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Veröffentlicht 18. Juli 2010 von Markus Pössel

Urknall-Fluktuationen: Interview mit George Smoot Teil I

Unser Interview findet in einer sehr inhomogenen Umgebung statt: Am Bodenseeufer vor der Inselhalle atmen wir Luft (Dichte rund 0,001 Gramm pro Kubikzentimeter), lassen unsere Blicke über das Wasser (Dichte rund 1 Gramm pro Kubikzentimeter) und das gegenüberliegende Festland schweifen (irgendwo zwischen 1 und 3 g/cm³). Gerade richtig für mein Interview mit George Smoot (Dichte rund 1 g/cm³), den bei dessen nobelpreiswürdiger Forschung ging es gerade darum, wie es kommt, dass wir in einem so inhomogenen Universum leben — und das, obwohl unser Weltall kurz nach dem Urknall, vor rund 13,7 Milliarden Jahren, äußerst homogen, seine Dichte mit hoher Präzision überall dieselbe war.

Wie Smoot auf das Forschungsprojekt kam, für das er später, gemeinsam mit John Mather, den Physik-Nobelpreis 2006 erhalten würde? Da kamen eine Reihe von Faktoren zusammen: Seine Arbeit an Experimenten zur Höhenstrahlung in der Gruppe von Luis Alvarez, durch die er mit Beobachtungen von Ballons oder Flugzeugen vertraut war – eine gute Grundlage für die Beobachtungen, mit denen er später der Hintergrundstrahlung zuleibe rücken würde. Außerdem eine nicht unwichtige Empfehlung direkt von Smoots Chef:

"Luis Alvarez sagte uns: ‚Jungs, macht jetzt nicht direkt mit dem nächsten Experiment weiter. Nehmt euch zwei Monate Auszeit und überlegt, was man sonst noch so für Experimente machen könnte‘."

Das tat Smoot, erinnerte sich an einen vor Jahren gehörten Vortrag zum Thema Hintergrundstrahlung, genauer zur Bedeutung, die den winzigen Temperaturfluktuationen der kosmischen Hintergrundstrahlung, also des Nachglühens des Urknalls zukommt: Gelänge es, diese Fluktuationen nachzuweisen, wären das nichts weniger als die Spuren der Dichtefluktuationen in der Kinderzeit unseres Weltalls, die Spuren des Umstandes, dass die Materie eben nicht homogen verteilt blieb, sondern unter gegenseitigem Schwerkrafteinfluss zusammenklumpte, Galaxien, Galaxienhaufen, Sterne bildete – und damit die Voraussetzung für unsere eigene Existenz. Umgekehrt galt: Gäbe es keine solchen Fluktuationen, stünden die Urknall-Modelle vor einem echten Problem.

Worauf führt Smoot den Erfolg seiner Forschung zurück? Zum einen wieder einmal: Hartnäckigkeit (vgl. diesen früheren Blogbeitrag). Was noch dazu kam? Unwissen:

"Wir wussten einfach nicht, wie schwierig es sein würde. Früher hatten die Leute Satelliten weit schneller gebaut. Ich wusste, dass unser Projekt möglich war, aber ich wusste nicht, dass es so lange dauern würde. Am Ende waren es 15 Jahre."

Unwissen über die bevorstehenden Schwierigkeiten bei Projekten, die man mit realistischer-pessimistischen Vorkenntnissen vielleicht gar nicht erst angegangen wäre, scheint in Wissenschaft und Technologie kein allzu seltener Erfolgsfaktor zu sein.

Allerdings war die lange Vorlaufzeit nicht nur den technischen Schwierigkeiten zuzuschreiben. Der COBE-Satellit, auf dem Smoots Experiment zur Messung der Fluktuationen der Hintergrundstrahlung fliegen sollte, sollte ursprünglich an Bord eines Space Shuttle is All reisen. Dann kam das Jahr 1986 und mit ihm die Challenger-Katastrophe, und das COBE-Team musste, ebenso wie eine ganze Reihe anderer Satellitenmissionen, umdisponieren:

"Wir mussten [von den NASA-Oberen die] Zustimmung für den Start auf einer Delta-Rakete bekommen, und wir mussten den Satelliten umbauen – wir mussten alle Instrumente in einen neuen Rahmen umsetzen, der [in den Stauraum einer] Delta-Rakete passte. Wir waren einer der ersten Satelliten, die nach der Shuttle-Katastrophe starteten."

Das folgende Bild (Quelle: NASA) zeigt den COBE-Satelliten, wie er dann ins All flog:

Schemazeichnung des COBE-Satelliten

Smoot hatte als "Hauptforscher" (Principal Investigator, PI) die Verantwortung für die Mikrowellen-Radiometer, die mit verschiedenen kleinen Hornantennen gleichzeitig unterschiedliche Regionen des Himmels anschauen und so sehr präzise vergleichen konnten, wie sehr sich die Eigenschaften der kosmischen Hintergrundstrahlung je nach Beobachtungsrichtung unterscheiden.

Die kosmische Hintergrundstrahlung ist eine Wärmestrahlung, deren Eigenschaften direkt durch ihre Temperatur bestimmt werden – wir kennen ähnliches aus dem Alltag: Eine warme Heizung sendet vornehmlich Infrarotstrahlung aus, die wir nicht sehen, aber beispielsweise auf der Haut spüren können. Eine sehr heiße Herdplatte glüht: Sie sendet sichtbares Licht rötlicher Farbe aus. Für noch heißere Objekte kennen wir den Begriff der Weißglut, und auch die rund 5500 Grad Celsius heißen Regionen der Sonnenoberfläche, denen wir das Tageslicht verdanken, nehmen wir gelblich-weißlich wahr.

Auch die Fluktuationen der kosmischen Hintergrundstrahlung, in denen sich die Dichtefluktuationen des frühen Kosmos bemerkbar machen, lassen sich direkt als winzige Temperaturschwankungen angeben. Hier ist die Karte solcher Schwankungen, die aus COBE-Messungen angefertigt wurde (Bild: NASA): 

Insgesamt ist die kosmische Hintergrundstrahlung während der seither vergangenen knapp 14 Milliarden Jahre stark abgekühlt. Ihre mittlere Temperatur liegt damit bei nunmehr nur rund 2,7 Grad über dem absoluten Nullpunkt. Die rötlichen und bläulichen Regionen des hier gezeigten Bildes zeigen Regionen an, in denen die Strahlung einige hunderttausendstel Grad heißer oder kälter ist.

Anfangs sah es bei diesen Messungen gar nicht gut für die kosmologischen Modelle aus: 

"Nach den Messungen der ersten sechs Monate konnten wir nur einen oberen Grenzwert für die Fluktuationen angeben – wir hatten sie bis dahin noch nicht nachgewiesen. Da haben andere Leute dann bereits die ersten Fachartikel geschrieben: ‚Problem mit dem Urknall, es können keine Galaxien entstehen‘. Dann erschienen andere Fachartikel, die sagten: Aus Beobachtungen an Galaxien gibt es Hinweis auf dunkle Materie; wenn es solche dunkle Materie gibt, dann sollten die Fluktuationen soundso groß sein[, nämlich deutlich kleiner als ohne dunkle Materie]. Am Ende haben wir solche Fluktuationen dann gefunden.

"[Die Fluktuationen] waren sogar etwas größer als das Minimum, das man mit dunkler Materie erwartet hätte. Wenn ich damals aufgepasst hätte, hätte ich gesehen, dass das als Hinweis auf die beschleunigte Expansion des Universums, also auf die dunkle Energie verstanden werden kann. Aber ich war so erleichtert, dass wir überhaupt Fluktuationen gesehen haben, und so darauf fixiert zu testen, ob wir vielleicht irgendwo einen Fehler in unseren Computern, unseren Programmen, unseren Messinstrumenten hätten, dass mir erst später klar geworden ist, was das hieß. Wäre ich damals schon darauf gekommen, hätte ich anschließend die Leute unterstützen können, die nach dunkler Energie suchten."

Die dunkle Energie wurde dann jedenfalls erst deutlich später nachgewiesen, nämlich 1998. Tja, manchmal nutzt man Chancen, manchmal verpasst man sie.

In Smoots weiterer Forschung spielt das Thema Inhomogenitäten nach wie vor eine Rolle: Derzeit bereitet er Big BOSS vor,  ein Projekt, das die Verteilung der herkömmlichen leuchtenden ("baryonischen") Materie im Universum genau vermessen soll. In der Astronomie gilt ja: Jeder Blick in die Tiefen des Alls ist ein Blick in die Vergangenheit, schlicht weil das Licht ferner Objekte immer eine Weile braucht, um uns zu erreichen. Die Sonne sehen wir nie so, wie sie jetzt ist, sondern immer nur so, wie sie vor 8 Minuten war. Big BOSS soll die Struktur des Universums bis in Entfernungen erkunden, in denen man schon wieder fast bis zur Urknall-Phase in die Vergangenheit zurückschaut. So lässt sich verfolgen, wie es den Fluktuationen der Hintergrundstrahlung im Laufe von knapp 14 Milliarden Jahren ergangen ist. Die gesammelten Daten geben Aufschluss über all das, was den modernen Kosmologen so interessiert: Geometrie, Materie- und Energieinhalt des Universums, und insbesondere der Anteil an den nach wie vor rätselhaften Grundbausteinen des Alls: dunkler Materie und dunkler Energie. Außerdem können wir dann noch besser verstehen, warum wir hier in einem inhomogenen Weltall sitzen – in diesem Falle in einem inhomogenen, aber ja gerade deswegen besonders reizvollen Lindau.

 

 

 

 

Markus Pössel