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Veröffentlicht 23. November 2023 von Phil Thornton

Der Preis für Wirtschaftswissenschaften 2023: Die wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt

Ein stereotypes und zugleich aktuelles Bild des geschlechtsspezifischen Lohngefälles. Photo/Credit: Wirestock/iStockphoto

Die US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Goldin ist die erste Frau, die den Preis der Sveriges Riksbank in Gedenken an Alfred Nobel als Einzelpreisträgerin erhält. Verliehen wird er für ihre bahnbrechenden Forschungsarbeiten, die erklären, warum sich die Einkommens- und Beschäftigungsunterschiede zwischen Männern und Frauen im Laufe der Zeit verändert haben.

Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften gab bekannt, dass Goldin, Jahrgang 1946 und Professorin an der Harvard University, die Auszeichnung und den mit 11 Millionen schwedischen Kronen dotierten Preis dafür erhielt, dass sie „unser Verständnis der Arbeitsmarktergebnisse von Frauen verbessert hat“.

Wie die Mitglieder des Komitees erklärten, hat Goldin gezeigt, dass der größte Teil der geschlechtsspezifischen Einkommensunterschiede heute zwischen Männern und Frauen im gleichen Beruf besteht und dass dieser Unterschied hauptsächlich auf die Geburt des ersten Kindes zurückzuführen ist.

Faktoren und Hindernisse, die abgebaut werden müssen

„Dank der bahnbrechenden Forschungsarbeit von Claudia Goldin wissen wir heute viel mehr über die zugrunde liegenden Faktoren und darüber, welche Hindernisse in Zukunft abgebaut werden müssen“, sagte Jakob Svensson, Vorsitzender des zuständigen Komitees.

Zu Beginn ihrer Forschungslaufbahn untersuchte die Ökonomin die wirtschaftlichen Implikationen der Sklaverei in den amerikanischen Städten vor dem Bürgerkrieg – das Thema ihrer Dissertation – bevor sie feststellen musste, dass Frauen in der Wirtschaftsforschung bislang keine Beachtung geschenkt worden war.

Als Doktorandin in Chicago verlagerte sich Goldins Schwerpunkt auf die Arbeitsökonomie, nachdem der spätere Preisträger Gary Becker auf den Campus kam. Inspiriert wurde sie zudem von einem weiteren Preisträger: Robert Fogel, der sie auch bei ihrer Dissertation beriet.

Akribisch analysierte sie Daten zur Entwicklung des amerikanischen Arbeitsmarktes, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts zurückreichen. Dabei stellte sie fest, dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen keinen Aufwärtstrend aufwies, sondern stattdessen wie eine U-förmige Kurve aussah.

Wandel der Gesellschaft

Die Erwerbsbeteiligung verheirateter Frauen ging mit dem Übergang von der Agrar- zur Industriegesellschaft zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurück, bevor sie zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts mit dem Wachstum des Dienstleistungssektors wieder anstieg. Ihre Forschungsergebnisse flossen schließlich in ihr 1990 erschienenes Buch Understanding the Gender Gap: An Economic History of American Women ein.

Goldin führt diese Entwicklung auf den strukturellen Wandel und die sich verändernden gesellschaftlichen Normen in Bezug auf die Verantwortung von Frauen für Haushalt und Familie zurück. Das Bildungsniveau der Frauen stieg zudem kontinuierlich an und befand sich in den meisten Ländern mit hohem Einkommen zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich über dem der Männer.

Der Einfluss der Antibabypille

Oral contraceptive, the pill for one month
Kleine Pille mit großer Wirkung. Photo/Credit: shawshot/iStockphoto

In dem gemeinsam mit ihrem Mann und Harvard-Kollegen Lawrence Katz verfassten Paper The Power of the Pill: Oral Contraceptives and Women’s Career and Marriage Decisions (Die Macht der Pille: Orale Verhütungsmittel und die Karriere- und Partnerschaftsentscheidungen von Frauen), wies Goldin nach, dass der Zugang zur Antibabypille eine entscheidende Rolle bei der Beschleunigung dieses revolutionären Wandels spielte, da sie neue Möglichkeiten der Karriereplanung eröffnete.

An dem Morgen, an dem sie von ihrem Preis erfuhr, sagte Goldin im Gespräch mit Adam Smith (in Stockholm verantwortlich für Öffentlichkeitsarbeit rund um die Nobelpreise), die Auszeichnung bedeute ihr „enorm viel“. Sie betonte: „Es ist eine wichtige Würdigung von Ideen und für langfristige Veränderungen.“

Seit der High School habe sie sich selbst als Detektivin gesehen. „Als Forscherin durchsuche ich riesige Datenmengen in den Archiven.“

„Es ist regelrecht Knochenarbeit. Aber der Job einer Detektivin besteht eben darin, alles zu geben, um eine Frage von so großer Bedeutung beantworten zu können. Manchmal sind die Fragen auch so entscheidend und gewichtig, dass du dir einfach nicht sagen lässt, dass du sie nicht beantworten kannst.“

Statements aus der Wissenschaft

Die Wahl Goldins stieß in der Fachwelt auf breite Zustimmung. Claudine Gay, Präsidentin der Harvard University und Politikwissenschaftlerin, bezeichnete Goldin als zukunftsweisende Ökonomin. „Ihre bahnbrechenden Beiträge zu unserem Verständnis des geschlechtsspezifischen Lohngefälles und der Beteiligungsmuster von Frauen auf dem Arbeitsmarkt haben dazu beigetragen, das Bewusstsein für diese Themen zu schärfen und Fortschritte zu ermöglichen“, sagte sie.

Professor Robert Shimer, Vorsitzender des Kenneth C. Griffin Department of Economics an der University of Chicago, betonte, dass Goldins Arbeit „ganz natürlich aus dem Geflecht zwischen Fogel und Becker folgt und offensichtlich in hohem Maße auf deren Arbeit aufbaut.“

„Ein Leitgedanke ihrer Arbeit ist, dass man das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern am Arbeitsplatz nicht ändern kann, wenn man das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern im Haushalt nicht ändert. Für mich zeigt dies die empirische Relevanz der Ideen, über die auch Gary Becker gesprochen hat.“

Zwei ihrer ehemaligen Studentinnen und jetzigen Kolleginnen, die Wirtschaftsprofessorinnen Leah Boustan und Ilyana Kuziemko von der Princeton University, erklärten im CEPR-Blog VoxEU, dass Goldins intellektueller Einfluss weit über die Untersuchung geschlechtsspezifischer Unterschiede hinausgehe.

„Ein großer Teil von Claudias Arbeit über Geschlechterunterschiede und Ungleichheiten im Allgemeinen konzentriert sich auf die Rolle der Bildung. So ist es keine Überraschung, dass sie die perfekte Lehrerin, Beraterin und Mentorin ist. Es ist unumstritten, dass sie unzählige Frauen dazu inspiriert hat, Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Wir haben das große Glück, zu diesen Frauen zu zählen.“

Claudia Goldin

Claudia Goldin ist Henry Lee-Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University. Sie wurde 1946 in New York City geboren und erhielt ihren Doktortitel 1972 von der Universität Chicago. Goldin ist Co-Direktorin der Studiengruppe „Gender in the Economy“ des National Bureau of Economic Research und war im Studienjahr 2013/2014 Präsidentin der American Economic Association.

Phil Thornton

Phil Thornton is lead consultant at Clarity Economics, a consultancy and freelance writing service he set up after a 15-year career as a newspaper journalist. Clarity Economics (www.clarityeconomics.com) looks at all areas of business and economics including macroeconomics, world trade, financial markets, fiscal policy, and tax and regulation. He has written for a range of publications including The Wall Street Journal, The Independent, Independent on Sunday, The Guardian, The Times, The Daily Telegraph, Financial Director, Emerging Markets, City AM and PM-Select. He writes a regular economics column for Procurement Leaders. Recent projects include a series of reports looking at the position of ethnic minority groups within the UK workforce for Business in the Community; drawing up proposals for reform of the EU Budget for Business for a New Europe; and an examination of lessons learned 20 years after Big Bang for The Centre for the Study of Financial Innovation. In 2010 he won the Feature Journalist of the Year award in the WorkWorld Media Awards. In 2007 he won the title of Print Journalist of the Year in the same awards. Until 2007 he was Economics Correspondent at The Independent newspaper of London, a post he held for eight years.