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Veröffentlicht 1. September 2014 von Stephanie Hanel

Dorothy Hodgkin: Königin der Kristallographie

2014 jährt sich die Vergabe des Chemienobelpreises an Dorothy Hodgkin zum fünfzigsten Mal – Erinnerung an eine Lindau-„Veteranin“, die schon zu Lebzeiten eine Legende war.

Dorothy Hodgkin gelang es, den chemischen Aufbau eines Biomoleküls ausschließlich durch die Kristallstrukturanalyse mit Röntgenstrahlen zu bestimmen. Das war zuvor noch keinem Wissenschaftler gelungen. Doch wie kam es zu dieser Pionierleistung und Hodgkins Faszination für dieses Gebiet?

Da war zum einen das aufgeschlossene Elternhaus und die frühe Förderung ihrer Interessen – keine Selbstverständlichkeit, dass ein 1910 geborenes Mädchen mit fünfzehn Jahren Bücher von William Henry Bragg von seiner Mutter bekommt, in denen er beschreibt „how he could shine X rays through a crystal to discover the arrangement of its atoms“. Ein weiterer glücklicher Umstand war die frühe Förderung durch die Begegnung mit einem Freund der Familie, Dr. A.F. Joseph, der auch später noch einmal in einer zufälligen Fügung Einfluss auf die wissenschaftliche Karriere Hodgkins nahm – als sie von Oxford nach Cambridge wechseln und mit John Desmond Bernal arbeiten konnte.

Dorothy Hodgkin 1983 in Lindau. Bild: Archiv Dettmann/Lindau Nobel Laureate Meetings
Dorothy Hodgkin 1983 in Lindau. Bild: Archiv Dettmann/Lindau Nobel Laureate Meetings

Doch beim Lesen über die ungewöhnlich guten Umstände, die Dorothy Hodgkins Start in die Wissenschaft begleiteten, wird deutlich: Ihr Umfeld muss gespürt haben, welches Potential ihr mit auf den Weg gegeben war. Und man gewinnt den Eindruck, dass da eine junge Wissenschaftlerin an den Start ging, die es in jedem Fall geschafft hätte. Dem glücklichen Start folgte trotz bescheidener Forschungsmittel und eher improvisierter Laborbedingungen eine beispiellose Karriere in deren Verlauf Hodgkin mit beharrlicher Kraft und Leidenschaft für „ihre“ Methode erstmals Pepsin (1934), Cholesterin (1941), Penicillin (1945), Vitamin B12 (1956) und Insulin (1969) bestimmte. Der US-amerikanische Chemiker Linus Pauling, Nobelpreisträger 1954, schrieb Dorothy Hodgkin im Jahr darauf: „…to congratulate you on the wonderful job that you have done on Vitamin B12. I find it hard to believe, although very satisfying, that the methods of x-ray crystallography can be used so effectively on such a complex molecule.“

Hodgkin im Gespräch mit jungen Wissenschaftlern (1970). Bild: Archiv Dettmann/Lindau Nobel Laureate Meetings
Hodgkin im Gespräch mit jungen Wissenschaftlern (1970). Bild: Archiv Dettmann/Lindau Nobel Laureate Meetings

Zwischen den Ergebnissen lagen nicht nur unzählige zähe Forschungsjahre, sondern auch die Geburten dreier Kinder, die sich ganz selbstverständlich einzufügen scheinen. So heißt es in einer Würdigung in „Die Zeit“ aus Anlass des Nobelpreises auch, dass ihre Assistenten den Eindruck hätten für Dorothy Hodgkin würden „Kristalle und Kinder ein und derselben Sphäre angehören“. Doch damit nicht genug – Dorothy Hodgkin trotzte bereits seit kurz nach der Geburt ihres ersten Kindes einer schweren Form von Gelenkrheumatismus. Dass sie laut ihrer Biografin Georgina Ferry kein role model sein wollte, ehrt Dorothy Hodgkin ein weiteres Mal – es scheint aber geradezu unmöglich ihr darin zu folgen. Eine exzellente Forscherin, die sich von einer schmerzhaften Krankheit nicht von ihrer Arbeit abbringen lässt und neben ihrer Karriere auch noch einer Familie Platz geben und sich politisch als Kernwaffengegnerin engagieren kann – das verdient uneingeschränkten Respekt. Wenn man sich die Fotos von den Lindauer Nobelpreisträgertagungen ansieht, auf denen die jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Hodgkin umringen, kann man an den Gesichtern ablesen, was für eine beeindruckende Persönlichkeit sie gewesen sein muss. Hodgkin war fünf Mal Teilnehmerin der Lindauer Tagungen und vier ihrer Redebeiträge finden sich in der Mediathek. Gerade weil man nur ihre Stimme hören kann, stellt sich eine große Konzentration ein. Ein ausführliches Research Profil über Hodgkins, geschrieben von Luisa Bonolis, findet sich ebenfalls in der Mediathek. Reichlich Material also für eine Wieder- oder Neuentdeckung.

Dorothy Hodgkin at her last visit in Lindau, 1989. Photo: Archiv Jacobs/Lindau Nobel Laureate Meetings
Dorothy Hodgkin bei ihrem letzten Besuch in Lindau 1989. Photo: Archiv Jacobs/Lindau Nobel Laureate Meetings

Klassischen Nachruhm in Form der Benennung eines Forschungsstipendiums gibt es selbstverständlich auch, aber in unserer Zeit angekommen ist Dorothy Hodgkin erneut mit dem Google Doodle zu ihrem 104. Geburtstag am 12. Mai 2014, das weitere inspirierende Kommentare nach sich zog – wie man Hodgkins Forschungsweg anhand der Exponate im Science-Museum in London nachvollziehen kann oder in Form einer originellen Würdigung ihres Lebens und Werks in der Washington Post mit der Überschrift „Nobel-winning chemist’s inspiring career is ready for its (molecular) close-up with Google Doodle“. Bei Bloomsbury erschien aktuell die Neuauflage der Biographie „Dorothy Hodgkin. A Life“. Wäre schön, wenn es eine deutsche Übersetzung gäbe. Immerhin hat die UNESCO das Jahr 2014 zum Internationalen Jahr der Kristallographie ausgerufen.

Stephanie Hanel

Stephanie Hanel is a journalist and author. Her enthusiasm for the people behind science grew out of her work as an online editor for AcademiaNet, an international portal that publishes profiles of excellent female scientists. She is an interested observer of new communication channels and narrative forms as well as a dedicated social media user and science slam fan.