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Veröffentlicht 28. Juni 2017 von Judith M. Reichel

Schnellerer Fortschritt für alle

Martin Chalfie setzt sich für Preprint-Archive für biologische Forschungsarbeiten ein: Dadurch können neue Ergebnisse und Erkenntnisse wesentlich früher einem deutlich größerem Publikum zugänglich gemacht werden.  

 

Credit: exdez/iStock.com
Credit: exdez/iStock.com

 

Wichtige Fragen, die während der Lindauer Nobelpreisträgertagung immer wieder gestellt wurden, sind die, wie die Zukunft der Forschung aussehen kann und wird und, wie man den status quo verbessern kann. Neben den bereits vielfach angesprochenen politischen Ereignissen und Einflüssen auf die Wissenschaft, ist ein weiteres großes Thema eher ein intrinsisches Problem: die Publikationsmaschinerie und die Bedeutung des Impact Factors. Kurz vor der Tagung haben sich etliche Nobelpreisträger bereits öffentlich gegen diese Methode des Journal-Rankings ausgesprochen. Und während der 67. Lindauer Tagung sprach sich auch Martin Chalfie dafür aus, wissenschaftliche Publikationen wieder mehr auf Grund ihrer tatsächlichen Qualität zu beurteilen, und weniger danach, in welchem Journal sie letztlich publiziert werden. Ich fragte ihn, was er sich denn als Alternative vorstelle, und welche Schritte er womöglich selbst schon unternommen habe. Seine Lösung lautete: ASAPbio.org – Accelerating Science and Publication in Biology.

ASAPbio ist eine Interessengemeinschaft gegründet von Ron Vale – einer Initiative von Wissenschaftlern für Wissenschaftler, um neue Erkenntnisse in den biologischen Wissenschaften einem breiteren Publikum schneller zugänglich zu machen. Gemeinsam mit Harold Varmus, Daniel Colón-Ramos und Jessica Polka, inzwischen Direktorin der Initiative, rief Chalfie die Plattform Anfang 2016 ins Leben. „Wir wollten ein Preprint-Archiv für die biologische Forschung entwickeln – in der Physik gibt es so etwas schon seit mindestens 25 Jahren.“ Sobald Forscher also bereit sind, ihre Arbeit und Ergebnisse der Welt mitzuteilen, so Chalfie weiter, können sie ihren Artikel auf einer Preprint-Plattform hochladen, wo er dann von anderen Wissenschaftlern, aber auch von der breiten Öffentlichkeit gelesen und kommentiert werden kann. Die größte biologisch-fokussierte Preprint-Plattform ist bisher bioRxiv. ASAPbio will in Zukunft als eine Sammelstelle für alle Preprints aus den biologischen Wissenschaften fungieren. „Dadurch verändert sich die gesamte Publikationsdynamik“, sagt Chalfie. Denn der konventionelle Publikationsweg sieht anders aus: eine wissenschaftliche Arbeit wird bei einem fachlich passenden Journal eingereicht, dort entscheiden in einem ersten Schritt ein oder mehrere Editoren, ob die Arbeit überhaupt zu dem Journal passt. Falls sich die Editoren dafür entscheiden, wird es an ein paar wenige Experten aus dem Fachgebiet weiter geleitet. Diese machen sich dann ebenfalls ein Bild von der Arbeit, und können sie gegebenenfalls als nicht-ausreichend ablehnen, oder zusätzliche Experimente verlangen. In einem solchen Fall haben die Autoren dann einige Monate Zeit um die gewünschten Änderungen zu erbringen, bevor es zu einer endgültigen Entscheidung kommt – die auch nach den Änderungen noch ein „Nein“ sein kann. Alles in Allem kann so ein Entscheidungsprozess mehrere Monate oder gar bis zu einem Jahr dauern – und wird die Arbeit am Ende tatsächlich abgelehnt, müssen die Forscher diese von Neuem bei einem anderen Journal einreichen. Dadurch verlieren nicht nur sie wertvolle Zeit, sondern auch die Forschungsgemeinschaft sowie die breite Öffentlichkeit, die während dem Entscheidungsprozess keinen Zugriff auf die neuen Erkenntnisse haben. „Preprint-Archive hingegen machen neue Erkenntnisse und Forschungsfortschritte sofort zugänglich für alle – egal ob Wissenschaftler oder Schüler, und ohne dass dafür gezahlt werden muss“, fasst Chalfie die Vorteile zusammen.

Zudem bekommt jede Arbeit automatisch bei der Einstellung ein festes Erstellungsdatum, auf das sich die Autoren berufen können, sollte zeitnah eine ähnliche Arbeit veröffentlicht werden.

Chalfie betont aber: „Es geht hier nicht darum, frühzeitig die eigenen Rohdaten zu veröffentlichen.“ Vielmehr sollte die Arbeit praktisch zeitgleich mit der ersten Journaleinreichung auf eine Archiv-Plattform gestellt werden, und dann entsprechend des Journal-Feedbacks oder der Kommentare, die über die Plattform eingereicht werden, sukzessive überarbeitet werden.

 

Martin Chalfie talking to young scientists during the 67th Lindau Nobel Laureate Meeting,  Photo/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meeting
Martin Chalfie mit Nachwuchswissenschaftlern während der 67. Lindauer Tagung, Photo/Credit: Julia Nimke/Lindau Nobel Laureate Meeting

 

„Bereits bei einem der ersten organisatorischen Treffen sprachen wir auch darüber, wie wohl die etablierten Journals auf die Plattformen und die zentrale Sammelstelle reagieren würden. Glücklicherweise haben sich die großen Journals wie Science, Nature oder die Professional Society Journals, aber auch viele andere, allesamt für Preprint-Archive ausgesprochen“, erklärt Chalfie. Die Journals haben also kein Problem damit, wenn die Autoren ihre Arbeit gleichzeitig bei ihnen einreichen und auf einer Plattform zugänglich machen – viele ermöglichen inzwischen sogar „Joint Submissions“: Die Journals fragen bei der Einreichung einer Studie mittlerweile, ob die Autoren die Arbeit auch gleichzeitig auf einem Archiv-Server zugänglich machen möchten.

Ein weiteres Zeichen, dass dieses neue Vorveröffentlichungssystem sich auf lange Sicht etablieren wird, ist die Aufnahme solch pre-archivierter Arbeiten als Kriterium für Beförderungen, die Vergabe von Projektgeldern und ähnlicher Auswahlverfahren. Stolz berichtet Chalfie: „Das Howard Hughes Medical Institute, die NIH, Wellcome Trust und viele Universitäten beziehen Arbeiten aus Preprint-Archiven bereits in ihre Bewertungen von Bewerbern mit ein.“

Obwohl die Preprint-Archive für die biologische Forschung im Gegensatz zur Physik noch in den Kinderschuhen stecken und von vielen Wissenschaftlern erst noch entdeckt werden müssen, ist das Konzept dennoch bereits bei großen Forschungsinstituten und renommierten Journals angekommen und wird akzeptiert. Die Initiative von ASAPBio bietet somit eine ausgezeichnete Möglichkeit, die festgefahrene Publikationssituation in den Lebenswissenschaften in eine neue Richtung zu lenken und die tatsächliche Qualität der Forschungsarbeit anstelle eines Impact Factors wieder in den Vordergrund zu stellen.

Judith M. Reichel

Judith Reichel is a Neuroscientist by training, but during a two-year postdoc in New York she discovered her inner science advocate. She has been vocal as a science writer ever since, covering science policy issues as well as specific research topics. Now based in Berlin, Judith is working for the German Federal Ministry of Research and Education. However, her contributions for this blog solely reflect her own private opinions.