Published 4 August 2016 by Stephanie Hanel
Das Manhattan-Projekt – Leben in Los Alamos
Dieser Ort steht für die Geburt der Atombombe: Los Alamos. Hier fand das sogenannte Manhattan-Projekt statt, auf einem Hochplateau in New Mexiko auf 2.500 Meter Höhe. In das Manhattan-Projekt waren 100.000 bis 150.000 Menschen unter höchster Geheimhaltung vor Ort oder in anderen Produktionsstätten im Land involviert. Denkbar ist so etwas wohl nur in einer Kriegssituation: Einen Großteil der naturwissenschaftlichen Intelligenz mitsamt Familien in einem Militärlager arbeiten und leben zu lassen.
Sie lebten unter neuem Namen, benötigten für alles, was sie brauchten, die Zustimmung des Militärs, und durften ihren Frauen und Kindern nicht sagen, woran sie arbeiteten. Mit der Außenwelt konnten sie nur über zensierte Briefe kommunizieren, Besuche bei der Verwandtschaft wurden nur in besonderen Fällen genehmigt, und auch da hieß es eisern schweigen zu allem, was das eigene Leben betraf. Über Jahre hinweg. Doch es gab auch die Normalität im Ausnahmezustand. Natürlich musste auch hier Wäsche gewaschen, Essen eingekauft und Kinder versorgt werden.
Roy Glauber, der als 18-Jähriger für das Projekt rekrutiert wurde, schildert in seiner Lecture bei den 66. Lindauer Nobelpreisträgertagungen eindrucksvoll seine Ahnungslosigkeit angesichts eines überraschenden Besuches: Ein Herr in schwarzem Anzug, der unter vier Augen mit ihm an der Universität sprechen wollte und dann auch nur soviel verriet, als dass er eine spannende Tätigkeit für ihn hätte. Durch seine Beschreibung wird die damalige Situation an den Universitäten deutlich: Die Professoren hielten letzte Kurse ab. Alle jungen Männer mussten Personalbögen mit ihren Qualifikationen ausfüllen. Für einen jungen Mann wie Glauber schien es gar nicht in Frage zu kommen, dieses ‚Angebot’ abzulehnen und es lockte das Abenteuer.
Geradezu gespenstisch ist die Schilderung von Wissenschaftler-Ehefrauen: Unerwarteter Besuch wollte den Mann sprechen, verschwand mit ihm hinter verschlossener Tür, danach hieß es Koffer packen und für eine unbestimmte Zeit an einen unbestimmten Ort fahren.
Der Ort, an dem die langwierige Reise endete, war ursprünglich das Gelände einer High School für Jungen, die wegen einer Tuberkulose-Erkrankung die Höhenluft brauchten. Das Hauptgebäude wurde in die sogenannte Tech Area umfunktioniert, die nur die experimentellen Wissenschaftler/innen und andere autorisierte Personen betreten durften und an deren Pforte jede/r Einzelne kontrolliert wurde. Theoretische Wissenschaftler wie Roy Glauber arbeiteten in separaten Gebäuden. Alles, was zum Leben gebraucht wurde, befand sich direkt auf dem Gelände: ein Gemischtwarenladen, eine Poststelle, ein Krankenhaus und eine Schule. Die Wohngebäude entstanden oft erst, nachdem die Familien bereits angekommen waren, es gab improvisierte Notunterkünfte oder Campieren in einem Mehrzweckraum. Wenn es regnete, versank alles im Schlamm, während der Hitzeperioden kam es oft zu Buschbränden. Rauchsäulen am Horizont gehörten damals genauso zum Alltag wie Detonationen, zu denen man keine Fragen stellen durfte.
Geselliges Beisammensein spielte sich überwiegend in den privaten Häusern ab, mit wechselnden Gastgeberinnen. Das enge Zusammenleben führte zunächst zu einer Art pragmatischer Notgemeinschaft, später auch zu Freundschaften und schweißte die abgeschlossene Gemeinschaft zusammen. Victor Weisskopf, einer der beiden Leiter der Theoretischen Abteilung, schrieb später: “Viele der tiefen Freundschaften, die wir in Los Alamos schlossen, bestehen heute noch.”*
Roy Glauber wiederum verweist amüsiert darauf, dass das Militärhospital in Los Alamos wohl die höchste Geburtenrate aller damaligen Militärkrankenhäuser zu verzeichnen gehabt hatte. Es waren alles junge Leute, die nach Los Alamos gekommen waren, erklärt er. Mit Ausnahme der wenigen Wissenschaftlerinnen, die direkt an der Forschung mitwirkten, gab es für die Frauen im Lager neben der Familienmutter-Aufgabe Jobs als Telefonistinnen, Bibliothekarinnen, Kalkulatorinnen, Laborantinnen und Lehrerinnen.
In Los Alamos prallten zwei Welten aufeinander: Die militärische meldete sich mit ihrem Appell um 6 Uhr morgens zu Wort, fühlte sich aber eigentlich sinnlos abgestellt. Und die wissenschaftliche Welt kam mit der militärischen Bevormundung nicht zurecht. Die Atmosphäre war insgesamt geprägt von bruchstückhaftem Wissen und Ahnungen. Zwar wussten alle, dass es um eine militärische Entwicklung ging, aber wenige hatten eine Vorstellung von der Dimension dessen, woran tatsächlich geforscht wurde.
Zu Anfang sah es allerdings ganz so aus, als ob das Vorhaben nie gelingen könnte und Einigen wäre das wohl auch lieber gewesen. Irgendwann aber hatte das Projekt alle Beteiligten in seinen Bann gezogen und das gemeinsame Arbeiten mit den vielen herausragenden Köpfen der eigenen Disziplin überwog die anfänglichen Zweifel. “Dennoch vermochten wir die bohrende Frage nicht abzuschütteln, ob es denn moralisch vertretbar sei, eine Waffe von solch gigantischer Zerstörungskraft einzusetzen”*, erinnert sich Weisskopf und berichtet auch, dass es eine Gruppe von Wissenschaftlern unter Leó Szilárd und James Franck gab, die dem Kriegsminister schriftlich dringend davon abriet, die Bombe über bewohntem Gebiet zu zünden. Bekanntlich ohne Erfolg.
Nach Kriegsende löste sich die Gemeinschaft auf, einige Wissenschaftler blieben, die meisten gingen zurück in die zivile Forschung. Die Anlage besteht bis heute, hat um die 6.000 Mitarbeiter/innen und verfügt über eines der größten Institute für theoretische Forschung der Welt. Sie dient aber immer noch der Erhaltung des Nuklearwaffenarsenals der USA.
* aus: Victor Weisskopf, Mein Leben, Scherz Verlag 1991
Buchtipp: Tarashea Nesbit, Was wir nicht wussten, DuMont Buchverlag 2014