Die Eröffnungszeremonie in Lindau endet jedes Jahr mit einer Diskussionsrunde, deren Thema dieses Jahr Global Health war. Die Debatte könnte ziemlich spannend sein, krankt aber traditionell an einem gewissen Zeitproblem: Wenn das Thema einmal ordentlich umrissen ist, ist es auch schon wieder vorbei. Wenn es gut läuft, und dieses Mal lief es ganz gut, kommt trotzdem die eine oder andere spannende Erkenntnis dabei rum.

Deswegen sitzt auch Bill Gates in dem Panel, stellvertretend für die millionenschweren, weit überwiegend aus den entwickelten Ländern stammenden Geberorganisationen der nicht-kommerziellen Seuchenbekämpfung – medizinische Forschung ist bekanntlich teuer. Deswegen erforschen gewinnorientierte Unternehmen – wie der Name schon sagt – nur das was Gewinne verspricht, also was reiche Leute in reichen Ländern interessiert. Es gibt zwar auch unfassbar viele kleine afrikanische Kinder, die an Malaria und dergleichen krepieren, die haben aber kein Geld.
Um nichts anderes geht es bei Global Health letztendlich: Sehr viel Geld für Krankheiten lockermachen, deren Bekämpfung sich nicht lohnt, in Ländern, für die sich nach normalen Maßstäben – die mit dem Euro-Zeichen drauf – keine Sau interessiert. Deswegen springen supranationale Institutionen und Stiftungen ein, finanzieren, koordinieren, implementieren. Und das ist ja auch schon der Knackpunkt bei der ganzen Problematik: Wem gibt man das Geld und wofür?
Die Empfänger sind unter anderem jene Wissenschaftler, die erforschen, was für kommerzielle Forschung nicht gewinnträchtig genug ist – vertreten durch Sandra Chishimba aus Ghana, die am Malaria Institute at Macha forscht, und der HIV-Forscher Jonathan Carlson.Das Schöne daran ist, dass Sandra tatsächlich aus Ghana kommt und auch in Ghana forscht, was in dieser als “Entwicklungszusammenarbeit” euphemisierten Branche auch heute noch keineswegs üblich ist. Das war denn auch die erste Forderung: Mehr Nachwuchsforscher aus den betroffenen Ländern statt immer nur die gleichen hochdekorierten aber letztendlich unbeteiligten West-Professoren. Recht so.
Da gibt es nur ein kleines Problem, auf das Bill Gates dann auch gleich hingewiesen hat: Die Geber erwarten natürlich, dass die Ressourcen möglichst effektiv eingesetzt werden, und das bedeutet natürlich eben nicht die viert- oder fünftbeste Arbeitsgruppe forschen zu lassen, sondern natürlich die beste. Und die bestimmt man nach Metriken, die Forscher aus Entwicklungsländern, zumal Nachwuchsforscher, brutal benachteiligen. Woher soll also eine Organisation wie die Gates-Stiftung, die von ihrem Sitz in Seattle gigantische Geldmengen über dutzende Länder und Themen verteilt, von aussichtsreichen Ghanaischen Nachwuchsforschern wissen?

Das ist um so ärgerlicher, weil Polio ein vergleichsweise dankbarer Auslöschungskandidat ist, mit Menschen und Menschenaffen als alleinigem Wirt ist die Krankheit sehr verwundbar gegen klassische Ausrottungskampagnen im Materialschlacht-Stil, der schon gegen Pocken funktioniert hat. Und es gibt einen Impfstoff. Schon die Malaria mit Mücken als Zwischenwirt und Vektor ist weitaus schwieriger zu bekämpfen, und von Ausrottung wagt da niemand zu reden. Und dann gibt es ja noch die lange Liste von Parasiten, die nur selten tödlich sind und deswegen kaum aufmerksamkeit bekommen. Trotzdem tragen diese Neglected Tropical Diseases einen großen Teil zur Krankheitslast in weniger entwickelten Ländern bei, machen Patienten anfälliger für andere Seuchen und behindern große Impfkampagnen.
Es besteht die ganz reale Gefahr, dass Polio bis auf Weiteres das letzte echte Erfolgserlebnis der globalen Seuchenbekämpfung sein wird. Insofern ist das gemeinsame Bekenntnis von Gates und Chishima, Global Health im Allgemeinen und die Malariabekämpfung im Besonderen bräuchten mehr Geld, ein bisschen am Kern der Sache vorbei gedacht. Klar braucht man mehr Geld, wer braucht das nicht? Aber Geld allein wird es nicht reißen. Die globale Seuchenbekämpfung braucht einen breiteren Fokus und vor allem neue, lokale Strategien.