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Published 30 June 2011 by Beatrice Lugger

Rythm of Science – Master Class mit Roger Tsien

Eine  ‚Master Class’ bezeichnet im eigentlichen Sinne eine öffentliche Unterrichtsstunde, gehalten von einem herausragenden  Musiker, der einzelnen fortgeschrittenen Schülern den letzten Schliff mit auf den Weg gibt. Nun ist Roger Y. Tsien kein Musiker, sondern Zellbiologe, aber er brachte sowohl die Vortragenden als auch die Zuhörer in beschwingte Stimmung. Der Rhythm of Science hat den Saal erfasst.

Die fünf jungen Wissenschaftler, die sich trauen, ihre eigene Forschung in einer Master Class mit Roger Y. Tsien zur Diskussion zu stellen, werden reichlich belohnt. Jeder von ihnen bekommt rund 10 Minuten Zeit, seine Arbeit zu präsentieren und vor allem auszuführen, welches wissenschaftliche Problem sie untersuchen, welche Details sie lösen wollen und woran sie eventuell bislang scheitern. Die Knackpunkte greift anschließend der Meister auf und sucht für und mit den jeweiligen ‘Konzertanten’ Ansatzpunkte und Lösungswege.

Nun sind die Arbeiten der jungen Wissenschaftler sehr unterschiedlich und ausführliche Darstellungen würden hier zu weit führen, aber ein paar Einblicke lohnen durchaus.

Tom Baden, vom Center for Integrative Neurosciences in Tübingen, untersucht mit optischen Methoden die Aktivität in der Retina und möchte die gesamte Signalübertragung vom Auge auf die Retina erfassen. Vereinfacht: Wie gelangen die Bilder, die wir sehen, vom Auge ins Gehirn? In der Netzhaut gibt es 20 verschiedene Nervenzelltypen und sie wollen die Signalübertragung für jeden Zelltyp erfassen, um damit zu eroieren, welcher Zelltyp auf welche Signale in welcher Form reagiert. Dafür kommen Calcium- oder Spannungsmessungen in Frage, doch beide Methoden haben Tücken und Lücken.

Tom Baden Folie

© Tom Baden

Zu Tom Baden leitet Roger Tsien ein: “Dies ist ein technisches Problem.” Die elektrophysiologischen Spannungsmessungen ließen stets die Frage offen, wo genau etwas geschehen ist und die Kalziummessungen könnten nicht aussagen, wann. Tsien versuche selbst seit 39 Jahren solche Signalübertragungen zu messen. Er arbeitet wirklich bis heute daran. Denn schließlich verrät Tsien eine neu ersonnene Messmethode, mit der sie in seinem Labor derartige Messungen verbessern wollen. Diese Methoden sind noch nicht publiziert, aber Tsien verrät sie Baden, weil sie ihm sicher helfen könnten. Mit so viel offenem Austausch hatte hier wohl niemand gerechnet!

Meisterliche Wertschätzung

Munter geht es weiter mit Tobias Brügmann vom Institute of Physiology am Life & Brain Center der Universität  Bonn, der Herzkreislauferkrankungen mit Optogenetischen Methoden untersuchen will. Er kann dank gezielter Veränderungen Herzzellen in der Taktung blauer Lichtpulse schlagen lassen – sowohl in vitro (im Reagenzglas) als auch in vivo (im lebenden Organismus).

Tobias Brügeman 1

© Tobias Brügmann 

 

Im Folgenden schildert Brügmann zentrale Probleme.

 

Tobis Brügmann 2

© Tobias Brügmann

Roger Tsien gibt sich als in diesem Gebiet nicht mehr ganz so beheimatet, wie im vorherigen und verweist zunächst auf eine spezielle Veröffentlichung, die er gefunden hat, die eine mögliche Lösung der Probleme von Brügmann beschreibt. Brügmann erwidert, er kenne diese Arbeit, aber sie käme für seine Arbeitsgruppe nicht in Frage, weil dort mit viel zu hohen Konzentrationen gearbeitet werde. Tsien wischt sofort seine eigene Idee beiseite und sagt: “Ohja. Sie haben Recht. Sie haben also erkannt, dass dies kein Weg ist.” Ein Meister der auch seinen Schüler einen Meister sein lässt – großartig! Schließlich entwickeln Tsien und Brügmann gemeinsam mit dem Publikum noch einige sehr gute Ansätze, die Brügmann vielleicht realisieren kann. Tsiens Ratschlag am Ende: „Machen sie hier weiter und suchen sie nach Lösungen oder versuchen sie es auf einem ganz anderen Weg.”

Nun ist Natasha Behrendorff von der School of Biomedical Sciences der University of Queensland, Australien, an der Reihe, die trotz offenkundiger Erkältung und fast fehlender Stimme ihre Arbeit präsentiert. Wann hat man schon die Chance, in einem solchen Format mit einem Laureaten zu diskutieren.

Natascha Behrendorf

© Natascha Behrendorf

Die abschließenden beiden Präsentationen folgen von Yang Liu, Studentin an der Fudan University in China, dies sich mit dem Zelltod bei neurodegenerativen Erkrankungen befasst, und Dongdong Sun von der Fourth Military Medical University in China, die optische Methoden zur Untersuchung von Herzkreislauferkrankungen erforscht.

Dongdong Sun

© Dongdong Sun

Auch für diese Beiden hatte Tsien Literatur gewälzt und sich den Kopf zerbrochen. Er hat die jeweiligen Forschungssysteme (welche Zellen, welche Methoden, welche Wellenlängen, welche Frequenzen etc.) genau analysiert und gibt seinen Ratschlag, hinterfragt und mehr. Dabei ‘tanzt’ er angeregt auf der Bühne.

Nach gut eineinhalb Stunden intensiver Diskussionen ist die Masterclass schließlich zu Ende. Die fünf jungen Forscher und sicher auch einige mehr im Saal nehmen eine Menge neuer Ideen mit in ihre Labore – und ich verlasse beschwingt, wie nach einem guten Konzert den Saal. Die Master Class erweist sich als ein neues Format der Lindauer Nobelpreisträgertagungen, das unbedingt wiederholt werden sollte!


Herzlichen Dank an die Forscher, die mir Auszüge aus ihren Präsentationen zugesandt haben!

 

Beatrice Lugger

Beatrice Lugger is a science journalist and science social media specialist with a background as a chemist. She is Scientific Director of the National Institute for Science Communication, NaWik – nawik.de. @BLugger is her twitter handle, Quantensprung her own blog.