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Veröffentlicht 14. Juli 2015 von Joe Dramiga

Erwin Neher: Wie die Biophysiker Ionenkanäle entdeckten

1791 veröffentlichte der Naturforscher Luigi Galvani ein revolutionäres Werk, den Commentarius. Hierin berichtete er von einer erstaunlichen Entdeckung: Frösche, obwohl geköpft und gehäutet, waren längere Zeit nach ihrem Tod in der Lage, ihre Schenkel zu bewegen, wenn sie mit je einer Nadel aus Eisen und einer aus Kupfer berührt wurden. Damals erklärten sich die Wissenschaftler die für sie rätselhaften Fernwirkungen wie Elektrizität, Schwerkraft oder Magnetismus mit ungreifbare Substanzen, sogenannten fluida (Einzahl: Fluidum).

Galvani glaubte daher, dass in den Froschschenkel elektrische Energie gespeichert sei, die vom Gehirn produziert und durch die Nerven in die Muskeln transportiert worden sei. Der Nerv wirke lediglich als Leiter, wobei er nur innen das elektrische Fluidum leitet, während er außen eine isolierende, nicht leitende Schicht trägt. Diese Energie entlade sich und sei Ursache für die Kontraktionen auch nach dem Tod des Tieres. Galvanis Idee kann man daher als vitalistisch beschreiben: die vom lebenden Frosch produzierte Energie ist Auslöser der Bewegung. Insofern beschrieb er die von ihm untersuchten Froschschenkel wie eine Leydener Flasche, die einmal geladen ihre Elektrizität auch spontan zu einem späteren, vom Forscher benötigten Zeitpunkt zur Verfügung stellte. Galvani glaubte im Froschmuskel „tierische Elektrizität“ gefunden zu haben.

Tatsächlich hatte Galvani einen Stromkreis geschaffen, auch wenn ihm das zunächst nicht bewusst war. Er hatte zwei unterschiedliche Metalle verwendet, nämlich Kupfer und Eisen. Es gab eine elektrisch leitende Flüssigkeit, nämlich das salzige Wasser im Gewebe der Froschschenkel. Und er hatte sogar einen Verbraucher in seinem System: die Muskelzellen, die beim Schließen des Stromkreises zu zucken begannen.

Ein exemplarischer Versuchsaufbau zu Galvanis  Experimenten mit Froschschenkeln und Elektrizität. Bild: Public Domain
Ein exemplarischer Versuchsaufbau zu Galvanis Experimenten mit Froschschenkeln und Elektrizität. Bild: Public Domain

1868 misst Julius Bernstein als erster Aktionspotenziale in Nervenzellen und damit echte „tierische Elektrizität“. Er formuliert daraufhin 1902 seine „Membrantheorie“, welche die Entstehung des elektrischen Potenzials an Zellmembranen sowie dessen Änderung (Aktionspotenzial) erklärt. Seine Befunde leiten einen Paradigmenwechsel im Verständnis der elektrophysiologischen Vorgänge in Nerven ein: Bernstein zeigte, dass Strom nicht im Gehirn entstand, wie Galvani vermutet hatte, sondern an der Membran von Nervenzellen.

 

Die Ionentheorie der Erregung

1939 entdecken die Neurophysiologen Sir Alan L. Hodgkin und Sir Andrew F. Huxley, dass der in Axonen gemessene Membranstrom ionenselektiv ist. Sie modifizieren daher Bernsteins Membrantheorie und beschreiben das Membranpotenzial mathematisch durch die Goldman-Hodgkin-Katz-Gleichung. Diese Gleichung ermöglicht die Berechnung des Membranpotenzials unter Berücksichtigung mehrerer durchtretender Ionen, die von einem Konzentrations- oder Druckgradienten getrieben werden.

Die „Ionentheorie der Erregung“ von Hodgkin & Huxley ist heute das allgemein anerkannte theoretische Fundament der neuronalen Erregungsleitung. Erstmals postulieren sie in dieser Theorie die Existenz von Ionenkanälen („gated ion channels“) als Grundlage der Membranerregung. 1963 werden sie für ihre Theorie mit dem Nobelpreis für Medizin und Physiologie ausgezeichnet.

1969 findet Dieter Lux heraus, dass das Aktionspotenzial dadurch entsteht, dass sich in der Nervenmembran die Durchlässigkeit für bestimmte Ionen ändert. Die Frage war, durch welchen Mechanismus sich diese Durchlässigkeit änderte.

Eine Antwort darauf gaben die Experimente an künstlichen Lipidmembranen von Ross C. Bean, Steven Hladky und Denis Haydon. Diese Lipid-Membranen waren, wie biologische Membranen auch, aus einer Lipiddoppelschicht aufgebaut und wirkten als elektrischen Isolatoren. Die Biophysiker stellten jedoch fest, dass die Membranen elektrisch leitfähig wurden, wenn man geringe Mengen von Antibiotika oder Proteinen in sie einbaute. Weil der hindurchfließende Strom sich stufenartig änderte, vermuteten die Forscher, dass einzelne Proteinmoleküle Kanäle durch die künstliche Membran bilden, wobei die Stufen dem Öffnen und Schließen solcher Poren entsprachen.

 

Erwin Neher
Bild: R. Schultes/Lindau Nobel Laureate Meetings

Die Patch-Clamp-Anordnung

In jeder Sekunde können mehr als 10 hoch 7 Ionen einen einzigen Kanal passieren. Diese Transportgeschwindigkeit ist nur um den Faktor 10 kleiner als die Diffusionsgeschwindigkeit von Wasser. Damals war die Messtechnik, gemessen an der Größe des Objekts, allerdings noch so grob, dass sich damit lediglich die Summe der Einzelströme durch Hunderttausende von Kanälen gleichzeitig erfassen ließ. Es gab damals noch keine Methode, um an Zellmembranen Einzelkanalströme direkt zu messen. Sie verschwanden im Hintergrundrauschen, das zwar nur ein Zehnmilliardstel Ampere betrug, aber damit immer noch 100 mal größer war als der Strom , der beim Öffnen eines Kanals durch die Membran fließt.

Die 1976 von Neher und Sakmann entwickelte Patch-Clamp-Methode ermöglichte es, solche Ionenkanäle auch einzeln zu messen. Sie erhielten dafür 1991 den Medizin-Nobelpreis.

Abb. 2 : Die Patch-Clamp-Anordnung
Abb. 2 : Die Patch-Clamp-Anordnung

Der nikotinische Acetylcholin-Rezeptor der Skelettmuskelzellen war der erste Ionenkanal, den man reinigen konnte, dessen Aminosäuresequenz aufgeklärt wurde, den man in funktionsfähiger Form in künstliche Lipid-Doppelschichten einbauen konnte und für den das elektrische Signal eines einzelnen Kanals registriert wurde. Er ist ein Natrium-Kalium-Kanal, der sich bei Anlagerung des Botenstoffs Acetylcholin öffnet.

Ende von Teil 1 des Vortrags. In Teil 2 des Vortrags setzt Neher fort mit der physiologischen Funktion von Ionenkanälen und deren Rolle in Ionenkanal-Krankheiten.

 

Bildnachweis

Abb. 2: Die Patch-Clamp-Anordnung
Autor: Peter Wolber, Fischx
based on http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Patchclamp.png
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Joe Dramiga

Joe Dramiga, a biology postdoc, originates from Uganda and lives in Cologne, Germany. Actually he is a neurogeneticist, however, during the last 3 years he has worked as a quality manager in a clinical virology lab in Africa. Currently he blogs about science and writes a book.