich diejenige, die der (wenn man gut ist, hochkonstanten) Frequenz des Lasers entspricht. Um das nachzubauen, was ein Frequenzkamm kann, müsste man simultan 100.000 ultrastabile Laser betreiben.

Das mag jetzt ohne Bilder kompliziert klingen — Hänsch hatte schöne Bilder, unter anderem eine Animation mit Pendeln, in denen das Prinzip sehr schön illustriert war! —, aber den Nutzen solcher extrem regelmäßigen Pulsreihen kann man auch so einsehen: Genau wie bei Einstein haben wir es mit einer schnell tickenden, hochpräzisen Uhr zu tun. Die kann man für alle denkbaren Zeit- und Frequenzmessungen einsetzen: Hochpräzise Atomuhren. Präzisionsspektroskopie aller Arten. Und, das schlug bei mir wieder den Bogen zu meinem gewohnten Wissenschaftsumfeld, eine besonders schöne Anwendung: Eine Methode, nach Planeten um andere Sterne ("Exoplaneten") zu suchen, die so genannte Radialgeschwindigkeitsmethode, ist auf hochgenaue Frequenzmessungen angewiesen. Eine mögliche neuartige Lösung: Frequenzkämme! Auch eine ganz neuartige Messung könnte mit so genauen Frequenzmessungen (und der nächsten Generation von Teleskopen) möglich werden: Der direkte Nachweis, wie sich die Ausdehnungsrate unseres Weltalls mit der Zeit verändert.

Ganz zum Schluss dann noch eine Überraschung: Auch das Spektrum des einfachsten Atoms, des Wasserstoffs (ein Proton, ein Elektron) lässt sich mit Frequenzkämmen hochgenau messen. Die Frequenzen der verschiedenen Spektrallinien lassen sich mit einer Formel berechnen, in der die so genannte Rydberg-Konstante vorkommt, die wesentliche Spektraleigenschaften des Wasserstoffs zusammenfasst. Allerdings kommen in der genauen Version der Formel auch einige Eigenschaften des Protons vor, die nicht so akkurat bekannt sind, und das begrenzt dann die Genauigkeit, mit der sich die Rydberg-Konstante bestimmen lässt. Hänsch erwähnte nun eine neue Messung, die vom Paul-Scherrer-Institut in der Schweiz stammt und in der kommenden Woche in Nature veröffentlicht werden soll. Genaueres durfte er nicht sagen, aber es wurde klar: Da gibt es wohl einiges an Diskrepanz zwischen Theorie und Messung. Und das führt ja typischer Weise zu interessanter neuer Wissenschaft…


2008 gab Theodor Hänsch dem Lindaublog ein Interview "Maybe the world is not simple".

Markus Pössel