Veröffentlicht 6. Juli 2012 von Markus Pössel
Brian Schmidt: Balance finden
Es war eine Zufallsbegegnung, wie sie in Lindau häufig vorkommt: Auf dem Flur vor der Tagungshalle hatte ich John Hall getroffen und war mit ihm ins Gespräch gekommen. Nach dem Fachlichen kam Hall dann von sich aus noch darauf, dass Wissenschaft nicht alles im Leben sein sollte, und begann zu erzählen, was er eigentlich sonst noch so hätte machen wollen, aber vor lauter Laborarbeit nicht getan hat – und die Wagen, mit denen die Laureaten hin- und herkutschiert würden, hätten eine so tolle Beschleunigung; so ein Auto würde er auch gerne fahren!
An Halls Worte musste ich denken, als ich am Donnerstag Brian Schmidt interviewen konnte. Schmidt ist nicht nur der jüngste Laureat hier, weil er den letztjährigen Physik-Nobelpreis erhalten hat, sondern auch, weil er erst 45 Jahre alt und damit dem Durchschnittsalter der Lindauer Young Researchern durchaus näher sein dürfte als dem Durchschnittsalter der Laureaten. Und dass Schmidt einer neuen Generation angehört, zeigt sich auch in seinem Herangehen an die „Work-Life-Balance“. (Ach ja: und daran, dass er twittert.)
Schmidt war nämlich während der Forschungen, die ihm den Nobelpreis einbringen würden, durchaus kurz davor, die Physik zu verlassen. Mit einer Australierin verheiratet, die gerade selbst einen guten Job gefunden hatte, lebte er 1997, ein Jahr vor seiner preiswürdigen Entdeckung, in Canberra. In diesem Jahr lief seine auf drei Jahre befristete Postdoc-Stelle aus, und er bewarb sich am gleichen Institut auf eine neue Stelle. Allerdings kam er auf der Bewerberliste nur auf Platz vier. Er hatte sich bereits entschieden, dass er dort bleiben wollte, wo er war – er und seine Frau seien dort glücklich gewesen, und deshalb kam es für ihn nicht infrage, in üblicher Postdoc-Manier weiterhin in der Welt herumzuziehen. Klar, sie hätten da gerade ein sehr spannendes Experiment gemacht, aber er sei nicht bereit gewesen, sein Leben der Astronomie zu opfern. Dann aber hätten die ersten drei Bewerber das Jobangebot abgelehnt, und Schmidt habe die Stelle doch noch bekommen.
Gerade dass er sich auch durchaus ein Leben außerhalb der akademischen Forschung vorstellen konnte, war andererseits Hintergrund dafür, dass er bei der Wahl seines Forschungsthemas durchaus bereit war, ein Risiko einzugehen: Als er begann, nach Supernovas vom Typ I zu suchen – Sternexplosionen, die Eigenschaften haben, aus denen sich ihre Entfernung bestimmen kann – war er sich durchaus bewusst, dass das auch schiefgehen konnte. Das Thema fand er faszinierend: Weit entfernte Ereignisse, deren Entfernung sich auch noch bestimmen ließ – das war ein Weg, direkt nachzumessen, wie unser Kosmos mit der Zeit expandiert ist, und so grundlegende Eigenschaften der kosmischen Geschichte direkt zu bestimmen. Als er hörte, das die entsprechenden Messungen jetzt im Bereich des technisch Möglichen lägen, ließ Schmidt alle bereits begonnene Arbeit stehen und liegen, um sich ganz dem neuen Thema zuzuwenden, von dem er hundertprozentig überzeugt war. Wenn es schiefgehen würde, dann würde er sich eben einen Job außerhalb der Forschung suchen müssen: auch gut.
Was sonst hätte er denn auch machen sollen, fragt er rückblickend? Eine feste Stelle an einer Universität oder an einem Forschungsinstitut zu bekommen, sei nicht einfach. Der Weg dahin sei, Forschung an vorderster Front zu machen – und die ist immer mit dem Risiko verbunden, dass es nicht klappt. Wer vorsichtig sei, der lande bei langweiliger Forschung.
Dass Schmidts Themenwahl sich gelohnt hat, zeigte sich, als Schmidt und Adam Riess die Auswertung ihrer Daten vornahmen und auf den überraschenden Befund stießen, dass sich die Expansion mitnichten abbremst, wie man erwarten könnte – sondern im Gegenteil beschleunigt! Das war so überraschend, dass die beiden erst einmal über zwei Wochen alle ihre Daten noch einmal ganz von Beginn an auswerteten, unabhängig voneinander. Dann erst zogen sie den Rest des Teams hinzu, und schließlich kam es zur Veröffentlichung. Der Rest ist Geschichte: 2011 gab es für Schmidt und Riess sowie für Saul Perlmutter, der mit einer anderen Gruppe zu dem gleichen revolutionären Ergebnis gekommen war, den Nobelpreis.
Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen mit den Problemen, Berufs- und Privatleben zu vereinbaren, ist es auch ganz selbstverständlich für Schmidt, dass er seine eigenen Postdocs entsprechend fördert – Teilzeit, um nebenbei auch für die Kinder dazu sein, sei bei ihm kein Problem, und wann immer es möglich sei, dann würde er die Postdocstellen seiner Jungforscher dafür auch verlängern. Das System sei flexibler, als viele annähmen und fügt noch hinzu, die ältere Forschergeneration habe das ja gar nicht hinbekommen, aber dieses Thema wolle er jetzt nicht vertiefen.
Was bleibt, ist der Eindruck eines Forschers, der eben nicht jede freie Minute bei der Arbeit verbringt, sondern Zeit für seine Familie hat (jetzt mit Nobelpreis leider weniger, fügt er hinzu – die vielen Reisen!), durchaus bereit war, seine Forschung zugunsten seines Familienlebens aufzugeben – und trotzdem hochengagiert Spitzenforschung macht und ganz vorne mitspielt. Damit dürfte er für viele der jungen Wissenschaftler hier in Lindau, die sich anstrengen müssen, Privatleben und Wissenschaft unter einen Hut zu bringen, ein deutlich besseres Vorbild sein als viele seiner älteren Kollegen.