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Published 7 April 2016 by Stephanie Hanel

Neue Wundermaterialien – Vom Labor in den Alltag

Multiferroika – ferromagnetisch und ferroelektrisch

Bereits vor sechzehn Jahren entdeckte die Physikerin Nicola Spaldin eine völlig neue Materialklasse: Die Multiferroika. Heute sind sie selbst in wissenschaftlichen Kreisen kaum mehr bekannt als damals. Und das trotz ihrer unbestreitbaren Qualitäten.

Multiferroika sind kristalline chemische Verbindungen aus Metallen und Sauerstoff, die sowohl auf magnetische als auch auf elektrische Felder reagieren. Der besondere Nutzen dieser Materialeigenschaften liegt, so die Körber-Preisträgerin Nicola Spaldin, auf der Hand: “Elektronische Geräte enthalten heute meist zwei Arten von Materialien: magnetisches Material, das die Informationen speichert, und Halbleiter, welche die Informationen verarbeiten. Unsere Vision ist es, ein Material zu schaffen, das beides kann.” Multiferroika sind Metalloxidkristalle, die in der Natur so nur selten vorkommen, sie bestehen aus Sauerstoff und mindestens zwei Metallen wie Eisen und Bismut.

 

Nicola Spaldin
The multiferroic lady, wie Pionierin Nicola Spaldin in Fachkreisen gerne gennannt wird, Foto: Manfred Fiebig

Spaldins Herausforderung war es zunächst herauszufinden, wieso Multiferroika so selten sind und wie sie sich entwerfen und herstellen lassen. Nach einer ersten, für die Fachwelt spektakulären Veröffentlichung im Jahr 2000 zu den theoretischen Grundlagen, gelang es Spaldin im Jahr 2003 mit einer Forschungskooperation dünne Filme von Bismutferrit herzustellen. Dieser Durchbruch löste einen Forschungsboom aus.

Allerdings gibt es auf dem Weg zur industriellen Anwendung einen entscheidenden Haken: die Temperatur. Bisher funktionieren die Experimente nur bei extremer Kälte – das Ziel ist ein Werkstoff, der bei Raumtemperatur funktioniert.

 

Graphen und Co

Als Andre Geim und Konstantin Novoselov von der University of Manchester im Jahr 2004 Graphen erschufen, mangelte es nicht an euphorischen Aussagen zum neuen Wundermaterial.

Andre Geim und Konstantin Novoselov erhielten 2010 den Nobelpreis in Physik für„bahnbrechende Experimente zum zweidimensionalen Material Graphen“, einem Material aus wabenhaft verknüpften Kohlenstoffatomen. Dieses Material kann mit ganz außergewöhnlichen Eigenschaften aufwarten: Wegen seiner hohen elektrischen Leitfähigkeit scheint es perfekt geeignet für die Nanoelektronik, seine Zweidimensionalität prädestiniert es für die Herstellung von Transistoren, es ist lichtdurchlässig und hat eine sehr gute Wärmeleitfähigkeit , könnte als Sonde zum Aufspüren chemischer Substanzen dienen und gilt als stärkstes Material das bisher gemessen wurde – es widersteht Kräften, die etwa 200-mal der Bruchlast von Stahl entsprechen.

 

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Konstantin Novoselov, Foto: Peter Badge, LNLM

Kohlenstoff kommt in der Natur als Diamant und Graphit vor – die Entdeckung, dass elementarer Kohlenstoff auch in Form käfigartiger Moleküle vorkommt, war 1996 den Nobelpreis in Chemie an Robert Curl, Harald Kroto und Richard Smalley wert. Trotz der Entdeckung der sogenannten Fullerene galt es als ausgeschlossen, dass sich ein ebenes molekulares Maschennetz isolieren ließe, u.a. da man davon ausging, dass zweidimensionale Kristalle grundsätzlich instabil seien (Mermin-Wagner-Theorem).

Geim und Novoselov gelang es mit einem genial einfachen Trick, eine solche Graphit-Einzelschicht herzustellen, indem sie einen Klebestreifen auf pulverisiertes Graphit drückten, anschließend auf ein Substrat aufbrachten und diesen Vorgang so lange wiederholten, bis sich mehrere Monolagen auf dem Substrat befanden. Das Ergebnis war das bisher dünnste bekannte Material.

Doch schon bald stellte sich Ernüchterung ein – die Methode zur Gewinnung eignete sich nicht zur Fertigung in großem Stil. Und was hilft das schönste Material, wenn es sich nicht in ausreichendem Umfang und bester Qualität produzieren lässt? Während die einen Forschergruppen versuchten, die Fertigungsverfahren zu optimieren, gingen andere auf die Suche nach eventuell noch besser geeigneten 2D-Materialien. Nach dem Graphen kam das Silicen, das Phosporen und dann wurde es langsam stiller. Mittlerweile werden Stimmen laut, die aus der 2D-Struktur nun doch wieder 3D-Materialien machen wollen: „Anstatt mühsam eines herauszupicken und dieses als das beste zu bezeichnen, ist es vielleicht schlauer, sie zu kombinieren und auf diese Weise all ihre verschiedenen Vorteile zu nutzen“, meint Andras Kis, Forschungsgruppenleiter für Nanoelektronik an der Eidgenössischen Hochschule Lausanne. Das Gros der Forscher hat die 2D-Materialien allerdings längst nicht aufgegeben. Bei der Vielzahl an neuen Materialien mit herausragenden Eigenschaften und angesichts der unzähligen Forschungsteams weltweit, könne man zuversichtlich sein, solle aber keine allzu kurzfristigen Erfolgserwartungen haben.

 

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Pfote eines Geckos: Wissenschaftler sahen sich vom Gecko das Haftprinzip ab und entwickelten eine innovative Technologie daraus. Copyright Foto: iStock.com/olerosset

 

Polymere, Perlmutt und Geckos

Um tatsächlich praktische Anwendungen neuer Materialien zu sehen, muss man sich wohl ein Stück weit von der physikalischen Grundlagenforschung in großem Stil abwenden und seinen Blick den Polymeren und damit der Materialforschung in der Medizin zuwenden.

Da gibt es aus Biopolymeren gefertigte Fäden, mit denen man Wunden vernähen kann und die sich praktischerweise von selbst auflösen. Da sie in Bruchstücke zerfallen, die auch im menschlichen Körper vorkommen, kommt es nicht zu Abwehrreaktionen oder Entzündungen. Das Material ist zugleich reißfest und elastisch – lässt sich also gut verarbeiten und führt auch bei Belastung nicht zu eingerissenen Wundrändern. Die Jenaer Forscher denken bereits weiter: An resorbierbare Stents und an implantierbare Freisetzungssysteme von Arzneimitteln.

Ebenfalls an einem Leibniz-Institut, diesmal in Dresden, wurden ultradünne, biegsame Schichten entwickelt, die sich selbst zu Röhrchen aufrollen. Für das neuartige Material werden flexible Polymerschichten mit verschiedenen metallisch/magnetischen Dünnschichten verbunden. Aufgrund eines magnetischen Effekts können die neuen Röhrchen, die eine Länge von etwa einem Millimeter haben, als Mini-Magnetsensoren eingesetzt werden und haben gegenüber herkömmlichen Messmethoden von Gehirnströmen viele Vorteile, beispielsweise dass sie mobil in einem Großflächensensor eingesetzt werden könnten. Weitere Studien des Forscherteams ergaben, dass sich die Röhrchen auch als Wundverbände für defekte Nervenzellen eignen und als Mini-Antennen Auskunft über den Fortschritt der Wundheilung geben können.

Doch wie kommen die Forscher auf die neuen Materialien und ihre Einsatzgebiete? Sie sehen sich in der Natur um und versuchen natürliche Prinzipien in technische Lösungen zu übertragen. So hat sich beispielsweise ein Forschungsteam in Aachen von der Perlmuttschicht einer Muschel inspirieren lassen und eine reißfeste und schädliche Lufteinflüsse per Gasbarriere abweisende Folie entwickelt, die das starre Glas von Handys und Tablets ablösen könnte.

Und ein weiteres Team in Saarbrücken hat eine dem Gecko-Fuß und seinen unzähligen Härchen nachempfundene Polymerstruktur konstruiert, die sich das auf der Van-der-Waals-Kraft beruhende Haftprinzip zu Eigen macht. Mit Einsatz der bereits patentierten Gecomer-Technologie – eine Wortschöpfung aus Gecko und Polymer – lassen sich beispielsweise Greifarme mit Elementen bestücken, die mit sehr geringem Energieaufwand hochsensible Objekte bewegen können. Viele weitere Einsatzmöglichkeiten sind denkbar. Implantate, die leicht wieder entfernt werden könnten, wenn sie ihren Dienst getan haben, oder auch neuartige Pflaster sind schon im Gespräch.

Nachahmen durch Anschauung scheint immer noch eine sehr effektive Methode des Lernens und des Fortschritts zu sein. Materialien, die sich zusammensetzen lassen wie Lego-Bausteine und die Entwicklung im Nanometer-Bereich sind faszinierend, aber zugleich auch sehr abstrakt. Richtig spannend wird es wohl immer erst, wenn verschiedene Disziplinen ineinandergreifen und völlig neuartige Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft finden.

 

Stephanie Hanel

Stephanie Hanel is a journalist and author. Her enthusiasm for the people behind science grew out of her work as an online editor for AcademiaNet, an international portal that publishes profiles of excellent female scientists. She is an interested observer of new communication channels and narrative forms as well as a dedicated social media user and science slam fan.