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Veröffentlicht 27. Juni 2010 von Beatrice Lugger

Die Nachhaltigkeit der Lindauer Tagungen

Wer tiefer in die Geschichte der Lindauer Nobelpreisträgertagungen einsteigt, wird feststellen, wie nachhaltig die Sorge um Mensch und Umwelt diese Tagungen prägt. Bereits seit der ersten Tagung 1951 kennzeichnen die Offenheit in den wissenschaftlichen Debatten und die gemeinsame Suche nach Lösungen den spezifischen Geist von Lindau.

Einer der Gründungsgedanken der Tagungen war der Wunsch nach einer Wiederherstellung der wissenschaftlichen Brücken zwischen den Völkern nach dem zweiten Weltkrieg. Diese neuen Brücken nutzten die Laureaten alsbald, um ihre Anliegen, auch ihre Sorge um die Menschheit und deren Umwelt weiterzutragen.

Im Jahr 1954 nahm Werner Heisenberg die Teilnahme des Friedensnobelpreisträgers Albert Schweitzer zum Anlass, „die humanitäre Seite der Wissenschaft neu zu überdenken.“ Auf seine Initiative hin wurden zur Tagung der Chemiker im folgenden Jahr alle Nobelpreisträger eingeladen, die in der Atomforschung tätig waren. So kam es zur sogenannten Mainauer Kundgebung, die im Jahr 1955 von 18 Nobelpreisträgern unterzeichnet wurde und mit der diese sich gegen einen potenziellen Einsatz atomarer Waffen einsetzten.

Mainauer Kundgebung

  Auszug aus der Mainauer Kundgebung von 1955

Voller kriegerischer Einsatz der heute möglichen Waffen kann die Erde so sehr radioaktiv verseuchen, dass ganze Völker vernichtet würden. […] Wir leugnen nicht, dass vielleicht heute der Friede gerade durch die Furcht vor diesen tödlichen Waffen aufrechterhalten wird. Trotzdem halten wir es für eine Selbsttäuschung, wenn Regierungen glauben sollten, sie könnten auf lange Zeit gerade durch die Angst vor diesen Waffen den Krieg vermeiden. […] Alle Nationen müssen zu der Entscheidung kommen, freiwillig auf die Gewalt als letztes Mittel der Politik zu verzichten…

 

Die Brücken wurden im Laufe der Jahre immer weiter geschlagen. Umweltthemen begannen die Tagungsteilnehmer zunehmend zu beschäftigen. Nicht zuletzt eröffnete der Mitbegründer und Wegbereiter der jährlichen Konferenz, Graf Lennart Bernadotte (†2004), das Treffen im Jahr 1970 mit einem Appell an alle Wissenschaftler der Welt: „Machen Sie beim Wiederaufbau, bei der Pflege und Erhaltung einer gesunden und menschengerechten Umwelt mit“. Auch in diesem Jahr stehen zahlreiche Vorträge und Diskussionen im Zeichen der Nachhaltigkeit, was schließlich in dem die Tagung abschließenden hochkarätigem Forum zu „Energy and Sustainability“ am 2. Juli 2010 auf der Insel Mainau gipfeln wird.

Die Verantwortung der Wissenschaftler für eine nachhaltige Welt wurde auch von Dennis Gabor (Physiknobelpreis 1971) in seinem Lindauer Vortrag von 1973 „The predicament of mankind“ hervorgehoben. Gabor war ein Mitglied des Club of Rome und Co-Autor der Studie „Die Grenzen des Wachstums“. Der Bericht basierte auf einem Computermodell zur Hochrechnung fünf voneinander unabhängiger Variablen bis zum Jahr 2100 – Industrialisierung, Bevölkerungswachstum, Unterernährung, Ressourcenverbrauch und Umweltverschmutzung. Laut Gabor erfordert die Zwickmühle, in der die Menschheit zwischen Wachstum und Selbsterhaltung steckt, nicht zuletzt dringend die Suche nach neuen Energieformen und einen Wandel im Energieverbrauch. Er analysierte diverse Energiequellen und drückte seine Hoffnung aus: „Wir Wissenschaftler und Techniker müssen eine neue Technik entwickeln, eine, die ausschließlich unerschöpfliche und sich selbst erneuernde Ressourcen nutzt.“ Es lohnt sich sehr, in diesen Vortrag hineinzuhören (1).

 Dennis Gabor

Dennis Gabor, 1973 – 23th Meeting of Nobel Laureates
The Predicament of Mankind (2)

Seither haben zahlreiche Laureaten diese Thematik aufgegriffen und die Potenziale und Grenzen verschiedener Energiequellen in Lindau diskutiert. Rita Levi-Montalcini (Medizinnobelpreis 1986) forderte in Lindau 1993 von ihren Zuhörern deren Einsatz zum Schutz der Biosphäre sowie für eine gerechte Welt und skizzierte eine Magna Charta of Duties – wie hier ausgeführt, einer meiner Lieblingsvorträge! Dabei unterstrich sie die Notwendigkeit, dass Industriestaaten Soforthilfe für die armen Länder leisten und sie plädierte für eine Welt völliger Egalität. Da wissenschaftliche Kriterien Entscheidungen wesentlich untermauern können, sei es laut Levi-Montalcini eine besondere Pflicht junger Wissenschaftler, ihrer Deklaration Taten folgen zu lassen.

Ein spezieller Fokus richtete sich in den jüngsten Jahren auf erneuerbare Energien. 2007 etwa widmete sich Hartmut Michel (Chemienobelpreis 1988) den Biotreibstoffen: „Biofuels – sense or nonsense“; und 2009 beschrieb Walter Kohn (Chemienobelpreis 1998) „An earth powered predominantly by solar and wind energy„. Selbstverständlich und unermüdlich thematisieren die drei Chemienobelpreisträger des Jahres 1995 Paul Crutzen, Mario José Molina und Frank Sherwood Rowland den Schutz der Atmosphäre, Treibhausgase und den Klimawandel in Lindau. Sie hatten die Reaktionen aufgedeckt, die zum Abbau der Ozonschicht führten. Auch in diesem Jahr werden Crutzen und Rowland wieder in Lindau sein und nachmittags mit Jungwissenschaftlern über ihre Herzensthemen diskutieren.

Viele Laureaten folgen zudem dem Beispiel Rita Levi-Montalcinis und thematisieren jenseits ihrer eigentlichen Forschungsschwerpunkte die Sorge um Menschheit und Umwelt. In diesem Jahr lädt etwa Richard Ernst (Chemienobelpreis 1991) die Nachwuchsforscher ein, „Concepts for a beneficial global future“ zu entwickeln; Robert B. Laughlin (Physiknobelpreis 1998) diskutiert, was passiert, „When coal is gone„; und Leland H. Hartwell (Medizinnobelpreis 2001) wird über „Developing a sustainable world“ sprechen.

Die 60-jährige Tradition der Lindauer Nobelpreisträgertagungen ist in diesem Sinne eine Tradition der Nachhaltigkeit.


 (1) Zitate von Dennis Gabor (Physiknobelpreis 1971) in Lindau 1973

9:08 So what we scientists and technologists must create is a new technology. One which uses only unexhaustible or selve renewing resources.

38:37 We must realize we are living on an earth which is now becoming too small for us. Applied scientists and technologists must radically reverse their priorities. The first priority is to get our civilization going and not to continue with this irresponsible waisting of energy and material resources.

 (2) Die Lindauer Mediathek, ein Projekt, das durch die Gerda-Henkel-Stiftung ermöglicht wurde, umfasst inzwischen über 130 Video- und Audioaufnahmen.

Beatrice Lugger

Beatrice Lugger is a science journalist and science social media specialist with a background as a chemist. She is Scientific Director of the National Institute for Science Communication, NaWik – nawik.de. @BLugger is her twitter handle, Quantensprung her own blog.