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Veröffentlicht 14. Juli 2010

Ursprung des Lebens: Die Rolle der Membran

Es ist vielleicht ein guter Moment, noch einmal auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens zurückzukommen. Ich hatte auf der Bodensee-Fahrt vom Freitag die Gelegenheit, ein paar Worte mit Professor Jack Szostak zu wechseln, und habe erfreut festgestellt, dass er einige Dinge ähnlich sieht wie ich. Am meisten Probleme habe ich mit der verbreiteten Vorstellung von der ersten Protozelle, die auch Szostak in seinem Lindau-Vortrag wieder einmal bemüht hat: Eine Membranblase mit einem wassergefüllten Hohlraum im Innern, in dem sich mehr oder weniger einfache Moleküle zu selbstreplizierenden Ketten zusammen lagern.

Die Membran ist in diesem Bild kaum mehr als ein kleines Schutzbläschen, während die ganze interessante Chemie im Innenraum geschieht. Und das leuchtet mir nicht ein. Hand aufs Herz: Welche spannenden chemischen Reaktionen laufen schon in verdünnter wässriger Lösung ab? Zumal die Bildung eines langkettigen Replikators aus den Monomeren entweder eine klassische Kondensationsreaktion ist oder eben eine Reaktion aktivierter Partner – in beiden Fällen ist die konkurrierende Hydrolyse unerwünscht.

Direkt nebenan allerdings gibt es einen Bereich, in dem haufenweise interessante organische Moleküle auf engstem Raum versammelt sind, nämlich die Membran selbst. Ihr hydrophobes Inneres stößt Wasser und geladene Teilchen ab, während sich organische Moleküle in der öligen Zwischenschicht sammeln und sich dort frei bewegen können – Membranen verhalten sich wie zweidimensionale Flüssigkeiten.

Das führt zu einer nahe liegenden Schlussfolgerung: Das Innere der ersten Zellen war leer – die Musik spielte in der dünnen Wand außen herum. Auch für moderne Zellen ist die Membran mehr als nur eine Barriere zwischen innen und außen. Viele entscheidende Komponenten insbesondere des Energiestoffwechsels sind membrangebunden, siehe die Energieerzeugung in Mitochondrien oder an den Chloroplastenmembranen.

Selbst die einfachsten Vorläufer dieser Mechanismen setzen ein recht komplexes Molekülgemisch in den ersten Proto-Membranen voraus, damit geeignete Komponenten für derartige und andere Systeme zumindest eine minimale Wahrscheinlichkeit haben, zusammenzutreffen. Sicher, das ölige Innere der Membran zieht alle Arten von Kohlenwasserstoffen an, aber wo kommen die her?


Vesikel aus dem Extrakt
des Murchison-Meteoriten.
Unten: Mit eingekapselten
Nucleinsäuren. Quelle.

Hier hilft ein Blick in den Weltraum. Dort fliegt in Form von Asteroiden Material herum, das sich während der Frühzeit des Sonnensystems kaum verändert hat, und hier finden wir gigantische Mengen organischer Materialien, auch für Membranen. Extrakte des 1969 in Australien niedergegangenen Murchison-Meteoriten bilden spontan Mizellen aus kurzkettigen Fettsäuren. Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe haben Astronomen sogar in interstellaren Staubwolken nachweisen können.

Letztere sind insofern interessant, dass sie zum Beispiel durch energiereiche Strahlung angeregt werden und zu anderen Molekülen weiterreagieren oder gar andere Stoffe oxidieren. Das Ergebnis wären zum Beispiel diverse Alkohole oder Carbonsäuren, von denen viele ein wasserlösliches und ein unpolares Ende haben werden – Baumaterial für die Membran. Enthält das Vesikel Moleküle, die solche Reaktionen antreiben, kann sie wachsen – indem sie Vorläufermoleküle aus der Umgebung "frisst" und in ihrem Innern zu neuen Membranmolekülen umsetzt.

Die Idee von der aus eigener Kraft wachsenden Membran hat Szostak selbst in seinem Vortrag sogar noch ein Stückchen weiter gedreht. Er schlägt eine Art Ostwald-Reifung der frühen Membranen vor: Sobald eines dieser Membranbläschen eine Reaktion hervorgebracht hat, dessen Produkte zu einer stabileren Membran führen, zieht dieses Bläschen über das dynamische Gleichgewicht zwischen gelösten und gebundenen Molekülen Membranbausteine von anderen Bläschen ab – und löst einen Rüstungswettlauf aus, bei dem nur die stärksten Membranen überleben.

Sobald in einer Membran jedenfalls wilde Chemie mit Kohlenwasserstoffen geschieht, ist eigentlich alles möglich. Unter anderem auch, dass Kohlenwasserstoffe immer weiter oxidiert werden, bis sie so viele polare Gruppen haben, dass sie es in der Membran nicht mehr aushalten und sie verlassen. Und nun endlich haben wir einen Mechanismus, mit dem interessante Moleküle im Inneren der Membranblase immer weiter angereichert werden, bis auch dort etwas passiert. Und sei es die Entstehung eines Replikators.