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Veröffentlicht 25. Juni 2015 von Florian Faehling

Tierversuche: Lasst uns reden!

Tübingen – ein beschauliches Städtchen im Süden Deutschlands. Hier ereigneten sich im Dezember 2014 ungewohnte Szenen: Demonstranten zogen durch die Straßen, in ihren Händen Bildern von blutigen, traurig schauenden Affen[i]. Ihr Ziel war das Max Planck Institut (MPI) für biologische Kybernetik, an dem die Arbeitsgruppe von Prof. Nikos Logothetis Grundlagenforschung zur Physiologie kognitiver Prozesse betreibt und hierzu Experimente an Primaten nutzt. Aktivisten hatten ein „Enthüllungsvideo“ veröffentlicht, das Tiermisshandlungen zeigen sollte und prangerten Missstände des Labors an. Ein unabhängiges Gutachten kam zwar zu dem Ergebnis, dass die Vorwürfe nicht berechtigt seien[ii], der Protest allerdings ging weiter und nahm, neben sachlichen Diskussionen, unzumutbare Formen an. Die betroffenen Forscher erhielten Morddrohungen, ihre Kinder wurden in der Schule beleidigt und bedrängt.[iii] Der Druck wuchs so sehr, dass sich Prof. Logothetis schließlich zur Aufgabe seiner Forschung an Primaten entschloss.

Die Proteste in der schwäbischen Studentenstadt sind nur das jüngste Beispiel einer langen Geschichte von Protesten gegen tierexperimentelle Forschung[iv]. Laut einer Umfrage des Fachmagazins nature haben 25% von knapp 1000 befragten Wissenschaftlern negative Erfahrungen mit Protesten gegen ihre Arbeit gemacht. In den meisten Fällen blieben diese friedlich, allerdings nicht immer[v]. So wurde im Februar 2008 der Ehemann einer Biologin aus Kalifornien vor seiner Wohnungstür angegriffen, im selben Monat wurde ein biomedizinisches Forschungsinstitut in Belgien in Brand gesteckt. In Deutschland kann insbesondere der Neurowissenschaftler Andreas Kreiter davon leidvolle Geschichten erzählen. Nachdem er 1996 einem Ruf an die Universität Bremen folgte, kam es zu massiven Protesten. Seine Familie lebte teilweise unter Polizeischutz, sein Labor wurde verwüstet und es gab Morddrohungen gegen ihn, seine Frau und sein vierjähriges Kind[vi].

Der aktuelle Fall aus Tübingen zeigt leider, dass es noch immer großen Nachholbedarf in der Kommunikation von Wissenschaftlern untereinander und mit der Öffentlichkeit gibt. Als Hauptgrund für die Aufgabe seiner Forschung nannte der Tübinger Neurowissenschaftler nämlich mangelnde Unterstützung durch die Wissenschaftsgemeinde und Öffentlichkeit[vii]. Warum gab es diese nicht? Eine lokale Zeitung brachte es auf den Punkt: Selbst Forscher aus benachbarten Instituten wussten nicht genau, was im Max Planck Institut geforscht wurde[viii] – geschweige denn andere Universitätsangehörige, oder Bürger der Stadt. Viele dachten daher wohl: „Die Tierschützer werden schon Recht haben, wenn sie demonstrieren.“

 

Foto: Daniel Müller (CC BY-NC-ND 2.0)
Foto: Daniel Müller (CC BY-NC-ND 2.0)

Erste Erkenntnis: Wir müssen Forschung besser kommunizieren, sowohl untereinander als auch öffentlich.

Das Schweigen der wissenschaftlichen Gemeinschaft hatte dramatische Folgen. Die Vorwürfe der Tieraktivisten wurden dadurch in der öffentlichen Wahrnehmung einseitig, ohne eine Gegendarstellung der Forscher aufgenommen. Das Hauptargument: Grundlagenforschung sei per se unnütz und Tiere würden gequält nur „um des Tiere-Quälens willen“[ix].

Das sind harte Vorwürfe, die in der scientific community natürlich anders gesehen werden. 90% der von nature befragten Forscher gaben an, Tierversuche für essentiell zu halten[x]. Denn Grundlagenforschung ist das Fundament der modernen Wissenschaft und bedeutet in vielen Fällen auch Experimente an Tieren. So ist es auch nicht verwunderlich, dass 91 von 105 Nobelpreise in Physiologie und Medizin an Forscher vergeben wurde, die mit Tieren forschten[xi]. Versuche an Tieren sind kein Selbstzweck, sondern geschehen in dem Wissen, dass mit den gewonnenen Erkenntnissen letztlich Menschenleben gerettet werden können. Die geltende Gesetzgebung (z.B. das deutsche Tierschutzgesetz) stellt sicher, dass nur dort Versuche mit Tieren durchgeführt werden, wo es keine Alternativen gibt und der Nutzen erkennbar ist. Dies erklärten erst kürzlich sechzehn Nobelpreisträger in einem offenen Brief an das europäische Parlament[xii].

Aber es reicht eben nicht aus, auf die Relevanz der Forschung zu pochen, sie muss besser erklärt werden! Denn für Außenstehende ist es oft nicht auf den ersten Blick einzusehen, warum Grundlagenforschung wie die Primatenexperimente von Prof. Logothetis notwendig ist. Dass hiermit die Basis für ein völlig neues Verständnis des Gehirns gelegt wird und damit vielleicht auch die Möglichkeit zur Behandlung bisher unverstandener Krankheiten wie Alzheimer oder Multipler Sklerose, mag für einen Forscher einleuchten. Es bedarf aber einiger Transferleistung dies einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Hier sind wir Forscher noch stärker gefordert, komplexe Zusammenhänge verständlich darzustellen.

 

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Foto: Garrett Ziegler (CC BY-NC-ND 2.0)

Zweite Erkenntnis: Die Wissenschaft muss so kommunizieren, dass sie Menschen erreicht.

In unserer schnelllebigen und von Bildern geprägten Medienwelt ist es nun leider auch mit der reinen Erklärung nicht immer getan. Denn der aktuelle Fall zeigt: Ein dramatisch inszeniertes, emotional anrührendes Video wirkt mehr als jede noch so stichhaltige Argumentation. Die Arbeitsgruppe um Prof. Logothetis stellt nämlich schon seit 2009 detaillierte Informationen zur Haltung der Tiere und Nutzen der Forschung zur Verfügung und wirbt für Transparenz und Dialog[xiii]. Im Internet finden sich darüber hinaus viele ausführliche Erklärungen aller großen Wissenschaftsorganisationen[xiv]. Diese Informationen erreichten jedoch kaum die breitere Öffentlichkeit und die Proteste gingen unvermindert weiter. Das zeigt: Wissenschaft muss lernen, effektiver zu kommunizieren. Die Basler Deklaration, ein Aufruf von Wissenschaftlern für mehr Transparenz und Kommunikation bei Tierversuchen, fordert unter anderem genau das[xv]. In dieser Hinsicht tut sich auch in Deutschland aktuell viel. Erst kürzlich gründete sich eine Initiative junger deutscher Forscher, die über Tierversuche aufklären möchte und der Bevölkerung differenzierte Informationen zur Verfügung stellt[xvi].

Bei aller Information bleiben die ethischen Fragen natürlich bestehen: Wie weit soll und darf Wissenschaft gehen? Wann und in welchem Umfang sind Tierversuche legitim? Dies ist eine gesamtgesellschaftliche Debatte, die Kern des demokratischen Dialoges ist. Auch beim Nobel Laureate Meeting in Lindau wird sie jedes Jahr geführt. Selbstverständlich sind auch die Argumente von Tierschützern sehr wichtig. Sie haben in der Vergangenheit mit dazu geführt, dass die Regeln für Versuche und der Umgang mit Tieren stetig verbessert wurden.

Wir Wissenschaftler haben eine Verpflichtung, der Gesellschaft aber auch unserer Forschung gegenüber, in der Debatte noch aktiver und hörbarer teilzunehmen und zu erklären, woran wir forschen. Durch bessere Informationen können Vorurteile abgebaut werden und vielleicht wird auch ein konstruktiver Dialog möglich. Sehr zu hoffen ist, dass unannehmbare Anfeindungen wie in Tübingen der Vergangenheit angehören.

 

[i] http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-SoKo-mobilisiert-800-Leute-zur-Demo-gegen-Tierversuche-mit-Video-_arid,285061.html

[ii] http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-Stefan-Treue-zur-Situation-der-Versuchstiere-am-Max-Planck-Institut-_arid,273454.html

[iii]http://www.faz.net/aktuell/wissen/tierversuche-ein-hirn-am-pranger-13366625.html

[iv] http://www.nature.com/news/animal-rights-activists-ramp-up-campaigns-in-europe-1.16637

[v] http://www.nature.com/news/2011/110223/full/470452a.html

[vi] http://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2012-12/Affenversuche-Bremen-Urteil/

[vii] http://news.sciencemag.org/europe/2015/05/embattled-max-planck-neuroscientist-quits-primate-research

[viii] http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-Rueckendeckung-fuer-Max-Planck-Forscher-_arid,294055.html

[ix] http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/tuebingen_artikel,-SoKo-mobilisiert-800-Leute-zur-Demo-gegen-Tierversuche-mit-Video-_arid,285061.html

[x] http://www.nature.com/news/2011/110223/full/470452a.html

[xi] http://www.animalresearch.info/en/medical-advances/nobel-prizes/

[xii] http://www.faz.net/aktuell/wissen/offener-brief-von-nobelpreistraegern-fuer-tierexperimente-13578115.html

[xiii] http://hirnforschung.kyb.mpg.de/

[xiv] http://www.dfg.de/download/pdf/dfg_im_profil/geschaeftsstelle/publikationen/dfg_tierversuche_0300304.pdf

[xv] http://de.wikipedia.org/wiki/Basler_Deklaration

[xvi] https://protestdeutschland.wordpress.com/

Florian Faehling

Florian Faehling, Lindau Alumnus 2015, completed a B.Sc. in Psychology and is currently pursuing his MD at Tuebingen University, Germany. As researching student at the University Clinic of Psychiatry, he is interested in the neurophysiological correlates of brain stimulation techniques. Whenever not studying, he is a passionate long distance runner and co-founder of Daidalos Runners. This social sports network connects sportive scholars and organizes interdisciplinary events, bringing together sports and science: http://www.daidalosrunners.com