Veröffentlicht 6. Juli 2012
Der ursprüngliche Sinn des Nobelpreises und was daraus wurde
Das Higgs-Boson kann inzwischen so leidlich als gefunden gelten, und nun geht das große Nobel-Rätselraten los. Dass Peter Higgs nach der Entdeckung wohl demnächst mal dran ist, gilt weithin als sicher, viel weniger klar ist dagegen, wann und mit wem. Aber eigentlich muss man sich zuerst einmal fragen, ob Higgs überhaupt einen Preis kriegen sollte – nicht weil ich seine Verdienste in Frage stelle oder ihm den Preis missgönne, sondern weil der Nobelpreis eigentlich für etwas anderes gedacht war.
Nach dem Willen seines Stifters Alfred Nobel sollte der Preis an Forscher vergeben werden, die im abgelaufenen Jahr herausragendes geleistet haben – ein Preis also, der laufende Projekte aktiver Forscher unterstützen soll. Und eben nicht, wie heute üblich, als Belohnung für Jahre bis Jahrzehnte vorher erworbene Verdienste. Es ist ein Bisschen kurios, dass das Nobelkomittee sich einerseits jeder Änderung der Modalitäten – zum Beispiel der Einführung des dringend erforderlichen Nobelpreises für Biologie – mit Hinweis auf das Testament des Stifters verweigert, andererseits aber den Preis in dieser radikal umdefinierten Variante verleiht.
Zwischenzeitlich war es eingerissen, dass die Preise wirklich fast auf dem Sterbebett verliehen wurden, weil die Zeit schlicht knapp wurde und das Komittee wohl der Meinung war, diesen oder jenen hochverdienten Wissenschaftler nicht übergehen zu können. Inzwischen bekommen wieder ein paar mehr aktive Forscher den Nobelpreis.
Die ursprüngliche Intention des Nobelpreises ist aber wohl für immer verloren – dem steht die Prominenz des Preises entgegen. Douglas Osheroff zum Beispiel meinte gestern zu mir, sein Nobelpreis hätte ihn eher an der Forschung gehindert, weil er zu viel herumgereist sei, um noch effektiv arbeiten zu können. Nobelpreisträger sind eben sehr nachgefragt. Viel wichtiger allerdings ist wohl ein anderer Effekt: Ein Nobelpreis gibt prominenten Forscherinnen und Forschern die Freiheit, die Werbetrommel für jene Projekte und Ideen zu rühren, die ihnen besonders am Herzen liegen.
It depends on who you are and in what field you work.
In my case it probably hindered me more, because it made me travel all the time and so I couldn’t research as efficiently as before.
– Douglas Osheroff
Shechtman zum Beispiel wollte ja im Interview mit Beatrice gar nicht mehr über seine Forschung sprechen, sondern über seine Bildungsprojekte, und auch ein Harold Kroto zieht inzwischen als wortgewaltiger Lobbyist für das Schöne, Wahre und Gute durch die Welt. Eine Verpflichtung dazu oder zu irgendetwas anderem ist der Nobelpreis nicht, wie man zum Beispiel an Theodor Hänsch sieht, der ja noch in erster Linie Forscher ist. Aber man kann wohl feststellen, dass die meisten Nobelpreisträger weniger Zeit für die Wissenschaft haben als sie oft gerne hätten.
Und das ist vielleicht auch ganz gut so. Denn die Welt ist voller exzellenter Forscher, aber nur wenigen von ihnen hören die Entscheider aus Politik und Wirtschaft im Zweifelsfall auch zu – es sei denn, sie haben die goldene Medaille mit dem Konterfei von Alfred Nobel zu Hause liegen. Denn für die meisten Laureaten ist der Nobelpreis weniger Belohnung denn Verpflichtung – die Verpflichtung, die neu gewonnene Aufmerksamkeit einzusetzen um die Welt zu verbessen. Denn das kann man nicht nur im Labor, sondern auch zum Beispiel vor einer Fernsehkamera. Die Wissenschaft braucht wirkmächtige Kommunikatoren, und ein Nobelpreisträger hat heutzutage kaum eine andere Wahl als so einer zu sein.