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Published 1 July 2010 by

Ein Interview mit Robert Horvitz I – Tut was ihr liebt!


Nach seinem Vortrag war Robert Horvitz so freundlich, mir noch für eine halbe Stunde für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Neben seiner Arbeit ging es um das Leben, das Universum und den ganzen Rest.

Auf der Lindauer Tagungswebsite habe ich gelesen, dass Sie jede Menge Fächer studiert haben. Ich erinnere mich an Mathematik, Informatik, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie, bevor Sie zum Biologen wurden. Man könnte also sagen, dass Sie selbst eine interdisziplinäre Person sind…

Oder man könnte sagen, dass ich unkonzentriert war.

Glauben sie, dass Ihnen das bei Ihrer späteren Arbeit geholfen hat? Dass Sie in eine große Bandbreite an Dingen reingeschaut haben?

Ich glaube, es macht einen empfänglicher für eine Vielzahl von Ideen und es hilft dabei, mit vielen verschiedenen Fächern vertraut zu werden. Ich denke, mein Studium der Mathematik hat mir viel dabei geholfen, streng über Probleme nachzudenken. Auch wenn das, was ich dort gelernt habe, nicht unbedingt das ist, was man in dem Bereich der Biologie, in dem ich tätig bin, benötigt.

Der Informatik-Teil, beziehungsweise der Umgang mit Computern, ist ein Bestandteil des modernen Lebens. Auch wenn ich selbst nicht mehr programmiere, habe ich Computer immer als etwas empfunden, das ich zumindest teilweise verstehe. Für meine Arbeit hat mir das in einer Vielzahl von Dingen geholfen. Angefangen von einfachen Dingen wie Text-Verarbeitung und Buchhaltung bis zu Modellierungen des Nervensystems.

Wirtschaftswissenschaften sind wichtig in zweierlei Hinsicht. Die eine ist: Wenn man eine Karriere als unabhängiger Forscher beginnt, dann ist man, zumindest in den USA, nicht darauf vorbereitet, was man wirklich zu tun hat. Und das erste, das man tun muss, um ein Labor zu betreiben, ist Geld einzunehmen und es in einer effektiven Art und Weise auszugeben. Ein Hintergrund in den Finanzwissenschaften schadet also nicht. Und das traf für mich umso mehr zu, als ich in der Biotechnologie aktiv wurde. Für eine junge Firma ist es nicht nur wichtig etwas zu entwickeln, das Patienten helfen kann, sondern man muss auch sicherstellen, dass die Firma überleben kann.

Psychologie beschäftigt sich mit Menschen. Und Menschen zu verstehen ist wichtig, wenn man ein Labor leitet. Die Probleme der Psychologie wiederum sind verwoben mit denen der Neuro-Wissenschaften. Kognitive Neuro-Wissenschaften sind in weiten Teilen ein Bereich der Psychologie. Und wenn man über Fragen der Neuro-Biologie nachdenkt, dann sind diese Fragen traditionell mehr Fragen der Psychologie.

Für mich gibt es also Überschneidungen zwischen all diesen Feldern. Aber man sollte bedenken, dass ich in keinem dieser Felder ein Experte war. Ich war ihnen ausgesetzt.

Glauben Sie, dass es in Zukunft immer wichtiger werden wird für alle Bereiche der Wissenschaft seinen Blickwinkel zu vergrößern?

Ich glaube, dass eine Vielfalt an Bereichen in der Biologie heute zusammenkommen. Und in Zukunft wird es noch wichtiger werden. Aber ich glaube nicht, dass deshalb jeder in mehreren Bereichen Experte sein muss. Genauso gut kann man Teams aus Leuten zusammenstellen, die sich ergänzen. Dabei ist es wichtig, dass diese Leute eine gemeinsame Sprache sprechen können.

Wenn jemand in Biochemie Experte ist und ein wenig über Informatik weiss und ein anderer ist Experte in Informatik und versteht ein wenig von der Biologie, dann werden sie besser zusammenarbeiten, als wenn jeder nur Experte ist und nichts von den anderen Themen weiß.

Als das Humane Genome Project anfing, waren die Arbeiten der Informatiker beispielsweise viel zu weit von den Biologen entfernt. Es brauchte eine Führung, die genug von Informatik verstand, um zu überlegen, was die richtigen Lösungen sind, um Fortschritte im Projekt zu machen.

Es wird also viele Chancen für Menschen geben, die mehrsprachig sind, im Sinne von verschiedenen, interagierenden Disziplinen. Aber es wird auch weiterhin viel Raum für jede Menschen geben, die ein tiefes Fachwissen in einer Disziplin haben.

Sie haben in Lindau Ihre Arbeit zum programmierten Zelltod vorgestellt. Was viele Menschen interessieren dürfte, sind die Krankheiten, die durch Fehlfunktionen im programmierten Zelltod entstehen. Werden wir hier Fortschritte bei der Therapie machen können und mit welchen Techniken wird das geschehen?

Viele Krankheiten sind im Grunde das Resultat von Zelltod-Prozessen und ich glaube wir werden hier große Fortschritte machen. Wie viele mit Hilfe der 4 Klassen von Proteinen, an denen ich gearbeitet habe, behandelt werden können, ist noch eine offene Frage. Momentan bin ich optimistisch, dass Krebs-Therapien, die entwickelt werden, darauf basieren werden, dass man Anti-Zelltod-Gene blockt. Die Daten sehen vielversprechend aus, aber bislang gibt es keine Medikamente auf dem Markt, die dies nutzen. Bislang ist dies alles im Experimentalstadium. Bei vielen anderen Krankheiten ist man sogar noch weiter am Anfang, die Entwicklung von Medikamenten geht sehr langsam voran. Ich denke, irgendwann werden wir Therapie-Möglichkeiten haben, die aus diesen biologischen Mechanismen entwachsen, aber nicht in naher Zukunft.

Wo werden diese Therapien ansetzen? Traditionell mit chemischen Medikamenten oder wird man hier vielleicht auch Methoden wie RNA-Interferenz einsetzen?

Ich denke, kurzfristig wird es mit kleinen Molekülen einfacher sein. Aber auf lange Sicht wird RNAi ein spannendes, mögliches Therapie-Modell sein. Viele Menschen arbeiten hart daran, das Problem der Zufuhr von RNAi in die richtigen Gewebearten und in die Zellen zu lösen. Ich finde, wenn diese Probleme gelöst sind, ist es ein spannendes Medikament. Aber ich denke, auf kurze Sicht wird RNAi gegen eine kleine Anzahl an Krankheiten verwendet werden, bei denen Zufuhr einfach ist. Von da aus kann man dann weiter forschen.

Eine etwas globalere Frage: Was glauben Sie, sind die größten Probleme, die wir in den nächsten Jahren bewältigen müssen? Und wie kann Wissenschaft dabei helfen?

Es gibt viele große Probleme. Das erste ist, dass die Menschen aufhören sollten, sich gegenseitig umzubringen. Mit all den schrecklichen Dingen, die passieren können, ist das letzte, das wir gebrauchen können, dass sich Menschen gegenseitig töten und so alles schlimmer machen. Ich würde wirklich gerne gute Lösungen für den Weltfrieden sehen. Wenn wir von hier aus noch weitere zentrale Aspekte benennen, die unser Leben zu einer Herausforderung machen, würde ich Wasser als Problem sehen. In vielen Teilen der Welt gibt es kein sauberes Wasser und ohne Wasser gibt es keine medizinische Versorgung, keine Bildung und all die anderen Dinge, die einer Gesellschaft helfen. Wasser ist ziemlich fundamental und ein Problem, das wir lösen müssen.

Wenn wir uns Problembereichen zuwenden, in denen ich mehr ein Experte bin – und das sind die Biologie und ein wenig auch Medizin – dann ist das vor allem “Global Health”. Die Versorgung in armen Ländern ist sehr wichtig. Ich bin gespann, was für Fortschritte die Maßnahmen gegen Malaria machen werden. Es gibt wirklich gute internationale Anstrengungen, die auch Kooperationen aus öffentlichem und privatem Sektor umfassen. Es werden neue Therapien entwickelt, was wichtig ist. Dies sollte für andere Bereiche als Modell dienen. Ich denke, jeder Mensch sollte ein Recht auf eine gute Gesundheit haben. Heute ist das leider nicht der Fall. 

Hier sind viele Nachwuchswissenschaftler und noch mehr, die sich später zuhause die Aufzeichnungen anschauen und die Blogeinträge etc. verfolgen. Und viele möchten wissen: Welche Ratschläge kann ein Nobelpreisträger ihnen geben?

Mein einfachster Ratschlag: Macht etwas, das ihr liebt! Denn, wenn ihr es nicht liebt, dann werdet ihr zum einen keinen Spass haben – was soll das bringen? Und zum anderen werdet ihr nicht gut sein, wenn ihr es nicht liebt. Also ich würde etwas suchen, das mich persönlich befriedigt. Und ich würde versuchen, es mit sozialer Verantwortung zu verknüpfen, beziehungsweise etwas, das das Potential hat, nicht nur mir selbst zu helfen.

Das kann ein wissenschaftliches Problem sein, das ihr lösen wollt und das eine praktische Anwendung hat. Oder ihr werdet Performance-Künstler und sorgt dafür, dass Menschen lachen und glücklich sind. Oder ihr werdet Basketball-Star. Irgendetwas, wo ihr fühlt, dass ihr etwas über euch hinaus zurückgebt. Aber zuerst: Tut, was ihr wirklich liebt. Sonst ist es kein Spaß. Man hat nur ein Leben, warum solltet ihr es nicht so leben, dass es sich gut anfühlt? Und wenn ihr könnt, lebt es so, dass es auch gut für andere ist.


Mehr zu Horvitz und seinem Vortrag ‘Programmed Cell Death in Development and Disease‘ gibt es hier zur Nachlese.