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Veröffentlicht 28. Mai 2015 von Stephanie Hanel

Von Jenner bis Tonegawa – die Immunologie und ihre Protagonisten

Wie sich die Immunantwort des menschlichen Körpers erklären und beeinflussen lässt.

Die Beschäftigung mit dem menschlichen Immunsystem spielt eine zentrale Rolle in der Medizin. Der Hinweis auf die körpereigene Abwehr, die aus der Balance geraten ist, ist ein Standardsatz beim Arztbesuch. Wir stellen uns mit kriegerischen Metaphern vor, wie Bakterien, Viren und Pilze erkannt und unschädlich gemacht werden. Und bekommen mehr und mehr eine Vorstellung davon, mit welchen Finten und welcher Raffinesse die Angriffe auf unser Immunsystem vor sich gehen.

Die Forschung versucht dieses immense Gebiet in verschiedenen Teildisziplinen einzukreisen: Die Immunchemie untersucht die Struktur von Antigenen und Antikörpern, die Immungenetik die Mechanismen der Erzeugung von Antikörpern, T-Zell-Rezeptoren und antigenpräsentierenden Komplexen, und die Immunpathologie und die klinische Immunologie untersuchen Störungen des Immunsystems, die beim Auftreten von zum Beispiel Allergien, der Bildung von Tumoren und bei Autoimmunkrankheiten zugrunde liegen.

Hand mit Kuhpocken-Läsion; Abbildung in: Jenner, Edward, 1749-1823. Inquiry into the causes and effects of the variolae vaccinae. Foto: National Library of Medicine (Public Domain)
Hand mit Kuhpocken-Läsion; Abbildung in: Jenner, Edward, 1749-1823. Inquiry into the causes and effects of the variolae vaccinae. Foto: National Library of Medicine (Public Domain)

Als Begründer der Immunologie gilt der englische Landarzt Edward Jenner, der 1796 einen gesunden Jungen zuerst mit Kuhpocken impfte und – nachdem die Krankheit überstanden war – mit den echten Pocken. Der Junge überstand beide Krankheiten ohne schwerwiegende Probleme. Es gibt zwar bereits Berichte aus China um 100 v. Chr., über die gezielte Übertragung der Pocken auf gesunde Menschen zum Zwecke der Vorbeugung, aber Jenners Verfahren hatte den entscheidenden Vorteil, dass es keinen tödlichen Verlauf der Impfung gab und vor allem auch die geimpften Personen kein Ansteckungsrisiko darstellten.

Als Beginn der gezielten Forschung in diesem Bereich gilt die Entwicklung eines Impfstoffs gegen die Tollwut 1885 durch Louis Pasteur. Ein neunjähriger Junge überlebte dadurch als Erster eine Tollwutinfektion – die Impfung wurde daraufhin noch im selben Jahr an 350 Menschen erfolgreich durchgeführt.

Louis Pasteur, Ausschnitt aus einem Gemälde von Albert Edelfelt, Foto: Ondra Havala (Public Domain)
Louis Pasteur, Ausschnitt aus einem Gemälde von Albert Edelfelt, Foto: Ondra Havala (Public Domain)

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es zwei große Strömungen in der Immunologie – die Humoralimmunologie und der neu aufkommende Zweig der Zellularimmunologie. Die Vertreter der Ersteren waren der Ansicht, dass die Grundlagen der Infektionsabwehr im Blutserum zu suchen seien, die Anhänger der Letzteren setzten auf die Bedeutung zellulärer Prozesse für die Abwehr von Krankheitserregern und wiesen die Wirkung von weißen Blutkörperchen auf Bakterien nach. Wie wir heute wissen, hatten die Vertreter beider Forschungszweige recht:  Erst das Zusammenspiel aller Faktoren ergibt ein vollständiges Bild auf die Immunantwort des Körpers.

Nach der endgültigen Anerkennung der zellulären Immunologie in den 1930er Jahren, fand die schwedische Immunologin und Virologin Astrid Fagraeus 1948 heraus, dass Antikörper durch Plasmazellen produziert werden. Der experimentelle Nachweis stellte einen Durchbruch dar – bis dahin war die Funktion der Plasmazellen unbekannt. Fagraeus Lehrstuhl für Immunologie war der erste in Schweden überhaupt und sie konnte einen großen Beitrag zur Entwicklung einer schwedischen Polio-Impfung leisten.

Lymphocyte B cell, Copyright: Blausen.com staff. “Blausen gallery 2014″, CC BY 3.0
Lymphocyte B cell, Copyright: Blausen.com staff. “Blausen gallery 2014″, CC BY 3.0

Der Beginn der modernen Immunologie wird in die 1960er Jahre datiert. Rolf Zinkernagel entdeckte zusammen mit Peter Doherty 1974 wie Immunzellen von Viren infizierte Zellen und Krebszellen identifizieren. Sie erhielten für ihre Forschung 1996 den Medizin-Nobelpreis.

Schließlich entdeckte der japanische Forscher Susumu Tonegawa, dass Proteine, die fremde Eindringlinge erkennen, von Hunderten getrennter Genteile codiert werden. Das genetische Material in sogenannten B-Zellen kann sich in millionenfacher Weise kombinieren und auch abwandeln. Die B-Zellen entstehen im Knochenmark, gehören zu den Leukozyten und sind als einzige in der Lage, Antikörper zu produzieren. Wenn sie durch körperfremde Antigene aktiviert werden, können sie sich zu Plasmazellen differenzieren, die Antikörper produzieren. Tonegawa erhielt für die Ergebnisse der Experimente, die er bereits in den 1970er Jahren begann, 1987 den Medizin-Nobelpreis: „for his discovery of the genetic principle for generation of antibody diversity“. Susumu Tonegawa wird dieses Jahr als Teilnehmer der 65. Lindauer Nobelpreisträgertagung erwartet.

Weitere Nobelpreisträger, die Vorträge zum Themenkomplex Immunologie halten werden sind: Francoise Barré-Sinoussi („Translational Science on Viral Diseases: From Louis Pasteur to Today“), Bruce Beutler („Finding Mutations that Affect Immunity“) und Peter Doherty („The Killer Defense“). Jules Hoffmann wird eine Master Class zu „Antimicrobial Defenses“ halten. Darüber hinaus ist auch der Zweig der Tumorimmunologie vertreten durch Harald zur Hausen und die Krebsforscher Michael Bishop und Harold Varmus, der dieses Jahr zum ersten Mal auf einer Lindauer Tagung dabei sein wird.

 


Slider: „MRSA, Ingestion by Neutrophil“, National Institutes of Health (NIH), Wikimedia Commons

Stephanie Hanel

Stephanie Hanel is a journalist and author. Her enthusiasm for the people behind science grew out of her work as an online editor for AcademiaNet, an international portal that publishes profiles of excellent female scientists. She is an interested observer of new communication channels and narrative forms as well as a dedicated social media user and science slam fan.