Veröffentlicht 21. Juli 2016 von Stephanie Hanel
Roy Glauber und seine Zeit in Los Alamos
Es ist sein Schicksal, einer der letzten Zeitzeugen des Manhattan-Projektes zu sein: Roy J. Glauber, Physiknobelpreisträger von 2005, war als 18-Jähriger nach Los Alamos gekommen. Bei der diesjährigen Lindauer Nobelpreisträgertagung hielt er deshalb seine Lecture „Some Recollections of the Manhattan Project 1943-1945“, die zwar auch einen forschungshistorischen Einblick gab, aber hauptsächlich von bis heute lebendig gebliebenen Erinnerungen an Begebenheiten und Persönlichkeiten gespeist wurde. Eine kleine Gruppe JournalistInnen konnte ihn vorab sprechen.
Wie kam es eigentlich dazu, dass ein 18-Jähriger ins Visier der Anwerber für das Projekt geriet? Glauber berichtet, dass man zu dieser Zeit, im Kriegszustand, generell bemüht war, die Ausbildungszeiten zu verkürzen. Er selbst hatte Klassen und Kurse übersprungen, was nicht unüblich war, aber auch früh schon jedes zusätzliche Bildungsangebot angenommen, wie beispielsweise die Förderung durch einen High-School-Lehrer, der ihn dazu inspirierte, sich vertieft mit Mathematik zu befassen und ihn mit entsprechenden Büchern in die Ferien entließ. Schmunzelnd berichtet Glauber, dass er damals nicht von selbst darauf gekommen wäre, sich damit zu beschäftigen und auch keine Ahnung hatte, dass das später einmal so wichtig werden könnte. Als er von Harvard weg ‚abgeworben’ wurde, hatte er so gut wie alle für einen Doktortitel erforderlichen Kurse besucht. Er sollte damals einen Fragebogen ausfüllen, und aufgrund dessen erhielt er dann Besuch von einem ‚Unbekannten im schwarzen Anzug’. Es hieß, dass die gut ausgebildeten jungen Männer adäquate Stellen erhalten sollten.
Im Fall von Roy Glauber war es ein Zugticket nach Chicago und für die persönlichen Habseligkeiten eine Post Office Adresse. Glauber wusste nicht, wohin genau es ging und was seine Aufgabe sein würde. Auch heute noch wird bei seiner Schilderung der Zugfahrt und Ankunft am zweiten Ziel – Lamy, New Mexiko – deutlich, was für ein abenteuerliches Unterfangen das für ihn war. Fasziniert von der Landschaft und den Einheimischen, die er am Bahnhof sah, traf er an seinem Bestimmungsort ein. Das letzte Stück der Fahrt verbrachte er im Auto mit zwei Männern, von denen der eine für Glaubers Dafürhalten wie ein Cowboy aussah, die sich auf verschlüsselte Art und Weise über ein wissenschaftliches Problem unterhielten. Für Glauber als jungen Mann ein absolut bizarres Erlebnis, neben der von ihm als ‚gottverlassenes Land’ bezeichneten neuen Umgebung auch noch geheimnisvolle Männer merkwürdige Dinge reden zu hören. Später stellte sich einer der beiden Männer dann als der bekannte Mathematiker John von Neumann heraus.
An seinem ersten Tag in Los Alamos erhielt Glauber eine Liste von Personen, die er aufsuchen sollte, u.a. sprach er beim Leiter der Abteilung für experimentelle Physik Robert Bacher vor. Dieser fragte ihn, was er denke, woran hier gearbeitet würde. Da Glauber wusste, dass an der Kettenreaktion zur Kernspaltung gearbeitet wurde, das Thema dann aber aus allen Zeitungen wieder verschwunden war, äußerte er seine Vermutung, dass hier im Geheimen weiter daran geforscht würde. Er bekam zur Antwort, dass das bereits vor eineinhalb Jahren in Chicago gelungen sei, und dass sie hier an einer schnellen Kettenreaktion für den Bau einer Bombe arbeiteten. Glauber erzählt im Interview, wie sehr ihn das damals aufbrachte und ihm durch den Kopf ging, dass das kein Geschenk an die Menschheit wäre. Und fügt dann an, dass er Wochen und Monate brauchte, um darüber hinwegzukommen. So ähnlich schildert er diesen Moment auch in seinen autobiographischen Aufzeichnungen zum Erhalt des Nobelpreises. Die wissenschaftlichen Herausforderungen halfen dabei, über diesen ersten Schock hinwegzukommen. Viel schwerer aber wog, was alle im Projekt dachten: Dass die Deutschen dieselben Kenntnisse hatten und womöglich ebenfalls an der Bombe bauten. Der Konflikt mit Japan war laut Glauber bei keinem die Motivation, dieses Projekt zu unterstützen.
Glauber war für die folgenden zwei Jahre mit der genauen Berechnung der kritischen Massen befasst und schrieb dazu nach eigener Aussage drei ausführliche geheime Aufsätze. Glauber erzählt im Interview, dass er keine Erlaubnis hatte, mit zur Zündung der Bombe an den entsprechenden Ort zu kommen – er sei ja nur ein Theoretiker gewesen – dass es aber einer kleineren Gruppe gelang, zum Sandia Peak in der Nähe von Albuquerque zu gelangen. Tatsächlich wussten sie nur, dass es in der Nacht passieren würde, waren aber ohne Kontakt und ohne Möglichkeit, Näheres herauszufinden. Laut Glauber gaben die anderen irgendwann auf, noch etwas zu sehen zu bekommen, er sei aber eben ein bisschen sturer gewesen und hätte bis 5.30 Uhr am Morgen durchgehalten. Dann war es, „als ob die Sonne im Süden aufginge“. Dieser sogenannte Trinity Test erfolgte im Juli 1945, der Abwurf der beiden Atombomben über Japan im August. Für die meisten Wissenschaftler/innen und ihre Familien bedeutete das schlicht das Ende der jahrelangen Geheimhaltung und den Übergang in ein ziviles Leben ‚draußen’. Gefeiert wurde nicht die Bombe, sondern das Kriegsende, schreibt Glauber in seinen biographischen Aufzeichnungen.
Beim Interview in Lindau wollen wir wissen, ob Glauber bereue, beim Manhattan-Projekt dabei gewesen zu sein. Er sagt uns, dass er wohl am ehesten bedauert habe, dass sie nicht schneller gewesen seien und es immer wieder Verzögerungen gegeben habe. Sonst hätte man die Situation in Europa beeinflussen können. Es wäre seiner Meinung nach anders entschieden worden über die Bomben, wenn sie früher fertig geworden wären. Auf die Frage, ob er der Ansicht sei, dass man die Atomwaffen reduzieren und am besten ganz abschaffen sollte, antwortet Glauber: „Absolut zero is the only thing I think that makes any sense.“ Er denkt nur, dass totale Abrüstung nicht möglich sein wird, weil immer die Frage bleibt, wer die letzte Atomwaffe besitze. Wenn es aber eine Möglichkeit gäbe, das zu handhaben, „it would have my vote“.