Veröffentlicht 30. Juni 2015 von Harald Martenstein
Harald Martenstein unter Nobelpreisträgern: „Das Internet ist nur ein Zwischenschritt“
Der Kongresstag in Lindau beginnt leider um 7 Uhr, Arbeitsfrühstück mit Diskussion zum Thema „Wissenschaft und Ethik“. Einer der Stargäste ist der in Luxemburg geborene Medizin-Nobelpreisträger Jules Hoffmann. Den Preis musste er sich 2011 teilen, weil ein Kollege zeitgleich das Gleiche herausgefunden hat wie er. Es handelte sich, vereinfacht gesagt, um die Entschlüsselung etlicher Geheimnisse des menschlichen Immunsystems.
Wissenschaft und Ethik – zu diesem Thema fallen einigen Nachwuchsforschern vor allem ihre Berufsprobleme ein, Verträge mit kurzer Laufzeit, hoher Publikationsdruck, so etwas. Die Wissenschaft ist eine in sich geschlossene Welt, in der alle Englisch reden und alle ähnlich ticken, von der Außenwelt muss man nicht unbedingt viel mitkriegen. Die daueraufgeregten Medien und die ahnungslosen Laien da draußen werden, so mein Eindruck, vor allem als Nervensägen wahrgenommen. Diese Haltung ist verständlich, aber nicht ungefährlich. Wichtig ist die Stimmung da draußen schon.
Die Impfverweigerer machen jemanden wie Hoffmann einfach nur fassungslos. Er rechnet vor, dass durch Impfungen bisher 1,5 Millionen Menschenleben gerettet wurden. Durch genetisch veränderte Lebensmittel ist noch nie ein einziger Mensch zu Schaden gekommen, und man könnte durch Genfood so viele vorm Hungertod retten – in Hoffmanns Gesicht stehen die Sätze geschrieben: Was sind das für schwachsinnige Debatten? Spinnen die da draußen?
Aussprechen würde er das vermutlich nie. Hier, in der akademischen Welt, bleibt man höflich und gefasst.
Ich bin auf Hoffmanns Seite. Aber die Themen, die in der Zeitung stehen und über die sich die Aufregungsaktivisten aufregen, Genfood zum Beispiel, sind sowieso die Erfindungen von gestern. Eher nebenbei taucht in der Debatte die Information auf, dass es bald möglich sein wird, Gedanken zu lesen. Hier, drinnen, in der Welt der Experten, scheint das jedem klar zu sein, es wird kommen, garantiert. Du liest Gedanken, vielleicht so, wie du heute fernsiehst oder wie der Geheimdienst deine Emails checkt. Es wird nicht in zwei Jahren so weit sein, aber wer heute dreißig ist, wird es wohl erleben. „Für Diktaturen“, sagt jemand, „bietet das unglaubliche Möglichkeiten.“
Was wir heute können, sagt Hoffmann, ist gar nichts, verglichen mit dem, was in 50 Jahren sein wird. Die Veränderungen kommen immer schneller, kein Vergleich mit dem gemächlichen Tempo der Wissenschaft in den 50 Jahren, die hinter uns liegen. Und wir, die Laien, haben keine Ahnung von dem, was kommt. Gedankenlesen! Das Internet ist so was von 80er Jahre, das Internet ist nur ein Zwischenschritt.
Was bedeutet Gedankenlesen eigentlich für die Zukunft der Printmedien? Wie kriegt man die Botschaft der Werbekunden in die Gehirne hinein, was bedeutet es, wenn es neben der Onlineredaktion auch noch eine Gedankenredaktion gibt? Ich will gar nicht darüber nachdenken – obwohl, noch könnte ich es unbemerkt tun.
Aber es kommt noch härter.
Am Mittag gibt es eine Pressekonferenz, unter anderem mit den Nobelpreisträgern Elizabeth Blackburn, Michael Bishop, der wie die Wiedergeburt von Sigmund Freud aussieht, und Sir Richard Roberts. Thema sind die künftigen Möglichkeiten, an den menschlichen Genen Reparatur- und Verschönerungsarbeiten durchzuführen. Dazu gibt es jede Menge ethischer Grundsatzdebatten. Darf an Embryos experimentiert werden, bis zu welchem Alter des Embryos? Alles steht noch ziemlich am Anfang, im Moment geht es erst mal um einfache Korrekturen, um „monogenetic deseases“, zu deren Heilung nur ein einziges Gen ausgetauscht werden muss.
„Das schlechte Gen gegen ein gutes Gen austauschen“, so nennen sie es. Embryos mit Downsyndrom können in nicht ferner Zukunft im Mutterleib repariert werden, das zeichnet sich ab.
Die Forscher sind sich einig darüber, dass diese Methode nur zur Behandlung von Krankheiten oder zur Korrektur von Behinderungen eingesetzt werden sollte, nicht zur Optimierung des Menschen, nicht zur Züchtung von Designerbabys. Sie denken eisern immer nur an den nächsten Schritt auf ihrer Forscherleiter, das fällt auf. Und sie sehen meistens nur das Positive, so, wie die dauerempörten Fortschrittskritiker immer nur das Negative sehen. Blackburn sagt, zum Thema Zukunftsgefahren: „Es kann ja auch jederzeit ein Mensch einen anderen Menschen ermorden. Das muss man eben verhindern.“
Na ja, immer klappt es nicht.
Sehr unangenehm ist die Tatsache, dass die Chinesen sich mit großer Energie auf das Forschungsziel „gentechnische Menschenoptimierung“ gestürzt haben. In China passiert unheimlich viel, aber man weiß nicht genau, was. Die internationalen Fachkonferenzen scheinen die Chinesen zu meiden, seltsam, oder? Man müsse die Chinesen einladen, sagt Roberts, man muss unbedingt mit den Chinesen reden. Und dann erwähnt Bishop, eher nebenbei, dass zu den möglichen Gefahren der Zukunft der Bioroboter gehört, das wäre dann wohl ein künstlicher, steuerbarer Mensch mit Superkräften oder Superintelligenz oder beidem, mit anderen Worten, eine Art Terminator, wie Arnold Schwarzenegger ihn gespielt hat.
Das sind keine Utopien mehr. Das werden die heute Dreißigjährigen vielleicht erleben. Und man wird die Forschung nicht stoppen können, allein schon wegen der Chinesen geht es nicht. Als ich die Pressekonferenz verlasse, denke ich: „Der Terminator soll, wenn er denn kommt, wenigstens kein Chinese sein. Der Terminator soll, wenn er denn kommt, ein Typ sein wie Arnold Schwarzenegger. Das ist noch das Beste, was die Menschheit kriegen kann.“