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Veröffentlicht 29. Juni 2010 von Markus Pössel

Robert Wilson über das Echo des Urknalls

Wenn Wissenschaftler allgemein verständliche Vorträge halten, haben sie die Angewohnheit, Entdeckungsgeschichten zu vereinfachen und zu stilisieren. Das bekannteste Beispiel dürfte Newton sein, dem der Apfel auf den Kopf fiel und, voilà: die Gravitationstheorie. Eine andere derartige Geschichte handelt von zwei Radioingenieuren, die eine besonders gute Radioantenne hatten. Doch als sie diese Antenne in Betrieb nahmen, war da ein ein Rauschen, das die beiden partout nicht loswurden. Später stellte sich heraus: Bei dem Rauschen handelt es sich um die kosmische Hintergrundstrahlung, eine Art "Radio-Echo" des Urknalls. Und schon hatten die beiden Ingenieure den Physik-Nobelpreis in der Tasche.

Die Geschichte hat einen wahren Kern. Die Hauptpersonen darin sind Robert Wilson und Arno Penzias, und Wilson hat gestern, am Montag, erzählt, wie es wirklich war — und das war, wen wird es überraschen, in vielerlei Hinsicht spannender als die stark vereinfachte Version. Hier ist Wilson bei seinem Vortrag in einem schön getäfelten Saal des Alten Rathauses in Lindau:

Wilsons Vortrag im Alten Rathaus, Lindau

Wilson und Penzias waren keine Radioingenieure (oder Radiotechniker, je nach Version), sondern kamen schon aus dem zuständigen Fachgebiet, nämlich aus der Radioastronomie. Wilson hatte für seine Doktorarbeit mit dem Owens Valley-Radiointerferometer die Milchstraße beobachtet, und war aus zwei Gründen in die Privatwirtschaft, nämlich zu Bell Labs (ursprünglich: Bell Telephone Laboratories) gewechselt: Zum einen, weil es dort eine sehr interessante Radioantenne gab. Zum anderen, und das dürften einige der "Young Researchers" im Publikum nachfühlen können: Wilson war sich gar nicht so sicher, ob er in der Forschung würde bleiben wollen. Und bei den Bell Labs gab es, falls es mit der Forschung nichts würde, noch viele andere interessante Arbeitsmöglichkeiten.

Kurz zur Antenne: Die hatte, als Penzias und Wilson dazukamen, schon Pionierarbeit geleistet. Sie hatte nämlich die am Echo 1-Satelliten, einem gigantischen Ballon aus Metallfolie und dem ersten (passiven) NASA-Kommunikationssatelliten, reflektierten Radiosignale aufgefangen. Hier ist die Antenne in ihrer ganzen Schönheit (Bild: NASA).

Die Holmdel-Hornantenne. Mit ihr wurde die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung entdeckt.

Keine Ingenieure, sondern Radioastronomen — und das bei einer Telekommunikationsfirma wie Bell Labs? Wilson meint, die offizielle Begründung für das Management sei wohl gewesen, dass sich Radioastronomen eben gut mit großen Antennen und dem störenden Einfluss der Erdatmosphäre auskennen — Wissen, das für die Telekommunikation höchst nützlich ist. Er denkt aber auch, dass da bei einigen Entscheidungsträgern auch Sympathien für die Grundlagenforschung eine Rolle gespielt hätten. Bell Labs war durch die Arbeit des (viel zu jung verstorbenen) Karl Jansky eine der Geburtsstätten der Radioastronomen gewesen, und fühlte sich dieser Disziplin wohl immer noch ein wenig verpflichtet.

Die Messungen, die Penzias und Wilson durchführen wollten, hatten denn auch gleich mehrfachen Nutzen, nämlich für Telekommunikation und Astronomie. Die Antenne hatte den Vorteil, dass sie einfach aufgebaut und sehr empfindlich war. Außerdem gab es in der Nähe einen Radiosender, den man direkt benutzen konnte, um das Empfangsverhalten der Antenne zu überprüfen. So sollte es möglich sein, nicht nur die relative Helligkeit von Radioquellen zu messen —  das konnten andere, größere Radioteleskope viel besser. Stattdessen wollten Wilson und Penzias eine absolute Messung vornehmen, nämlich die genaue Strahlungsleistung einer ganz bestimmten hellen Radioquelle namens Cassiopeia A nachmessen, dem Überrest einer Sternexplosion.

Durch Vergleich mit einem so genau vermessenen Referenzobjekt würden dann zum einen Radioingenieure die Empfindlichkeit ihrer Systeme nachprüfen können. Auch Astronomen könnten das Objekt als "Metermaß" für Helligkeit verwenden, kurz gesagt: Ist mein Objekt einen Bruchteil 1/n so hell wie Cassopeia A, und kenne ich die Helligkeit von Cassiopeia A aus den Messungen von Penzias und Wilson, dann weiß ich auch, wie hell mein Objekt ist.

Außerdem wollte Wilson mit den an dieser Antenne möglichen Messungen der Frage nachgehen, wieviel Radiostrahlung die äußeren Regionen ("Halo") unserer Heimatgalaxie aussenden und auf diese Weise nachträglich eine Frage klären, die er in seiner Doktorarbeit noch hatte offen lassen müssen.

Solche Messungen können aber nur funktionieren, wenn der Radioempfänger hochempfindlich und weitestmöglich frei von Störungen ist. Allein aufgrund ihrer Temperatur senden alle Objekte Strahlung aus — auch die Bauteile eines Strahlungsdetektors, und wenn die Temperatur zu hoch ist, und die Strahlung dementsprechend stark, werden die Messungen empfindlich gestört (Zimmertemperatur ist für bestimmte Anwendungen bereits tödlich!). Der Empfänger, den Penzias und Wilson zusammen mit den Bell-Ingenieuren fertigten, war mit flüssigem Helium gekühlt, auf nur rund 4 Grad über dem absoluten Nullpunkt, –269 Grad Celsius. Heutzutage steht die Empfangsanlage übrigens — wie haben die US-Wissenschaftsmuseen sich das entgehen lassen? — im Deutschen Museum in München:

Empfangsgerät der Holmdel-Antenne im Deutschen Museum, München

Der nun folgende Teil der Geschichte ist vergleichsweise bekannt: Wilson und Penzias hatten zunächst bei einer Frequenz gemessen, die ihnen einen Vergleichswert liefern sollte; bei dieser Frequenz erwarteten sie so gut wie keine natürliche Strahlung. Trotzdem war da ein Signal, ein Rauschen. Eine riesige Enttäuschung, denn das hieß ja, so dachten die beiden, dass da noch eine Störquelle sein müsse, die sie nicht beseitigt hätten. Und das konnten sie sich bei der Art von Messungen, die sie durchführen wollten, nun wirklich nicht leisten. Die Suche nach der Störquelle begann; bekannteste Gegenmaßnahme war, dass Wilson und Penzias ein in der Antenne nistendes Taubenpaar entfernten und anschließend auch deren — nun, Wilson nennt es in seinem Nobelpreis-Vortrag "ein weißes Material, dass allen Stadtbewohnern vertraut ist". Die Störstrahlung blieb fast unverändert.

Dass Wilson und Penzias doch noch herausfanden, was sie gemessen hatten, war einem Zufall zu verdanken — dem Umstand, dass Penzias aus anderen Gründen mit einem älteren Radioastronomen telefonierte, dabei auch seine Probleme schilderte, und zu hören bekam: "Dann ruf mal Bob Dicke in Princeton an!" Dicke und seine Gruppe (insbesondere der damalige Postdoc Jim Peebles, vielen Astronomiestudenten durch sein Lehrbuch Principles of Physical Cosmology bekannt) hatte gerade noch einmal (in Unkenntnis früherer Arbeiten einer Gruppe um George Gamow — ja, alles noch komplizierter, als ich hier schreibe…) theoretisch abgeleitet, dass bei einem Universum, das in einem heißen Urknall begann wie in den heute akzeptierten kosmologischen Modellen, in der Tat eine inzwischen sehr kühle Strahlung zu erwarten sei, die den ganzen Kosmos erfüllt — eben die kosmische Hintergrundstrahlung. Dicke & Co. hatten gerade mit Vorbereitungen begonnen, diese Strahlung auch zu messen, als der Anruf von Wilson und Penzias eintraf.

Kosmische Hintergrundstrahlung? Wilson erzählt, dass sie damals nicht so recht daran glaubten. Als sich alle Beteiligten darauf geeinigt hatten, zeitgleich zwei Artikel zu veröffentlichen — Penzias und Wilson zu ihren Messungen, Dicke und Mitarbeiter zum theoretischen Hintergrund — stellt der Wilson-Penzias-Artikel denn auch lediglich die Messergebnisse vor. Das Wort "Kosmologie" fällt nicht; der Artikel erhält lediglich den Hinweis, dass "eine mögliche Erklärung für die Messergebnisse in dem begleitenden Artikel von Dicke et al. in der gleichen Ausgabe dieser Zeitschrift" vorgestellt werde.

Der Rest ist Geschichte, auch wenn Wilson dann interessanter Weise noch eine ganze Reihe von möglichen Entwicklungen schilderte, bei denen er nie den Nobelpreis erhalten hätte: Wenn die früheren Bell-Ingenieure ihre Messungen ernster genommen hätten. Wenn irgendein Astronom erkannt hätte, dass eine bestimmte, zu jenem Zeitpunkt bereits in einem Lehrbuch veröffentlichte Messung, tatsächlich die kosmische Hintergrundstrahlung anzeigte.

Dann folgte noch ein Überblick über die moderneren Entwicklungen, auf die ich in anderem Zusammenhang noch in einem weiteren Blogbeitrag eingehen möchte. Hier ist zum Abschluss, und als Vorgeschmack auf diesen zukünftigen Blogbeitrag, ein Bild von Wilson, beleuchtet durch die winzigen Temperaturfluktuationen der Hintergrundstrahlung, die das Satellitenobservatorium WMAP gemessen hat:

Wilson mit aufprojizierten Fluktuationen der Hintergrundstrahlung

 

 

 

Markus Pössel